„Krone“-Interview

Joey Jordison: Kultmusiker mit Entschlossenheit

Musik
11.08.2021 06:00

Der viel zu frühe Tod des Slipknot-Mitbegründers und der Drummer-Legende Joey Jordison mit nur 46 Jahren hallt noch immer nach. Wir bringen hier noch einmal unser Interview mit dem Kultmusiker und seinem Bandkollegen Frédéric Leclercq, das wir im Rahmen ihres Auftritts mit der Band Sinsaenum in der Wiener Szene im Oktober 2018 geführt haben. Dabei ging Jordison am Ende auch noch einmal auf seinen wesentlich verbesserten Gesundheitszustand ein.

(Bild: kmm)

„Krone“: Frédéric, Joey - ihr beide seid schon länger Freunde. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Joey Jordison:
Slipknot und Dragonforce, unsere Hauptbands, waren einmal gemeinsam in Europa und dann in den USA auf Tour. Dort haben wir uns kennengelernt und waren stets im Dressing Room der anderen unterwegs. Eines nachts haben wir uns zusammengesetzt und über unsere Liebe zum Death Metal gesprochen, was schließlich zum Gedanken an ein Side-Project führte. Viele Musiker reden über so etwas, wenn sie auf Tour sind und dann passiert genau gar nichts. In diesem Fall hat es aber geklappt.
Frédéric Leclerqc: Wir waren schwer beschäftigt und sind nach der Tour wieder unserer Wege gegangen. Joey schrieb mir dann mal eine Nachricht und ich habe ihm gleich gesagt, dass ich immer noch an diesen Death-Metal-Songs arbeite, über die wir sprachen. Er hörte sie sich an, fand sie genial und fragte, wer das Schlagzeug spielen würde. Ich sagte „du“ und das war es im Endeffekt. (lacht)

Was ist die besondere Magie, die eurer Arbeitsbeziehung unterliegt?
Leclerqc:
Gute Frage, es gibt keine wirkliche Erklärung dafür. Wir kommen gut miteinander aus und haben einen ähnlichen Musikgeschmack. Auf Tour triffst du viele Leute, aber nur selten funktioniert es so gut wie zwischen uns. Mit Sinsaenum wollte ich einfach Musik mit Menschen machen, die ich mag. Alte Freunde und gute Musiker. Das ist natürlich ein Plus, denn mein allerbester Freund ist ein Franzose, der gar kein Musiker ist. (lacht) Es sollte nicht nur Business, sondern zuallererst Spaß sein.

Dass Joey auf brutalen Metal steht weiß man. Die Dragonforce-Fans waren bei dir, Frédéric, aber sicher überrascht, dass du auch ganz anders kann. Hast du ein Ventil gebraucht, um Dampf abzulassen?
Leclerqc:
Die Leute kennen mich von Dragonforce und glauben wohl, dass ich den ganzen Tag nur Power Metal hören würde. Das ist weit von der Wahrheit entfernt. Meine besten Freunde wissen, dass ich Death Metal immer geliebt habe. Ich war schon bei Loudblast und jetzt hier und die Jungs wissen, dass hier drin meine wahre Identität steckt. Mit dem ersten Sinsaenum-Album musste ich den Leuten beweisen, dass ich Death Metal nicht nur mag, sondern auch beherrsche. Die Menschen sollten diese Band nicht ignorieren, nur weil ich Power Metal spiele. Das wäre dumm.

Im Endeffekt ist das Ganze ein klassisches All-Star-Projekt, aber so eine Klassifizierung wirft natürlich einen Riesenschatten über alles. Ist es schwierig, sich davon zu emanzipieren?
Leclerqc:
Die Leute müssen ein Konzert besuchen und selbst urteilen. Wir setzen kein Puzzle zusammen, das kalkuliert ist. Das wäre falsch.
Jordison: Im Internetzeitalter kannst du einfach reinklicken und dir selbst ein Bild machen. Unsere Songs sind auf magische Art und Weise entstanden. Wir haben mittlerweile zwei Alben rausgebracht, sind oft auf Tour und nehmen das Ganze wirklich ernst. Das dritte Werk ist bereits im Entstehen und ich kann dir garantieren, dass diese Band kein Ferien-Nebenvergnügen darstellt.

