Fusion gelungen

Seiler und Speer: Proletariat trifft Bourgeoisie

Wien
10.02.2022 00:35

Mittwochabend spielten die Austropop-Helden Seiler und Speer mit dem Max Steiner Orchester unter der Leitung von Christian Kolonovits ihre größten Hits im klassichen Gewand im restlos ausverkauften Konzerthaus. Nicht alles, was glänzte, war auch aus Gold, doch die vereinzelten Unkenrufe aus dem Vorfeld waren unnötig - die Fusion von U- und E-Musik gelang bereits ein zweites Mal. Heute und morgen gibt‘s im bereits ausverkauften Konzerthaus je ein da capo.

Die altehrwürdigen Mauern des noblen Wiener Konzerthauses wurden bereits vor zwei Jahren ordentlich durchgerüttelt, als die marketinggeschickten Brausehersteller aus Fuschl zur Erstauflage des „Red Bull Symphonic“ geladen haben. Die durchaus mutige, aber für so manche blasphemisch anmutende Allianz aus dem erfolgreichen Drum-&-Bass-Duo Camo & Krooked, Dirigent Christian Kolonovits und dem kundigen Max Steiner Orchester hat weder die Geschichte des Hauses ruiniert, noch den Untergang des kulturellen Abendlands heraufbeschworen. Der scheint nämlich kurz bevorzustehen, wenn man sich in den letzten Tagen mehr oder weniger unfreiwillig durch die Social-Media-Einträge graumelierter Feuilletonisten und Musikexperten klickte. Der Grund für die alarmistische Schnappatmung? Das Erfolgskonzept wird nach Corona-Pause wiederholt, dieses Mal mit den Austropop-Durchstartern Seiler und Speer. Ein Affront für Puristen.

Von der Gosse zu Puccini
Vorab: Klassik- und Architekturfreunde können beruhigt sein. Weder hat es den Stuck von den Wänden gebröselt, noch hat sich Richard Strauss im Grabe umgedreht. Im restlos ausverkauften großen Saal wurde einfach nur eine knapp 100-minütige Fusion von U- und E-Musik gefeiert, die mit sehr viel Herzblut und noch viel mehr Spielspaß dargeboten wurde. Warum auch sollte die Kombination aus Seiler und Speer mit Kolonovits nicht funktionieren, wenn sie sich bei „Ala bin“ oder dem SEILA-Song „Lights Down“ hinlänglich bewiesen hat? Die anfängliche Ehrfurcht der beiden quirligen Frontmänner weicht dann auch schnell einer sichtbaren Freude, die nicht auf die nötige Demut vergisst. „Von den Perücken und falschen Zähnen von ,Ham kummst‘ zu Puccinis ,O mio babbino Caro‘ ist schon net nix“, versucht sich Christopher Seiler zwischenzeitlich zu fangen, „den Sprung schaffst nicht innerhalb von zehn Minuten.“

Ziemlich genau in der Mitte des Programms ist die Show an ihrem Höhepunkt angekommen. „Ala bin“, schon ohne dicken Bombast eines der stärksten Austro-Lieder der letzten Dekaden, verwandelt sich durch die Orchestrierung in ein Klangmonster mit emotionaler Wirkung. Mittendrin geht man zurück in die 70er-Jahre und bettet Georg Danzers „Ruaf mi ned au“ ein, das mit der Sopranstimme der fabelhaften Juliette Khalil im Duett mit Seiler Gänsehaut verursacht und nach kurzer Pause in ein Klassik-Solo in Form von Puccini mündet. Hier stimmen die Arrangements perfekt und fügen sich ideal ineinander ein. Das gelingt zwar oft, aber nicht immer. Songs wie „Weck mi auf“ samt großem Chor oder das Brass-verstärkte „Bonnie und Clyde“ können in ihrer Gemengelage nicht immer vollends überzeugen. Auch bei „Principessa“ fühlt es sich manchmal so an, als würden beide Parteien zwar kundig und gut, aber doch hörbar aneinander vorbeispielen. „Hödn“ hingegen bietet sich ideal für eine orchestrierte Umsetzung an, krankt aber etwas am stark hervorgekehrten Pathos.

Inklusionserlebnis
Das tut weder der famosen Stimmung, noch dem Gesamtbild Abbruch. Die Stargäste geben dem Event eine klassische Note, die man in dieser Ausformung bei Camo & Krooked nicht erlebt hat. Geigerin Lidia Baich bekommt ebenso ihren Raum, wie das weltbekannte Orgelsolo „Toccata und Fuge D Moll“ von Johann Sebastian Bach, das theatralisch in den Abend leitet. Dieses temporäre Abkehren von den bekannten Seiler-und-Speer-Hits gibt dem Abend eine altbewährte Note, deren Dramaturgie sich nicht immer komplett zu erschließen mag. Vereinen und inkludieren gelingt überragend. Das Zusammenkommen von Kunstschaffenden und Kunstliebenden ist menschlich, wie Seiler schon früh im Programm prägnant anmerkt: „Wir haben hier ein Erlebnis, das kann man nicht mit Streaming oder Maschinen erleben. Sondern nur hier und jetzt.“ Trotz strenger Sitzplatz- und Maskenregel lässt sich das Publikum das nicht zweimal sagen und ist früh in kräftiger Feierstimmung.

Davon lässt sich der bekannt begeisterungsfähige Frontmann anstecken, der in voller Euphorie auch einmal eine Runde durchs Auditorium dreht und es manchmal gar nicht fassen kann, was hier und wie ihm geschieht. „Die größte Herausforderung wird es sein, das Hochkulturelle mit unseren typischen komödiantischen Elementen zu vermischen“, erklärte uns das Duo im Interview vor zwei Monaten. Diesen Spagat schaffen sie wie niemand sonst. Selten stehen das Proletariat und die Bourgeoisie auf einer einzigen Bühne so nah beieinander. Das Orchester lässt es manchmal an etwas Wucht und Bombast vermissen. Bei Nummern wie „Herr Inspektor“ oder „Principessa“ hätte sich deutlich mehr Raum für den klassischen Teil ergeben, dafür hätte die Pop-Fraktion aber noch mehr von ihrer Hit-Durchschlagskraft opfern müssen. So bleibt ein bittersüßer Beigeschmack, dass man manche Arrangements im Gesamtkontext etwas besser austarieren hätte können.

Zweimal geht’s noch weiter
Orchestererprobt haben sich Seiler und Speer vor der Pandemie mehrmals, aber die Langstrecke ist doch noch einmal ein anderes Kaliber. Höhepunkte gab es freilich auch zuhauf. Neben „Ala bin“ etwa Seilers Solo-Nummer „Lights Down“, die zur großen Überraschung in ein Duett mit Speer mündete. Dazu noch ein berührend-eindrucksvolles „Weust a Mensch bist“ und natürlich der Gassenhauer „Ham kummst“, den man wahrscheinlich sogar als Free-Jazz-Grindcore-Version ins Radio bringen könnte. Ein echter Hit beweist sich mitunter dadurch, dass er sich wunderbar durch unterschiedliche Genres und Nischen schlängeln kann. Davon haben die beiden einige im Köcher. „Red Bull Symphonic“ geht übrigens heute, Donnerstag und morgen, am 11. Februar, noch zweimal im Konzerthaus weiter. Jeweils restlos ausverkauft. Alle zu kurz Gekommenen dürfen sich aber auf die mitgeschnittene DVD/CD später im Jahr freuen. Am 25. März ist das erste „Red Bull Symphonic“-Konzert außerdem ab 22.10 Uhr bei Servus TV zu sehen.

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