Album & Interview

Jan Delay: „Entertainment steht immer über Inhalt“

Musik
21.05.2021 08:00

Corona einfach mal vergessen und eine gute halbe Stunde Spaß haben und tanzen - dafür sorgt Hip-Hop-Urgestein Jan Delay mit seinem neuen Album „Earth, Wind & Feiern“, das sich geschickt zwischen Funk, Reggae, Pop und Hip-Hop bewegt und trotz der fröhlichen Musik natürlich immer noch genug zu sagen hat. Im Gespräch mit uns ging der 45-jährige Hamburger genauer auf sein erstes Soloalbum seit sieben Jahren ein.

(Bild: kmm)

Wenn man wieder einmal etwas von Jan Delay hört, dann kann man sich sicher sein, dass das Schlimmste überstanden ist und die Hoffnung wieder floriert. Der 45-jährige Hamburger mit seiner unvergleichlich näselnden Stimme begeistert die Massen seit mittlerweile 30 Jahren und kennt dabei keine Stilgrenzen. Mit den Beginnern (früher Absolute Beginners bzw. Absolute Beginner) erfand und revolutionierte er neben Fanta 4 deutschen Hip-Hop, als Solokünstler ist er seit 20 Jahren irgendwo zwischen Reggae, Funk, Hip-Hop, Pop, Soul und Rock unterwegs. Für Jan Philipp Eißfeldt aka Eizi Eiz sind Grenzen zum Überwinden und Regeln zum Brechen da. Das praktiziert er auch auf seinem brandneuen Soloalbum „Earth, Wind & Feiern“, das im Titel natürlich nicht zufällig starke Anlehnung an die US-Funklegendenband nimmt, wie er der „Krone“ im Interview erklärt. „Das Wortspiel ist so geil, dass es sogar doppelt und dreifach Sinn macht“, lacht er im Zoom-Talk von seiner Hamburger Terrasse, „erst einmal freut man sich doch über das Wortspiel an sich. Dann, dass diese Kultband darin stattfindet, die ich wirklich vergöttere und außerdem gehen die drei Wörter inhaltlich in alle Richtungen, die mir wichtig waren.“

Finstere Zeiten
Wie immer vermischt Jan Delay geschickt Umwelt-, Gesellschafts- und Politkritik in den Texten mit melodisch-hymnischer Feiermusik, um daraus eine bunte Klangmelange aus notwendiger Seriosität und gewollter Partystimmung zu kreieren. Klimawandel und Party geht sich schon aus, man muss es nur richtig aufbereiten. „Die ersten Zeilen dieser Platte entstanden ungefähr 2018, also standen die Themen grundsätzlich schon, bevor Corona über uns hereinbrach. Die finsteren Zeiten, von denen ich am Album singe, waren schon vorher da, aber das vergessen die Leute heute gerne wieder. Der zunehmende Rechtsruck und die drohenden Klimakatastrophen rücken leider in den Hintergrund, aber ich lasse mich davon nicht abschütteln.“ Programmatisch, dass Delay schon im Eröffnungssong „Intro“ die Zeilen „Ja, es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein. Lass uns die Wolken vertreiben, ich hab‘ Sonne dabei“ singt. Freilich gab es da noch kein Corona, keinen George-Floyd-Mord und der Terminus Querdenker war noch vornehmlich positiv konnotiert.

„Ich wollte bewusst eine Platte machen, zu der man tanzen und feiern kann. Damals konnte ich ja noch nicht wissen, dass die Clubs zuhaben und diese Songs vielleicht Schimmel ansetzen würden. Eine Platte zu machen, zu der die Leute zusammenkommen und gemeinsam feiern sollen ist gegenwärtig denkbar ungünstig, aber was hätte ich denn machen sollen? Ich wollte den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern jetzt bewusst ein Statement für das Leben rausgeben.“ Dass „Earth, Wind & Feiern“ eine dezidierte Club-Platte ist kann ein Hindernis sein, muss es aber nicht. Delay hat sich und seine Kunst immer positiv navigiert und lässt sich durch die Hürden des Moments nicht von seiner Mission abbringen. Disco, Trap, Afrobeats, viel Reggae, Ska, Dub, Hip-Hop und Latin-Rhythmen. Erlaubt ist, was Spaß macht und Spaß macht Delay die Musik im Generellen. „Musik ist für den Bauch gemacht, nicht für das Gehirn. Man entscheidet instinktiv, ob man etwas gutfindet und muss es nicht elendslang analysieren. Leider kann ich beim Musikmachen das Hirn nie ganz ausschalten, aber die Leute, die meine Musik hören, die sollen es können und einfach Spaß haben.“

