Kinderporno-Skandal

Paul Zulehner: „Kein Kind darf zum Opfer werden“

Steiermark
05.12.2021 06:00

Paul Zulehner, Pastoraltheologe und so etwas wie die moralische Instanz der römisch-katholischen Kirche in Österreich, spricht im „Krone“-Interview über den Kinderpornoskandal in der Steiermark und seine Auswirkungen. Sein Vorschlag: Nur sexuell reife Personen sollen in das Priesterseminar aufgenommen werden.

„Krone“: Bei einem weststeirischen Pfarrer wurde Kinderpornografie beschlagnahmt. Die Diözese Graz-Seckau hat in der Kommunikation nur sehr zögerlich reagiert. Was hätten Sie den Verantwortlichen geraten?
Paul Zulehner: Ich bin jemand, der glaubt, dass ein derartiger Fall nicht nur die Kirche angeht, sondern dessen Aufklärung im Interesse der gesamten Öffentlichkeit ist. Die Kirche hat sich so kooperativ wie nur möglich zu verhalten. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zug, und die sollte man mit vollen Kräften unterstützen, ihre Arbeit zu tun.

Warum hat man das Gefühl, dass sich die Kirche äußerst schwer tut, derartige Fälle aufzuarbeiten?
Vorweg möchte ich festhalten, dass ich ein Verfechter des Schutzes aller Kinder bin. Kein Kind darf Opfer von solchen Handlungen werden. Aber ich glaube dennoch, dass die Kirche gelernt hat, gegen derartige Vorfälle mit offenem Visier vorzugehen. Gerade Papst Franziskus hat immer wieder seinen Standpunkt einer diesbezüglichen Null-Toleranz-Politik klar gemacht. Ich glaube, dass die Kirche hier schon weiter ist, als es viele sehen wollen - die Fallhöhe ist aber natürlich auch höher. Aber noch einmal, jedes Kind verdient Schutz, gerade in der Kirche.

Trotzdem hat man den Eindruck, die Kirche würde derartige Vorfälle am liebsten aussitzen. Täuscht das?
Für die Diözese Wien kann ich das absolut verneinen. Schon nach den Vorfällen um Kardinal Groër wurde ein Symposium abgehalten. Aus meiner Sicht hat man hier auch klare Regeln gemacht, die auch eingehalten werden. Sollte ein derartiger Vorfall gemeldet werden, muss die Diözese binnen 24 Stunden reagieren. Der Betroffene ist sofort außer Dienst zu stellen und bleibt das auch bis zur endgültigen Aufklärung. Ich glaube, wir müssen als Kirche woanders ansetzen.

Was meinen Sie damit?
Es kann nicht sein, dass offenbar sexuell unreife Personen, die in ihrer Entwicklung steckengeblieben sind, in das Priesterseminar aufgenommen werden. Hier braucht es ein viel schärferes Ausschlussprogramm: Beim Aufnahmegespräch reicht nicht mehr die Frage: „Bist du fromm?“ Sondern auch: „Wie steht es um deine sexuelle Entwicklung?“ Mit Kindern dürfen nur sexuell reife Leute arbeiten, sonst macht man sich ja mitschuldig. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche diesen Themen große Aufmerksamkeit schenkt.

Vor wenigen Wochen sorgte der Pfarrer aus Hartberg mit speziellen Predigten und Videos für Schlagzeilen, etwa auf einem Freizeitsee in einem Boot sitzend. Er erhielt sofort einen Ordnungsruf aus Graz - für viele Menschen stimmt da die Relation nicht. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kenne und schätze den Pfarrer Reisenhofer sehr. Er hat das manchmal vielleicht etwas provokant gemacht, aber im Grunde geht es ja auch ihm nur darum, die Kirche aus ihrer starren Position zu befreien. Während der Pandemie war etwa erkennbar, dass die evangelische Kirche gerade auch bei Online-Gottesdiensten viel flexibler als wir waren. Wir sind bei der Gestaltung der Gottesdienste vielleicht zu restriktiv.

Wie könnte man dies ändern?
Neben den normalen Gottesdiensten müssten wir uns viel mehr der Jugendkultur zuwenden. Wir müssen einfach für junge Menschen attraktiver werden - die Messe wird ja immer mehr zu einer Seniorenveranstaltung. Es kann und darf nicht sein, dass die Kirche für die Jugend zu fad ist und sie bei uns kein Zuhause findet. Die Jesuiten in Wien zeigen es mit ihren Abendmessen für Jugendliche vor, wie es funktionieren kann. Aber natürlich braucht es da viel Feingefühl, man darf auch niemanden vor den Kopf stoßen.

Corona spaltet unsere Gesellschaft. Könnte die katholische Kirche nicht gerade jetzt ihre Stärke nutzen und als verbindendes Element einsetzen?
Das ist eine sehr sensible Frage. Eine der tiefen Sorgen unserer Zeit ist es ja, wie bekomme ich unterschiedliche Werte unter einen Hut - also Freiheit und Gesundheit oder auch Ökologie und Ökonomie. Es braucht jedenfalls eine Kultur des Brückenbauens. Die Kirche müsste jetzt eigentlich sagen, wir bringen euch zusammen an einen Tisch und dann reden wir einmal - und finden einen Kompromiss.

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