„Krone“-Interview

Michael Patrick Kelly: „Wir sind doch alle gleich“

Musik
24.12.2020 06:00

Von seiner Familie hat sich Michael Patrick Kelly künstlerisch längst emanzipiert und feiert solo große Erfolge. Mit seiner Durchhalte-Single „Beautiful Madness“ brachte es der 43-Jährige bereits auf mehr als 16 Millionen YouTube-Klicks und so wurde der Track zu einer der erfolgreichsten Songs des Jahres im deutschsprachigen Raum. Im ausführlichen Gespräch mit der „Krone“ erzählt der in Bayern wohnhafte Vollblutmusiker, dass es nächstes Jahr ein Album geben wird, warum er an die Kraft der Musik glaubt und wieso es auch in der freien Kunst Verantwortungsbewusstsein braucht.

(Bild: kmm)

„Krone“: Michael Patrick, dein neuer Song „Beautiful Madness“, der auf die Corona-Krise anspricht, ist einer der erfolgreichsten Songs, die du je geschrieben hast…
Michael Patrick Kelly:
Bisher schon, ja. Wir haben unfassbar viel Radio-Airplay und der Song geht auch in Frankreich, Polen, Schweden, Griechenland und Italien sehr gut. Als Single-Auskoppelung gab es andere Kandidaten und viele meiner Songs haben tiefgründige Themen, aber in Zeiten wie diesen sollte es auch einmal drei Minuten Sonne für die Ohren geben. Die Leute haben so viele Schwierigkeiten und Sorgen und jetzt geht es um gute Laune. Ich muss manchmal aufpassen, dass ich in meine Songs nicht zu viel Message reinzwänge, weil man sich dann hinterfragt, ob die Musik nur Mittel zum Zweck ist. Diesen Song wollte ich nicht politisch und religiös schreiben, sondern einfach die Liebe verbreiten.

Fiel es dir schwerer, eine so leichtfüßige und positive Nummer zu schreiben?
Ich ging damit definitiv aus meiner Komfortzone raus. Deshalb habe ich mich auch mit zwei Jungs zusammengefunden, die öfter solche Songs schreiben. Man hört einen Reggae-Touch und der Manu Chao-Vibe ist nicht mein täglich Brot. Ich habe mich in den letzten Jahren aber verstärkt von Genre-Ecken verabschiedet und mein nächstes Album wird sehr breit sein. Von J Balvin-Beats bis hin zu U2-Gitarrenriffs und alles dazwischen. Es ist Zeit, die Genres zu vermengen, denn wenn wir beide unsere Playlisten tauschen würden, gäbe es sicher viel zu entdecken. Ich war immer im Pop, Rock und Folk zu Hause und ließ zuletzt mehr Urban- und EDM-Einflüsse zu, aber ich werde auf dem Album kein Autotune haben und alles handgemacht analog aufnehmen. Es wird aber auch Nummern geben, wo ich diese Technologien bewusst nutze. In den letzten zwei Jahren habe ich etwa 50 Songs geschrieben und wahrscheinlich wird das Album im Frühling oder Sommer kommen und 2022 kommt die große Tour - das nächste Jahr ist mir zu unsicher.

Dein letztes Album „iD“ aus 2017 ist sehr persönlich ausgefallen. Wie geht man von diesem Standpunkt aus als Künstler dann weiter?
Ich habe schon einen Albumtitel, aber den darf ich noch nicht verraten. Ich bin ein Künstler, der sich immer mit unterschiedlichen Themen befasst, die mich interessieren. Mich inspirieren Filme oder Bücher, die auf wahren Gegebenheiten basieren und die einen guten Ausgang haben. Hoffnung geben und Mut machen finde ich wichtig. Viele Songs auf dem kommenden Album gehen in diese Richtung.

