Tour durch Österreich

Fischer-Z: Punk ist eine Frage der Einstellung

Musik
08.10.2021 06:00

John Watts begeistert solo oder mit Fischer-Z seit mehr als vier Dekaden den New-Wave- und Post-Punk-Underground. Auf seinem neuen Abum „Til The Oceans Overflow“ verbindet er einmal mehr zeitgemäßes Songwriting mit den klassischen Stärken aus seiner Vergangenheit. Im Interview blickt Watts zurück auf seine Vergangenheit und sorgt sich um die Zukunft.

(Bild: kmm)

Oft ist von den „weißen alten Männern“ die Rede, die ihren Zenit und ihren Status in der Musikszene längst überschritten hätten. Und fürwahr, wenn man verdiente Granden und Grantler wie Eric Clapton oder Van Morrison gegen Corona-Maßnahmen und Impfstrategien wettern sieht, dann kann es einem als progressiv ausgerichteten Musikfan, der gerne wieder in Freiheit und ohne Gesundheitsbedenken Konzerte abfeiern möchte, schon ganz anders werden. Aber wie in allen Lebenslagen gilt: pauschalisieren ist ungesund, denn es geht auch anders. Ein gutes Beispiel dafür ist der Brite John Watts, der in drei Jahren seinen 70er feiert und mit seinem Projekt Fischer-Z allen Corona-Wirren trotzt, um mit dem neuen Album „Til The Oceans Overflow“ auch gleich auf ausgedehnte Herbsttour im deutschsprachigen Raum zu gehen. Und auch inhaltlich ist von Realitätsverweigerung oder Aluhut-Optik nichts zu bemerken. Die einstige New-Wave-Legende mit Punk-Gestus mag auf seinem 25. Studioalbum schon altersmilde geworden sein, hat aber trotzdem noch einiges zu sagen.

Punk = Attitüde
Der Opener „Choose“ und der Titeltrack spielen auf die Klimakrise und unseren Umgang mit dem Planeten an, „A.I.Owns.U.“ ist eine kritische Abhandlung mit dem Aufkommen und flächendeckenden Durchsetzen der Künstlichen Intelligenz und bei „Selfish Mirror“ oder „Narcissus Took Me Down“ geht Watts mitunter selbstkritisch ans Werk und mokiert sich über die Selbsterhöhung und Einbildung von Menschen und sogenannten Eliten. Musikalisch ist „Til The Oceans Overflow“ auf den ersten Hör tatsächlich relativ weich und wenig kantig ausgefallen, doch zwischendurch lässt Watts den Anti-Establishment-Punk der späten 70er-Jahre immer wieder von der Leine. „Für mich hat Punk mit der richtigen Attitüde zu tun“, erzählt uns Watts im „Krone“-Gespräch, „Andy Warhol, Jackson Pollock oder auch Karlheinz Stockhausen waren genauso Punks. Aber alle Menschen verändern sich im Laufe der Jahre, das ist ganz normal. Wichtig ist nur, dass du dir deine Haltung und Werte bewahrst.“

„Til The Oceans Overflow“ ist für Fischer-Z-Fans schon auf den ersten Blick eine Reminiszenz auf das 1981er-Kultwerk „Red Skies Over Paradise“. Nur dass das Cover-Artwork nicht mehr ganz so dystopisch wirkt und etwas lebensbejahender in die Zukunft schaut. Anstatt sich wie andere Künstler an der x-ten Wiederauflage mit Bonustracks und unveröffentlichten Instrumentalpassagen zu ergehen, hat sich Watts während Corona lieber Zeit für ein ganz neues Album genommen. In den legendären Berliner Hansa Studios baute er das Grundgerüst für die Songs, seine immer wieder wechselnden Mitstreiter haben per Home-Studio und Filesharing für den Zusammenbau des neuen Werks gesorgt. Das Album spielt wieder in Berlin und kontrastiert die persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zwischen 1980 und 2020. Das Internet und die sozialen Medien haben die Freiheiten und die Manipulierbarkeit der Menschen über die Jahre radikal beeinflusst. Charaktere, die in den Liedern der 80er-Jahre erwähnt wurden, werden nun 40 Jahre später wieder aufgegriffen, um einige dieser Veränderungen zu veranschaulichen. So werden Themen von Hits wie „Marliese“ aktualisiert und in die Gegenwart transferiert.

