Zeuge berichtet

Junger Flüchtling von Schlepper eiskalt erschossen

Österreich
06.12.2021 06:00

Weil sich ein Migrant auf der Odyssee nach Österreich nicht mit 46 anderen in einen Kastenwagen pferchen lassen wollte, musste er sterben. Die „Krone“ hat das dramatische Protokoll eines Mitgeflüchteten ...

Eigentlich ist der Zeuge Anas T. (Name geändert) ein lebensfroher Mensch. Doch sobald der Syrer über seine Flucht erzählt, spricht er mit versteinerter Miene. Er hatte jahrelang einen guten Job in der Öl- und Gasbranche, war geschäftlich oft in Dubai und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bis der kräftig gebaute Mittdreißiger sein Auto zufällig einem Mann verkaufte, der viele Feinde hat. T. geriet selbst ins Fadenkreuz. „Ich musste fliehen, sonst wäre ich schon tot“, sagt er. Mit 3000 Euro ging der Familienvater fort. Seine Frau und seine drei Kinder ließ er zurück. „Es war sicherer für sie.“

Ganz legal flog der Syrer am 28. Juli nach Tirana, Albanien. Von dort schlug er sich allein bis Serbien durch. In einem Hotel in Sombor, wo viele Flüchtlinge einen Zwischenstopp einlegen, stieg er ab. „Ich traf einen Mittelsmann, der sofort 500 Euro von mir wollte.“

Menschenhändler nahmen die Mobiltelefone weg
„In vier Taxis wurden wir bei Subotica in die Nähe der Grenze zu Ungarn gebracht. Dort nahmen uns zwei Vermummte zu Fuß in Empfang, kurz darauf kamen weitere zwei dazu, die plötzlich aus einem Maisfeld aufgetaucht sind. Uns allen wurden die Handys abgenommen.“ Mit zwölf Syrern und drei Ägyptern ist T. durch die Nacht marschiert.

Schockierende Szenen spielten sich ab, als die Schlepper die Flüchtlinge frühmorgens per Schlauchboot über die Donau nach Ungarn bringen wollten. Noch in Serbien kam es zum Streit. „Ein groß gewachsener Marokkaner verweigerte das Boot. Noch mehr regte ihn auf, dass er danach mit 46 Flüchtlingen in einen Kastenwagen gepfercht werden sollte“, schildert T. Die Bootsführer, die Strümpfe wie bei einem Bankraub über ihre Köpfe gezogen hatten, sollen mit abgebrochenen Ästen auf den Nordafrikaner eingeschlagen haben.

„Als der junge Mann schon am Boden lag, zog ein Täter eine Pistole und schoss dreimal auf ihn. Schulter, Oberschenkel und Bauch wurden getroffen.“ Der Tote wurde wie Müll liegen gelassen.

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Als der junge Mann schon am Boden lag, zog ein Täter eine Pistole und schoss dreimal auf ihn. Schulter, Oberschenkel und Bauch wurden getroffen.

Der Flüchtling über den schockierenden Vorfall

„Danach hatten alle furchtbare Angst“
„Danach hatten alle furchtbare Angst. Wir stiegen ins Boot“, erinnert sich T. Auf der anderen Seite des Ufers verharrte die Gruppe lange im Wald. „Drei Tage kein Essen, drei Tage nichts zu trinken. Und es regnete.“ T. musste weitere 1500 Euro zahlen, dann hockte er mit 45 Männern, Frauen, Kindern und Babys auf engstem Raum im Kastenwagen. Vor der Grenze Spielfeld ein Reifenplatzer - Unfall!

„Wir klopften, aber keiner hörte uns. Wir bekamen fast keine Luft mehr. Erst als es uns gelang, die Türen aufzutreten, waren wir gerettet.“

Nach Österreich gelangten sie zu Fuß. Einen Monat war T. auf der Flucht. Von seinen 3000 Euro sind nur noch 100 Euro übrig. Jetzt hilft der Syrer bei den Ermittlungen. Sein aufrüttelnder Bericht beschäftigt das Bundeskriminalamt.

Christian Schulter
Christian Schulter
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