Auch Freundin in Haft

Blogger Protassewitsch: Panik vor Landung in Minsk

Ausland
24.05.2021 20:44

Panik erfasst Roman Protassewitsch an Bord der Ryanair-Maschine von Flug FR4978, als dem regierungskritischen Journalisten klar wird, dass das Flugzeug seinetwegen umgeleitet und zur Landung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gezwungen wird. Schon bevor der im Exil lebende Oppositionelle am Sonntag in Athen das Flugzeug in Richtung Vilnius bestieg, hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden, wie der weißrussische Nachrichtenkanal „Nexta“ berichtete, dessen Chefredakteur Protassewitsch früher war. In Minsk schleifte man ihn mit Gewalt aus dem Flugzeug, wie Zeugen berichten. Am Montagabend bestätigten die weißrussischen Behörden seine Festnahme. Mittlerweile ist bekannt: Auch Protassewitschs Freundin sitzt in einem Minsker Gefängnis. 

„Er geriet in Panik und sagte, dass dies seinetwegen sei“, beschrieb die 40-jährige Monika Simkiene, die ebenfalls in der Ryanair-Maschine saß, die Minuten im Flugzeug vor der Landung in Minsk. „Er hat sich einfach zu den Leuten umgedreht und gesagt, dass ihm die Todesstrafe droht“, fügte sie hinzu. Als Protassewitsch nach der Landung gemerkt habe, dass seine Festnahme bevorstehe, sei er aber plötzlich „sehr ruhig“ geworden.

„Es war ihm anzusehen, dass er große Angst hatte“
Andere Mitreisende berichteten, wie der junge Mann noch an Bord der Maschine seine Taschen leerte und einige Gegenstände seiner Freundin anvertraute, die wenig später allerdings ebenfalls am Flughafen von Minsk festgenommen wurde. „Er hat nicht geweint, aber es war ihm anzusehen, dass er sehr große Angst hatte“, sagte der Passagier Edvinas Dimsa. „Man kann sagen, dass er gesprungen wäre, wenn ein Fenster in dem Flugzeug offen gewesen wäre.“

Die Boeing wurde nach Informationen der auf die Flugverfolgung spezialisierten Internetseite Flightradar24 über weißrussischem Gebiet, kurz vor der Grenze zu Litauen, abgefangen. An Bord der Ryanair-Maschine saßen auch Agenten des weißrussischen Geheimdienstes KGB, wie der derzeitige „Nexta“-Chefredakteur Tadeusz Gicsan berichtete. „Als das Flugzeug in den belarussischen Luftraum einflog, begannen KGB-Offiziere ein Gerangel mit dem Ryanair-Personal.“ Sie behaupteten demnach, an Bord sei eine Bombe.

Bombendrohung als Vorwand
Unter dem Vorwand einer angeblichen Bombendrohung der Hamas wurde der Ryanair-Flieger zur außerplanmäßigen Zwischenlandung in Minsk gezwungen, abgefangen von einem Kampfjet des Typs MiG-29, der auf Geheiß des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko aufgestiegen war. Es ist ein beispielloser Vorgang, der international massive Proteste und Sanktionsandrohungen zur Folge hat.

Behörden bestätigen U-Haft
Am Montagabend bestätigten die Behörden schließlich die Festnahme von Protassewitsch. Er sei in Untersuchungshaft genommen worden, teilte das Innenministerium am Montagabend im Nachrichtenkanal Telegram mit. Zugleich wies das Innenministerium Berichte in sozialen Netzwerken zurück, wonach der Journalist im Spital liege. Der Haftanstalt lägen keine Informationen über gesundheitliche Beschwerden vor, hieß es.

Protassewitsch ist seit Langem ein scharfer Kritiker von Lukaschenko, der Weißrussland seit 1994 mit eiserner Hand regiert. Mit 17 wurde der Regierungsgegner schon einmal festgenommen, weil er zwei Lukaschenko-kritische Gruppen im russischen sozialen Netzwerk Vkontakte betrieben hatte. Er sei damals so schwer zusammengeschlagen worden, dass er drei Tage lang Blut im Urin hatte, berichtete der Aktivist damals. „Sie haben mir gedroht, mir ungelöste Mordfälle zur Last zu legen.“

Journalist lebt sein 2019 im Exil
Seit 2019 lebt Protassewitsch im Exil, in Polen und in Litauen. Damals begann er für den einflussreichen oppositionellen Nachrichtenkanal „Nexta“ zu arbeiten, der derzeit bis zu 1,2 Millionen Leser hat. Dem Kanal kam eine zentrale Rolle bei den Massenprotesten gegen die von massiven Betrugsvorwürfen begleitete Wiederwahl Lukaschenkos im vergangenen Jahr zu.

Im November wurde gegen Protassewitsch ein Haftbefehl ausgestellt. Das Regime legt ihm zu Last, an „terroristische Aktivitäten beteiligt“ gewesen zu sein. Auf Terrordelikte steht die Todesstrafe, die in Weißrussland auch weiter vollstreckt wird. Aufruf zu Massenprotesten kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.

Enorme Solidarität
Die Solidarität mit dem 26-jährigen Protassewitsch ist riesig. Journalistenverbände und Politiker aus aller Welt forderten seine sofortige Freilassung. Am Flughafen in Vilnius, wo die Ryanair-Maschine am Sonntag mit mehreren Stunden Verspätung eintraf, warteten Dutzende Unterstützer der belarussischen Opposition. Einige hielten Schilder in die Höhe: „Ich bin/Wir sind Protassewitsch“ stand auf ihnen, auf einem war auch zu lesen: „Ryanair, wo ist Roman?“

Der 36-jährige Oppositionsanhänger Alexander Glatschkow verurteilte die Festnahme des Journalisten als „Verbrechen“. Er sei aus Solidarität mit Protassewitsch gekommen, „um zu verhindern, dass einer nach dem anderen gebrochen wird“.

Freundin in berüchtigtem Gefängnis inhaftiert
Während weiter nicht klar ist, wo genau der Oppositionelle festgehalten wird, wurde nun bekannt, dass sich seine russische Freundin Sofia Sapega im berüchtigten Okrestina-Gefängnis in Minsk befindet. Das machte ihre Mutter öffentlich. Sie hatte die russischen Behörden eingeschaltet. Auch die Sprecherin des litauischen Außenministers Gabrielius Landsbergis bestätigte die Festnahme von Protassewitschs Freundin.

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