Mut machst du auch mit der Single „Beautiful Madness“, die als positives Statement dient. Während des ersten Lockdowns hast du ein Osterkonzert im Kölner Dom gespielt. War es dir also schon sehr früh wichtig, den Menschen Hoffnung zu vermitteln?
In erster Linie mache ich Musik aus egoistischen Gründen. Ich brauche sie für meinen Ausgleich und meine mentale Gesundheit. Sie ist so notwendig wie Sauerstoff, Essen und Schlaf. In zweiter Linie mache ich Musik für andere, denn ich performe auch und Musik muss auf die Bühne. Beim Songwriting schreibe ich immer sehr introvertiert, aber ich frage mich immer, wie der jeweilige Song live funktionieren würde. Ist es zu viel Text? Kann man den Refrain mitsingen? Nummern, wie zuletzt „Last Words“, die aus lauter Zitaten von Menschen bestand, die kurz vor dem Tod noch etwas gesagt haben, gehören zu meinen besten Werken, obwohl sie keine Single und nicht radiotauglich war. Ich habe die Nummer aber wegen des Themas geschrieben, weil das für mich Kunst ist. Andere Songs entstehen, weil ich möchte, dass sie möglichst viele Menschen hören. Und wenn die Menschen dann wegen der Nummer beim Konzert sind, dann hören sie auch „Last Words“. Ich fange jeden Tag mit Dankbarkeit an. Ich sage danke für alles, was ich habe, denn das ist für die mentale Gesundheit sehr hilfreich. Ich übe das täglich, auch wenn ich darin kein Meister bin.

Hattest du anfangs, wo noch keiner wusste, was hier überhaupt geschieht, als Künstler echte Existenzsorgen?
Zum Glück nicht. Ich hatte 2020 keine Tour geplant und vom Timing her großes Glück, denn viele Kollegen mussten ihre Konzerte schon x-mal verschieben. Ich sitze jetzt hier und führe ein Interview mit dir - viele Kleinunterhalter, die auf Hochzeiten oder in Clubs spielen, haben dieses Glück nicht. Die haben Riesenprobleme, dagegen sind meine sehr okay. Ich bin ein hoffnungsvoller Mensch und hatte in meinem Leben oft schwierige Situationen, aber es ging immer weiter. Das ist auch jetzt der Fall. Aber zurück zum Kölner Dom - zehn Tage vor Ostern bekam ich von denen einen Anruf und dort gehen normalerweise täglich 30.000 Leute rein und raus. Quasi ein Stadion voll und da war das plötzlich Ding leer. Ich sollte die Fragen, Ängste und Sorgen der Zeit über Musik zum Ausdruck bringen - eben nicht als Gottesdienst. Ich gab schon in Gefängnissen Konzerte und spielte auch Autokino-Shows, aber dieses Erlebnis war ein absolutes Highlight. Das ist sicher in den Top-3 in den Erfahrungen, die mich in der Musik am meisten berührt haben. Das hatte auch spirituelle Dimensionen, die sehr tief gingen. Wir haben mit MoTrip zweimal bis 4 Uhr nachts gedreht und mit Social Distancing überlegt, wie wir da performen. Er hat den Text in nur vier Tagen geschrieben. Kein Publikum, keine Band, nur die Gitarre und die Beatbox. Die Metalsängerin Jennifer Haben war dann auch am Dach vom Kölner Dom, während ich unten in der Krypta war. Der Kölner Dompropst hat die Türen geöffnet. Er hat mir gesagt, die Kölner hätten drei Säulen: den Karneval, den 1. FC Köln und den Dom. (lacht) Und wenn die Leute nicht zum Dom können, muss der Dom zu den Leuten. Es war eine große Ehre, dass er an mich gedacht hat und nicht an einen Klassikkünstler oder einen Knabenchor.

Werden dir selbst Themengebiete wie Inkludieren, Zusammenhalt, Toleranz und sich anderen gegenüber öffnen auch immer wichtiger?
Ich habe in insgesamt sieben Ländern länger gelebt und war in mehr als 40 Ländern auf Tour oder privat zu Besuch. Es gibt in diesen Ländern mehr Gemeinsamkeiten auf der menschlichen Ebene, als Unterscheidungen im Politischen, Religiösen oder Kulturellen. Ich bin überzeugt davon, dass wir Menschen alle gleich sind. Ich empfinde Unterschiede als Bereicherung, aber natürlich ist eine plurale Gesellschaft eine Herausforderung - das ist wie in Beziehungen. Es gibt dort auch immer Reibungen und Schwierigkeiten, weil die Leute anders ticken oder anders erzogen wurden. Es gibt auch Unterschiede von Natur aus - physisch und psychisch, aber das ist gleichzeitig das Schöne an uns. Man muss nicht immer sagen, dass alles großartig ist, aber es ist falsch, zu spalten. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte und bei meinen Konzerten gibt es Menschen, die vielleicht komplett andere Parteien wählen, religiös oder auch nicht religiös sind und trotzdem alle gemeinsam feiern. Es ist wichtig Orte zu haben, wo man diese Unterschiede ausleben kann und ein positives Gefühl dabei hat. Man merkt dann oft, dass man mehr Gemeinsamkeiten hat als man glaubt.