Frédéric, die ersten Ideen für dieses Death-Metal-Projekt hattest du schon vor etwa 20 Jahren. Ist davon etwas übriggeblieben, das wir heute hören?
Leclerqc:
Mir ist es ziemlich egal, was damals in war und was heute. All diese Metalcore-Trends sind mir egal. Wir wollten den Death Metal so umsetzen, wie wir ihn als Kids entdeckt haben. Natürlich mit einem eigenem Leben und eigenen Einflüssen, aber es ist nicht leicht zu erklären, wie unsere Musik entsteht. Natürlich steckt da Nostalgie dahinter, aber wir hören ja nicht nur Metal. Ich höre auch Billy Joel, Klassik und Videospiel-Musik. All das fließt bei Sinsaenum ein. Wir wollen mit unserer Musik die dunkle Seite des Lebens ausdrücken. Den Hass, die Trauer, die Schwierigkeiten im Leben. Mit Death Metal haben wir die perfekte Unterlage dafür gefunden.
Jordison: Das ist schon seit langer Zeit in uns. Ich habe immer wieder in Death-Metal-Bands gespielt, seit vielen Jahren, aber ich hatte nie die richtigen Leute gefunden, mit denen ich arbeiten wollte. Fred war der Richtige dafür und die anderen Jungs passen perfekt zu uns. Es sollte einfach so geschehen und deshalb sind wir hier. Wir fokussieren uns stark auf diese Band und nehmen sie wirklich ernst. Die Zukunft bringt noch viel.
Leclerqc: Ein Song aus dem Jahr 1998 namens „The King Of The Desperate Lands“ landete auf der EP „Ashes“ und wir haben davon auch eine japanische Version veröffentlicht. Im Internet findest du diese Version sicher noch, das ist quasi der Ursprung meines Songwritings im Death Metal. Der Song wurde auf einem Vier-Spur-Gerät aufgenommen, hat sich aber nur wenig verändert. Er ist einfach ehrlich und authentisch. Wir sind keine Supergroup, die nur auf Kohle aus ist.
Jordison: Manche Songs klingen bewusst solide und heben nicht völlig ab. Egal wo und vor wem wir spielen - für uns ist das ein großes Privileg. Allein schon, dass die Leute uns und unsere Musik respektieren. Wenn die Fans dann auch noch mitsingen, dann ist das einfach magisch. Es klingt zwar komisch für Death Metal, aber die Zukunftsaussichten mit der Band erfreuen mich ungemein. Wir bewegen uns wirklich rasant nach vorne - auch mit unseren Familien, in unseren Persönlichkeiten und als Band. Wenn wir auf die Bühne gehen, dann spüren wir einfach, was hier Besonderes dahintersteckt.

Ihr seid ja jetzt nicht nur bei Sinsaenum engagiert. Bleibt für diese Band genug Zeit?
Leclerqc:
Wir schaufeln uns die Zeit einfach frei. Das Album für Dragonforce ist fertig und wird im September 2019 rauskommen, also bleibt derzeit genug Zeit für Sinsaenum. Ich habe noch ein anderes Projekt mit dem Gitarristen von Mary’s Blood, das japanische Komponenten beinhält. Auch das macht mir irrsinnig viel Spaß, denn ich liebe Japan. Eine Band würde reichen, aber ich will mich vielseitiger ausdrücken. Ein Schauspieler wird es auch okay finden, wenn er seinen Lebensunterhalt mit einem Filmgenre verdient, aber in seiner Profession will er bestimmt breiter aufgestellt sein und auch Tragödien, Drama, Komödie und Thriller spielen.