Kampf gegen die Windmühlen
Dass seine Botschaften und Hinweise auf gesellschaftliche und politische Verfehlungen die Welt nicht gleich zu einem besseren Ort machen, lenkt Delay nicht von seiner Mission ab, einfach weiterzumachen. Wird man denn nicht müde, den ewigen Kampf gegen die Windmühlen Hass, Intoleranz und Engstirnigkeit auszufechten und dabei zuzusehen, wie die Welt sich trotzdem kaum verbessert? „Überhaupt nicht. Würde man so denken, dann bräuchte man den Stift doch gar nicht aufheben und könnte sich gleich vor den Fernseher setzen, um ,Ninja Warrior‘ zu kucken“, lacht der Hamburger mit ernstem Unterton, „man schreibt ja Texte aus tiefster Überzeugung und weil man Spaß daran hat. Musiker, Literaten und auch Journalisten. Ich lasse mir nicht kaputtmachen, dass ich einen Text gegen Rassismus schreibe, obwohl H&M gleichzeitig einen “coolest monkey in the jungle„-Hoodie verkaufen, den sie mit einem afrodeutschen Kind bewerben. Diese rassistische Scheiße passiert andauernd und wird auch weiter passieren, aber innerhalb der letzten 20 Jahre ist auch Vieles zurückgegangen und sensibler geworden. Mitunter weil eben viele Leute den Mund aufmachen und deutlich sagen ,so nicht‘.“

Auf „Earth, Wind & Feiern“ vermischt Delay rechtskritische Texte mit Rückschauen in seine eigene Vergangenheit, die trotzdem eine gewisse Nostalgiekritik beinhalten. So wie im Song „Gestern“, wo er mit der Zeile „nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“ gegen Trendreiterei und die „früher war alles besser“-Fraktion ankämpft. Freilich mit dem für ihn typischen Humor und einer ironischen Doppelbödigkeit. „Eigentlich war der Song für meine Musikerkollegen gedacht, weil wir alle von Fans immer wieder damit konfrontiert werden, dass wir möglichst so wie früher klingen sollten. Die Leute beziehen das gerne auf sich. Sie wollen, dass man ihnen nicht ihre Jugend und ihre Erinnerungen wegnimmt, indem man sich selbst weiterentwickelt. Das ist doch so, als würde ich auf die Straße gehen und jemanden darum bitten, seine Klamotten aus dem Jahr 2010 anzuziehen. Das ist doch irgendwie absurd.“ Immer dem gängigen Zeitgeist hinterher zu hecheln kann man Delay jedenfalls nicht vorwerfen. „Man sollte sich beim Kreieren von Musik immer bewusst sein, dass der jeweils aufgegriffene Trend schneller vorbei sein kann, als man selbst oft glaubt.“

Es gibt doch Regeln
Eine bewusste Ausgewogenheit zwischen Ernst und Spaß überlegt sich Delay im Vorfeld nicht. „Wenn man länger Musik macht, dann stellt man sich ohnehin ein paar Regeln auf. Wenn du etwa nur stumpf politische Themen abarbeitest, dann erreichst du die meisten Leute nicht. Es macht wesentlich mehr Sinn, ein tolles Lied zu komponieren und darauf zu achten, dass die richtige Zeile das richtige Gewicht hat. Am Wichtigsten ist mir aber der Grundsatz, dass Entertainment immer über dem Inhalt steht. Es gibt vor jedem Album Themen, die mir wichtig sind, aber wenn ich es nicht schaffe, sie richtig umzusetzen oder einzubauen, dann fallen sie auch rigoros raus. Ich hatte mir für ,Earth, Wind & Feiern‘ so einen Greta-mäßigen Umweltsong überlegt, aber es hat einfach nicht geklappt. Dafür gelang mir mit ,Spaß‘ ein Song, zu dem du tanzen und auch nachdenken kannst. Er verursacht ein Schmunzeln, ist aber trotzdem ernst.“ Und weil das alles noch nicht reicht, geht es auch bald mit den Beginnern weiter. Uns soll es recht sein.

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