Musik als universale Sprache kann Brücken bauen und Gräben zuschütten.
Genau darum geht es. Bob Marley spielte in Jamaika kurz vor dem Bürgerkrieg ein Friedenskonzert. Er hat die Oppositionsführer auf die Bühne geholt, die Hände in die Luft gehalten und dreimal „Love“ ins Mikro gerufen. Das hat das Land wohl gerettet und manchmal können Künstler eine wichtige Rolle spielen, um in prekären Zeiten zur Besinnung zu führen. Musik kann etwas Besänftigendes und Erhebendes sein. Sie kann die schönen Seiten im Menschen stimulieren und erwecken. Wir sind aber keine Lösungsbringer, dennoch können wir Trost, Mut und Hoffnung spenden. Mit der Kraft der Musik.

Fühlst du dich als Person im Rampenlicht dafür verantwortlich, zu gewissen Themen klar Position zu beziehen und bestimmte Themen an die Oberfläche zu bringen?
Jeder Künstler muss diese Frage für sich selbst beantworten, das kann man nicht pauschal sagen. Wenn wir Musiker irgendeine Autorität haben, dann ist das die Musik. Alles andere ist Meinung. Wenn ich politikstudierter Gelehrter bin und mich artikuliere heißt das noch lange nicht, ich weiß, wie es läuft, aber ich habe zumindest etwas Know-How. Ich habe zu Politik eine Meinung, aber ob die richtig ist oder das Timing, wenn ich sie sage, richtig ist, kann man nicht sagen. Meine Vorbilder sind Leute wie Bob Dylan oder Bruce Springsteen, die sich in Songs immer gesellschaftskritisch geäußert haben. „Born In The USA“ war eine Kritik auf den Vietnamkrieg und die US-Politik und der Song wurde lange missinterpretiert. Ich habe selbst Songs wie „iD“, wo das Thema Identität im Vordergrund steht und der Inhalt gegen den Krieg geht. Ich kriege Feedbacks von Leuten, die sich zu meinen Songs getraut oder ihre Oma beerdigt haben. Zwei Menschen waren kurz davor sich das Leben zu leben, aber wegen meines Songs „Hope“ hat sich eine Frau nicht die Pulsadern aufgeschlitzt und der andere Mann ist nicht vom Hochhaus gesprungen.

Als ich den Song schrieb, hätte ich niemals gedacht, dass er so einen entscheidenden Moment einer einzelnen Person prägen könnte. Mehr geht nicht. Eine Frau die im Altenheim arbeitet hat mir gesagt, dass sie eine ältere an Corona erkrankte Dame auf dem Weg zum Tod begleitet. Während sie ging, wurde ihr meine Musik per Handy am Ohr abgespielt. Musik kann in den richtigen Momenten im Leben von Menschen eine wichtige Rolle spielen. Deshalb glaube ich, dass wir Musiker uns unseres Einflusses oft gar nicht bewusst sind. Eminem hat in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ mal gesagt, dass er seiner Tochter seine Songs nur ohne die Diss- und F-Wörter vorspielt. Das ist eigentlich eine interessante Doppelmoral, dass man die Tochter anders schützt als Millionen andere Kids. Ich frage mich schon, ob sich Künstler heute genug Gedanken machen und ob in der Kunst keine Ethik mehr gilt. Andererseits stellt sich auch die Frage, wie viel davon nur passiert, um Geld zu verdienen oder zu schocken. Ich habe auch keine Antwort darauf und will auch nicht die Moralinstanz in der Kunst werden, aber Verantwortungsbewusstsein sollten wir haben.

Solche Nachrichten wie die von dir gerade erzählten sind im Endeffekt schön, aber belasten sie deine Songs nicht auch mit einer gewissen Schwere?
Ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken, weil ich den Song in erster Linie für mich selbst schrieb. Ich war in einer ähnlichen Situation, wollte etwas verarbeiten und möglicherweise hat der Song deshalb so einen Einfluss. Die Leute spüren, dass der Interpret selbst in der Scheiße steckte und daraus rausfand, das kann schon auch wichtig sein. Wenn ich meinen Job mit einem Chirurgen vergleiche, da rückt sich viel gerade. Wenn ich schief singe ist das halb so wild, aber wenn er einen falschen Schnitt macht, wiegen die Konsequenzen viel schwerer. Wir Künstler sollten schon Verantwortung beim Texten übernehmen, uns aber nicht allzu ernst nehmen. (lacht)