Zufriedener Exzentriker
Die ständige Weiterentwicklung und das Vorausschauen durchziehen Watts‘ Karriere. Ruhm und Erfolg waren ihm stets zweitrangig, sonst hätte Watts Fischer-Z 1981 nach dem Überraschungserfolg „Red Skies Over Paradise“ nicht für sechs Jahre aufgelöst, nur um dann als quasi-Solokünstler mit unterschiedlichen Mitstreitern bis heute zurückzukehren. „Ein Auf und Ab im Leben gehört dazu, ich habe aber das Glück, dass ich mit Songschreiben und Livespielen seit 45 Jahren überleben kann“, rekapituliert Watts, „das ist ein unglaubliches Privileg, das viele meiner reichen Freunde in der Szene oft vergessen. Viele sehen mich in der Szene als Exzentriker, aber ich fühle mich sehr glücklich und bin mit meinem Leben zufrieden.“ Dass Musik nicht mehr den Stellenwert von früher hat, damit kommt Watts mittlerweile halbwegs klar. „Kids haben heute Social-Media-Kanäle und ihre Computerspiele. In den 60er-Jahren hatten die Beatles einen ultimativen Einfluss auf die Jugend, das ist heute ganz anders. Heute sind es die Influencer, die beeindrucken. Typen, die irgendwelche Hasen streicheln oder sich 150.000 verschiedene Nagellacke auf die Fingernägel auftragen.“

Watts sieht sich selbst als musikalischen Vagabunden, der sein Leben „on the road“ definiert und daher auch in diesen prekären Zeiten so viel wie möglich live spielt. Dass Alben längst nur mehr die Unterlage für Tourneen sind und nicht andersrum stört ihn nicht. Nebenbei betätigt er sich auch noch als Gedichteschreiber, Maler und ist immer wieder an Theaterprojekten beteiligt. „Das geschieht alles ganz automatisch. Früher musste man drei Alben in zwei Jahren schreiben und das Label war glücklich. Den Rest der Zeit warst du auf Tour. Heute bin ich, wenn möglich, einfach noch mehr auf Tour. Ich schreibe über Dinge, die mich interessieren. Über Menschliches, denn ich bin ein Humanist und glaube fest daran, dass jeder Mensch das Recht hat, ein glückliches Leben zu führen. Niemand sollte hungern, arm oder obdachlos sein. Es wäre so einfach, wenn wir uns alle an diese simplen Dinge halten und etwas dafür tun würden. Mittlerweile brauchen wir aber wohl eine Invasion aus dem All, um diese Welt noch zu retten.“

Folgenschwere Entscheidung
Watts bodenständiger Zugang zum Leben und zum Sein resultiert mitunter aus seiner frühen Vergangenheit. Er studierte klinische Psychologie und ist nicht, wie viele andere, ausschließlich mit dem „Kunstlöffel im Mund“ aufgewachsen. „Ich habe schon deshalb nicht so viel Respekt vor der ,Church Of Rock’n’Roll‘ wie andere. Ich habe als Psychologe mit Kindern gearbeitet, die Autos anzündeten und mit Erwachsenen, die sich in ihrer Zerstörungswut den Oberarm aufschlitzten. Ich hatte immer einen anderen Zugang zum Musikbusiness und mich stets gegen die multinationalen Plattenfirmen gewehrt. Anstatt mit Fischer-Z damals nachzulegen und auf der Erfolgswelle zu reiten, wollte ich ein Soloalbum machen. Dafür hatte ich einen siebenstelligen Betrag abgelehnt und meinem Manager fiel damals das Gesicht zusammen. Hinter den Kulissen wurde ich für diese Entscheidung aber immer respektiert. Meine Botschaft ist einfach: du kannst nicht einfach jeden um jeden Preis kaufen. So funktioniert das Leben nicht. Und deshalb bin ich auch noch immer da.“

Diese Lebenserfahrungen trägt er ohne belehrenden Zeigefinger an seine fünf Kinder weiter. „Ich habe ihnen immer gesagt, dass ein Uniabschluss allein keinen Job garantiert. Es ist okay, wenn man sich im Leben an unterschiedlichen Dingen versucht und ein paar Mal danebengreift. Wichtig ist nur, dass man etwas versucht. Ich habe als junger Mann zwei Jahre in einer psychiatrischen Anstalt gearbeitet. Die Leute haben mit Scheiße nach mir geworfen und versucht Fenster einzuhauen. Daneben habe ich auch Cricket und Rugby gespielt und all das hat mich für die abendlichen Punk-Shows gestählt. Ich konnte dort meine überschüssige Energie rauslassen.“ Das Kunstverständnis von Watts scheint in Zeiten der übertriebenen Political Correctness aus der Zeit gefallen zu sein. „Kunst soll provozieren und zum Nachdenken bringen. Dafür ist die Jugend zuständig. Ich sorge immer noch dafür, dass meine Livekonzerte nicht glattpoliert und allzu erwartbar sind.“

Live in Österreich
Fischer-Z aka John Watts machen diesen Herbst gleich viermal in Österreich Station. Am 19. November im Conrad Sohm in Dornbirn, am 20. November im Röda in Steyr, am 21. November im Salzburger Rockhouse und am 23. November im Wiener WUK. Alle weiteren Infos und Karten erhalten Sie unter www.oeticket.com.

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