Helfer vor Ort

Moldawien: Wo die Ärmsten den Armen helfen

Vorarlberg
20.03.2022 12:35

Die aus Lochau stammende Cornelia Burschter ist HR-Verantwortliche beim Hilfswerk „Concordia Sozialprojekte“ - und derzeit in Moldawien, um dort ihre Teams bei der Flüchtlingshilfe zu unterstützen.

Krone: Sie sind derzeit in Moldawien und helfen vor Ort. Was erleben Sie da?

Gruber: Vor zwei Wochen, also kurz nach Kriegsausbruch, war ich schon einmal hier. Da war extrem viel Angst spürbar, dass Russland auch in Moldawien einmarschieren könnte. Das erlebe ich so nicht mehr, jetzt herrscht eine größere Gefasstheit. Und vorherrschend ist die überwältigende Hilfsbereitschaft. Die Menschen stellen private Unterkünfte zur Verfügung, sie schließen sich Hilfsorganisationen an, sie holen Menschen mit dem Auto von der Grenze ab und fahren sie durchs ganze Land. Sie verteilen Decken an der Grenze, es ist ja derzeit bitterkalt in Moldawien. Aber auch der Staat hat schon viel geleistet. Ich bin von Präsidentin Maia Sandu begeistert, die die Willkommenskultur jeden Tag im TV verkündet. Concordia ist die größte NGO im Land. Aber wir sind eigentlich keine Katastrophenhelfer, sondern kümmern uns um Kinder und ältere Menschen. Jetzt fahren wir sozusagen doppelgleisig.

Krone: Was brauchen die Menschen in Moldawien?

Burtscher: Vor zwei Wochen kamen viele noch im eigenen Auto oder waren anderweitig organisiert. Jetzt kommen viele flüchtende Menschen nur noch mit dem Allernötigsten. Es braucht medizinische Versorgung. Dann brauchen sie erstmal etwas Warmes zu essen und zu trinken. Und natürlich einen Schlafplatz. Danach können die Menschen vielleicht das erste Mal seit ihrem Aufbruch überhaupt erst wieder einmal durchatmen. Auch die Angst kommt dann oft zum Vorschein. Und viele Menschen haben kein Geld dabei. Das brauchen sie aber, weil sie meist noch einen lagen Weg vor sich haben. Deshalb unser dringender Appell, Geld zu spenden.

Krone: Corona ist gar kein Thema an der Grenze?

Burtscher: Von der Pandemie spürt man hier so gut wie nichts. Das ist den Leuten jetzt egal. Und was soll man denn auch machen? Da kann man sich das Testen gleich sparen.

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Viele haben kein Geld dabei. Das brauchen sie aber, weil sie meist noch einen lagen Weg vor sich haben. Deshalb auch unser Appell, Geld zu spenden.

Cornelia Burtscher

Krone: Was erzählen Ihnen die Menschen, wenn sie Moldawien erst einmal erreicht haben?

Burtscher: Ganz Unterschiedliches: Die meisten sind ja Frauen und Kinder. Viele Frauen sind extrem beunruhigt, wenn sie einige Stunden nichts von ihren Männern hören, die noch in der Ukraine sind und dort kämpfen müssen. Andere erzählen von ihrem Weg der Entscheidung. Sie sagen, dass man täglich abwägen muss, welches Risiko höher ist. Bis man sich entscheidet, das Land zu verlassen, weil die Gefahr zu groß wird. Und fast alle erzählen, wie unglaublich sie von der großen Hilfsbereitschaft überrascht wurden. Wir treffen aber auch Menschen, die in die andere Richtung unterwegs sind. Etwa zwei Ukrainer, die nach Odessa fahren, um ihr Land zu verteidigen. Und auch unsere moldawischen Mitarbeiterinnen erzählen: Von den Fliegern und Bomben, die sie hören.

Krone: Sie waren vor zwei Wochen schon im Land, Sie sind jetzt wieder da. Hatten Sie selbst gar keine Angst, sich an die ukrainische Grenze zu begeben?

Burtscher: Ich kann verstehen, dass einen die Angst packt. Aber sobald man im Tun ist, verfliegt das: Das, was uns antreibt, ist, das Schlimmste von den Menschen abzuhalten. Spürbar ist die Betroffenheit, das schon. Auch in unserem Büro in Wien, alle verspüren tiefes Mitgefühl. Und solange man das spürt, hat die Angst keinen Platz.

Krone: Aber business as usual ist es nicht gerade, oder?

Burtscher: Nein. Noch vor Kurzem hätte ich mir gar nicht vorstellen können, dass ich mich jemals mit dem Thema Krieg auf diese Weise auseinandersetzen muss. Da ist immer noch ein großes Staunen in mir.

Krone: Wie verändern diese Gedanken und diese Arbeit die Perspektive auf das bisherige eigene Leben?

Burtscher: Ich habe vor zwei Wochen meinen 32. Geburtstag gefeiert, hier in Moldawien.Er ist mit dem hier üblichen Frühlingsfest zusammengefallen. Die Perspektive auf das Leben ändert sich tatsächlich. Was ich mir jetzt wünsche, ist Frieden. Während der Pandemie haben wir uns Gesundheit gewünscht. Ich denke, mit diesen beiden Dingen würden wir ganz gut durchkommen. Ich habe sieben Jahre in Rumänien gelebt und dort für Concordia gearbeitet und glaube immer mehr an das Gute im Menschen. Viele wollen das Ihre zum Gelingen beitragen.

Krone: Befürchten Sie, dass die Solidaritätsbewegung wieder kippen könnte? Es wäre nicht das erste Mal.

Burtscher: Anfangs ist die Solidarität immer stärker, das haben wir 2015 gesehen. Ich glaube aber wirklich an das Gute. Und wenn wir es schaffen, hier die Ärmsten der Armen mitzubetreuen, dann wird sogar deren Hilfsbereitschaft weiterbestehen bleiben. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen angesichts dieses Krieges nicht ganz auf Osteuropa vergessen. Wir arbeiten in Ländern, die ohnehin schon Hilfe benötigen. Dafür braucht es finanzielle Unterstützung.

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