Dass ihr weit über die Metalgrenzen hinausdenkt beweist nicht zuletzt euer Melvins-Cover von „Hooch“. Wollt ihr künftig noch weiter die Pfade austreten und euch vielseitiger zeigen?
Leclerqc:
Synthie-Sounds gefallen mir gut, Carpenter Brut etwa, aber ich will keinesfalls auf einen Trendwagen aufspringen. Auf der japanischen Version von „Ashes“ haben wir mit einem japanischen Künstler kooperiert, der mit Babymetal arbeitet. Mit der Elektronik haben wir schon öfter experimentiert, aber es ist noch zu früh, um es zu veröffentlichen. Wir haben derzeit viel zu viel Spaß dabei, brutalen, vernichtenden Death Metal zu spielen, aber wir schließen Elektronik nicht aus. Wir sind Musiker und es gibt viele Dinge, die wir uns vorstellen können. Das Melvins-Cover war cool, auch weil Joey die Band liebt. Ich kannte die Band, aber nicht den Song „Hooch“. Joey wollte „Honey Bucket“ covern, aber wir haben uns dann doch auf „Hooch“ geeinigt, das schien uns passender.
Jordison: Wir haben quasi alles in einem Take eingespielt und die Sache war erledigt.
Leclerqc: Auch das Video haben wir in einem Take eingespielt. Es hat sich einfach spontan so ergeben, das war wirklich lustig. Wir haben einfach Spaß, böses Zeug zu machen. (lacht)

Und ihr habt genug Selbstsicherheit, denn wer bei euch auf einen Slipknot-Song wartet, der wird dabei alt und grau.
Jordison:
Das war nie ein Thema. Wer so etwas hören will, soll zum Konzert dieser Band gehen oder daheim seine Anlage aufdrehen.
Leclerqc: Wir haben das in Interviews immer klar gemacht, dass wir unsere anderen Bands nicht covern werden. Ich kann schon verstehen, warum die Leute das hören wollen, aber das war niemals ein Thema für uns. Wenn ich Lust auf McDonald’s habe gehe ich doch auch nicht zu Burger King. (lacht) Ich sehe keinen Sinn dahinter, eine Death-Metal-Version von Dragonforce-Songs zu springen. Natürlich fragen die Leute immer wieder, aber es ist einfach kein Thema.

Aber gerade einen Dragonforce-Song brutal zu machen und auf Death Metal umzuschlagen, stelle ich mir gar nicht mal so uninteressant vor…
Leclerqc:
Ich will das mit Sinsaenum gar nicht probieren, das sind zwei verschiedene Baustellen. Ich versuche die Bands irgendwie näherzubringen. Mit Dragonforce haben wir „Evil Dead“ von Death gecovert, damit die Power-Metal-Bands einen Einblick in die Welt des Death Metal kriegen. Ich sehe aber keinen Sinn dahinter, das umgekehrt auch zu machen. (lacht) Im Prinzip ist meine Botschaft eher: Hört einfach mehr Death Metal.

Habt ihr für euer aktuelles Album „Repulsion Of Humanity“ auf ältere Ideen zurückgegriffen, oder sind das durchwegs neu geschriebene Nummern?
Leclerqc:
Es gab schon noch ältere Ideen, aber nur mehr sehr wenige. „Echoes Of The Tortured“ hatte Riffs, die wirklich alt waren. Ein Grund dafür war, dass wir uns selbst erst einmal beweisen mussten, dass diese Ideen nicht umsonst niedergeschrieben wurden. Wir wollten ein Album haben, das zu 100 Prozent Death Metal ist und auch die Klischees des Genres erfüllt. Es war vollkommen ehrlich, denn ich wollte ein Album schreiben, das ich 1996 gekauft hätte. Eine Mischung aus Pestilence und Morbid Angel. Das gelang uns mit dem Debüt meiner Meinung nach gut. Nachdem das Feedback wirklich gut war, wurden wir selbstsicherer und haben uns mehr auf die neuen Ideen und eine leichte Neuausrichtung konzentriert. Auf dem ersten Album sind hauptsächlich Songs, die ich nur für mich geschrieben habe und am neuen sind wir kollaborativer vorgegangen.