Kann man durch Erfahrung über die Jahre lernen, diese Ausgewogenheit möglichst gut herzustellen?
Als ich sehr jung war habe ich mir wenig Gedanken gemacht. Da ging es um den Spaß und um das Rauslassen von Gefühlen. Heute mache ich mir wohl mehr Gedanken, aber es ist auch sehr gefährlich, zu kopflastig an die Musik ranzugehen. Dann wird es schnell kalkulativ und das kann die Seele eines Songs ersticken. Ich versuche immer auf verschiedene Art und Weise Songs zu schreiben. Zuletzt habe ich mich mit meiner Band fünf Tage lang im Studio eingeschlossen und einfach gejammt. Ich wollte mal aus so einer Situation was schreiben und nicht nach Schema F auf die Radiotauglichkeit schielen. Einfach mal fließen lassen. Das Songwriting ist für mich nach wie vor faszinierend. Es passiert mir sehr oft, dass ich nachts wach werde, weil ich im Traum eine Melodie höre. Ich summe das auf mein Smartphone und versuche am nächsten Tag was daraus zu machen. Andere Songs entstanden durch ein Thema. Derzeit lese ich gerade das Tagebuch von Anne Frank, nachdem ich den Film sah. Ich weiß nicht, ob es darüber schon einen Song gibt und es wäre vielleicht interessant, sowas zu machen. Es gibt leider auch Tendenzen in unserer Gesellschaft, die die Ideen von 1933 wieder gutheißen. Das erschreckt mich sehr und ich mache mir durchaus Gedanken, ob ich in meiner Position nicht junge Menschen gut beeinflussen kann. Diese Ideen nicht in ihr Gedankengut eindringen zu lassen.

Gelingt es dir eigentlich noch immer, dich beim Songschreiben selbst zu überraschen?
(lacht) Tatsächlich ja. Es ist mir wichtig und es gelingt mir immer wieder durch Jamsessions oder durch Co-Writer, die mir völlig neue Einblicke ermöglichen. Das ist immer ein bisschen wie ein Blind-Date und man weiß nie, was dabei rauskommt. Ich hatte unlängst ein Songwriting mit Tom Gregory und mag es auch, mit dem Frontmann von den Mighty Oaks oder anderen Künstlern zu schreiben. Ich habe auch mit Mark Forster gewhatsappt und wir überlegen, ob wir zum Spaß was schreiben. Es macht einfach Spaß, sich keine Gedanken machen zu müssen, ob etwas passt, sondern es einfach mal zu versuchen. Ich habe öfters Anfragen, ob ich nicht für andere Künstler schreiben würde. Da sind sogar DJs darunter. Ich habe nicht so viel Zeit, aber es ist schön, mal in anderen Teichen schwimmen zu gehen.

Dass die Hörgewohnheiten der Leute immer breiter werden, kommt dir und deiner Ausrichtung eigentlich zugute.
Es wird immer Metalheads und Hip-Hopper geben, aber auch diese Leute hören heute sicher andere Sachen und werden einfach verstrickter. Man befindet sich nicht mehr in diesen Nischen, weil dir Spotify und YouTube ganz andere Dinge anbieten. Die Grenzen sind längst aufgeweicht und vor allem für Newcomer ist die Zeit großartig. Lea ist zum Beispiel durch YouTube entdeckt worden. Ich musste jahrelang in Fußgängerzonen und kleinen Pubs spielen, bis mich überhaupt mal jemand wahrgenommen hat. Das war ja noch lange, bevor E-Mails populär waren und ich musste alles per Post verschicken. Heute hast du deine eigenen Plattformen, brauchst noch nicht einmal eine Plattenfirma, um aufzufallen und wenn die Songs gut sind, dann geht das durch virtuelles Sharing und Mundpropaganda in wenigen Wochen um die Welt. Der Nachteil ist, dass du trotzdem Auftritte brauchst, denn sonst hast du vielleicht Erfolg, aber keine Bühnenerfahrung. Wenn du live spielst, gibt es kein Autotune. Außer du lässt ihn mitlaufen und klingst wie Drake. Ed Sheeran oder Justin Bieber haben auf der Straße angefangen. Die Burschen haben einen tollen Ausdruck und eine famose Stimme. Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile, aber ich gehe gerne mit der Zeit und finde die Gegenwart sehr spannend. Popmusik wurde in den letzten zehn Jahren stark von Hip-Hop und EDM beeinflusst. Das hat sich auf die Hörgewohnheiten der Leute ausgewirkt, aber es kommt auch immer jemand wie ein Lewis Capaldi, wo ich mir denke: Schön, dass es auch eine klassische Pianoballade geben kann. So wie damals bei Elton John. Heute hat einfach alles Platz und das ist toll.

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