Wie steht es um die Einsamkeit und die Liebe in Zeiten von Corona? Die „Krone“ fragt dazu David Oberreiter, Vorstand des Instituts für Psychotherapie des Kepler Uniklinikums. In einer Zeit, in der „Social Distancing“ gepredigt wird, rät er dazu, uns wenigstens „mit dem Herzen“ zu berühren. Und eine Rückkehr zum Leben in der Großfamilie könnte lange Pandemiezeiten erträglicher machen – für alle Generationen.
„Krone“: Seit März des Vorjahrs haben wir gelernt, sozialen Abstand, also Social Distancing, zu beachten. Ich glaube, das wird nicht so bald aufhören. Was verlieren wir dadurch?
David Oberreiter: Man umarmte sich in engen Beziehungen, man umarmte die Eltern, die Großeltern, auch Freunde. Wir umarmen nun einmal gerne geliebte Menschen! Jetzt drängt man das zurück, wir tun es viel weniger.
„Krone“: Warum ist Berührung so wichtig für uns?
Oberreiter: Bei Liebe geht es im Grunde um Vertrauen, Berührung spielt dabei eine Rolle. Man zeigt sich dem anderen, man lässt sich von ihm berühren. Nicht nur körperlich, sondern auch im übertragenen Sinn. Gerade da zeigt sich ein Ausweg.
„Krone“: Welcher Ausweg?
Oberreiter: Ich sehe die Zukunft nicht so negativ: Der Mensch hat immer Möglichkeiten gefunden, mit Krisenzeiten fertig zu werden. Vieles wird jetzt übers Internet kompensiert. Wir müssen versuchen, uns auf diesem Weg zu berühren. In dem Fall eben nicht körperlich, dafür aber mit dem Herzen!
„Krone“: Wenn Berührung von Mensch zu Mensch nicht mehr intensiv gelebt werden kann, wird es bald Berührungsroboter geben?
Oberreiter: Menschliche Berührung ist die bessere und wichtigere. Aber ja: Roboter haben ein gewisses Potenzial.
„Krone“: Warum glauben Sie das?
Oberreiter: Ich kenne Menschen, die in ihren Rasenroboter menschliche Züge hineinfantasieren. In seinem Logarithmus biegt er einmal links, einmal rechts ab, wie zufällig. Man denkt fast freudig: „Jetzt kommt er wieder her!“ Hat ein Roboter menschliche Züge, wird man das noch mehr hineinprojizieren! Sicher, ich glaube, Roboter könnten eine menschliche Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe erfüllen, besonders in Zeiten einer Pandemie.
„Krone“: Neulich fragte mich ein Bekannter, der ein Vorstellungsgespräch per Zoom hatte, ob er eine Krawatte nehmen soll. Wir wussten beide nicht, was im Zoom am besten wirkt...
Oberreiter: Jetzt improvisieren wir noch. Wir überlegen, wie der Dresscode ist, welchen Hintergrund wir einblenden. Soll es die unaufgeräumte Wohnung sein oder doch besser das Buchregal? Manche nehmen es auch in Partnerbörsen sehr ernst, wie ihr Profil ankommt.
„Krone“: Ihr Tipp?
Oberreiter: Ehrlichkeit ist immer das Beste. Man sollte zu dem stehen, wie man ist. Das kommt beim Gegenüber am besten an.
„Krone“: Kontaktanbahnung in Liebessachen im Internet: Können damit alle gut umgehen?
Oberreiter: Im realen Gespräch sieht man meist durch einen Blick, ob man Dinge falsch verstanden hat. Im distanzierten Gespräch über Video oder Chat steigert man sich womöglich in Fantasien hinein, die gar nicht realistisch sind. Im realen Aufeinandertreffen sind dann vielleicht beide enttäuscht.
„Krone“: Wird es dadurch einfacher oder schwieriger, sich in den anderen zu verlieben?
Oberreiter: Manche fühlen sich sehr isoliert, weil sie nicht wie immer in Kontakt treten können. Bei anderen sind von Angesicht zu Angesicht eher Ängste da. Sie fürchten, das Falsche zu sagen. Diese fühlen sich dann oft über das Internet sicherer. Ich sehe nicht alles negativ.
„Krone“: Wird Einsamkeit in Zukunft ein noch stärkeres Thema?
Oberreiter: Wir haben momentan eine dramatische Situation, und es wird schlimmer. Wenn Einsamkeit psychisch krank macht, sind Einrichtungen, die Hilfe bieten, immens wichtig. Vor allem Ältere sind bei uns einsam. In anderen Regionen, wo es noch Großfamilien gibt, ist es vielleicht anders.
„Krone“: Könnte vielleicht ein Comeback der Großfamilie helfen?
Oberreiter: Das wäre wünschenswert. Bei den Corona-Regeln hat es immer geheißen: „Ein Haushalt“. Wenn Ihre Großeltern im gleichen Haushalt mit Ihnen leben, ist es keine Schwierigkeit, dass Sie sich sehen. Für die Psyche wäre das gut. Aber unsere Gesellschaft geht gar nicht in diese Richtung.
„Krone“: Wie merken Sie das?
Oberreiter: Gebaut werden viele kleine Wohnungen, viele für Singles. Verständlich, denn junge Menschen wollen selbstständig sein.
„Krone“: Wenn die Großeltern in der Großfamilie auf die Kinder schauen, machen Homeschooling und Homeoffice kaum Probleme.
Oberreiter: Ja, das wäre ein neues Gesellschaftsmodell, dafür würde es ein Umdenken brauchen. Es könnte uns aber glücklicher machen.
„Krone“: Welche Corona-Verhaltensweisen bleiben uns?
Oberreiter: Möglicherweise das berührungslose Grüßen.
„Krone“: Im Kino Schulter an Schulter: Werden wir das jemals wieder aushalten?
Oberreiter: Als ich neulich über die Nibelungenbrücke gegangen bin, waren dort viele Menschen unterwegs. Das war so ungewohnt! Ich habe mir gedacht: „Muss das so eng sein?“ Ja, ich glaube Irritation angesichts vieler Menschen auf der Straße, im Geschäft, im Kino - das wird uns noch länger bleiben.
Elisbeth Rathenböck, Kronen Zeitung
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