Gibt es eine Art roten Faden, der durch die Texte auf dem Album geht?
Leclerqc:
Es ist für uns ein Ausdruck für all die Wut und den Hass, der in uns schwelt. Ich mag Menschen und diese Gesellschaft nicht. Ich bin eigentlich ziemlich asozial, auch wenn das gerade anders wirkt. (lacht) Ich bin der Meinung, dass die Menschheit eine reine Zeitverschwendung ist und da inkludiere ich mich selbst natürlich auch. Ich sehe einfach keine Chance auf eine Wende, denn die Evolution hat uns zu Bestien gemacht. Schau uns an, wie wir uns aufführen und die Welt ruinieren. Wenn du auf Social Media gehst, wirst du wahnsinnig. Wie sind wir so geworden? Warum sind wir so geworden? Vielleicht werde ich einfach nur alt und grantig, aber viele Leute, die mit Metal zu tun haben, fühlen sich etwas ausgeschlossen. Menschen gehen mir einfach am Nerv. Ein weiser Mann sagte einst: „People = Shit“. (lacht)
Jordison:(lacht) Ich habe keine Ahnung, wer diesen Titel erfunden hat. Ich glaube die Idee dafür hatte ich schon 1997 oder 1998. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.
Leclerqc: Joey war ein Visionär. Es drehen sich nicht alle Songs darum, aber es geht manchmal auch um Serienmörder und andere Klischeedinge. Am Ende des Tages geht es um die Schwärze im Leben, negative Dinge. Natürlich verwenden wir ähnliche Themen wie andere Bands, aber die Musik ist mir wichtiger als der Text. Für mich kann kein Wort das ausdrücken, was ein Riff oder eine Melodie auszudrücken vermag.

Einer meiner Favoriten auf dem Album ist der „Swan Song“. Der Schwanengesang ist metaphorisch gesehen ja der Abschied und das Ende von etwas.
Jordison:
Ich will dir nicht die Frage stehlen, aber ich finde es interessant, dass du das sagst. Es ist auch mein Favorit, wir haben uns in der Band schon oft über diesen Track unterhalten. Er hat einfach so viel Power.
Leclerqc: Es war der letzte Song, den wir für das Album geschrieben haben. Wir suchten für Jänner noch ein Studio in Frankreich, was im Dezember nicht einfach war. Wir wollten einen kalten Song mit einem Darkthrone-Vibe. Wir waren spät dran, haben ihn aber noch fertiggestellt.
Jordison: Der Song kommt von Herzen und ist verdammt kalt. Auch wenn er einer unserer dunkelsten Songs ist, trägt er sehr viel Schönheit in sich. Wenn du ihn hörst, dann genießt du plötzlich das Leben. Egal was noch kommen mag und was wir noch veröffentlichen werden - wir haben mit dem „Swan Song“ auf jeden Fall eine Nummer geschrieben, die die Zeiten überdauern wird.

Joey, du hattest die letzten Jahre viele gesundheitliche Probleme, die dich ordentlich mitgenommen haben. Inwiefern musstest du dein Leben seither umstellen bzw. verändern?
Jordison:
Das ist jetzt zum Glück alles vorbei. Die Rückenmarksentzündung kam damals aus dem Nichts. Meine Ärzte wussten auch nicht Bescheid und ich hatte das Gefühl in meinen Füßen komplett verloren. Ich ließ der Krankheit aber nie die Oberhand, holte mir die richtigen Trainer und habe mich in Form gebracht. Ich war die ganze Zeit im Fitnessstudio und war mir sicher, dass ich wieder Musikmachen und auf Tour gehen würde. Es gab keine andere Option für mich. Die Krankheit hätte mich zwischendurch aber fast in die Knie gezwungen. So schockierend diese Diagnose auch wahr, so cool war der Moment dazu. Er hat mir nämlich gezeigt, welche Entschlossenheit ich als Mensch aufbrachte, um aus diesem Strudel zu kommen. Das gelingt nicht jedem, aber bei mir hat es geklappt. Danke dir für diese Frage!

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