Zahl halbiert

„Sperrstund is“ – Österreichs Wirtshäuser sterben

Österreich
21.06.2019 06:00

An verlängerten Wochenenden wird es uns allen schmerzlich bewusst: das große Wirtshaussterben. Von 16.000 Gasthäusern vor 40 Jahren ist heute fast jedes zweite schon zu. Der Aufwand lohnt sich nicht mehr.

Die Kirchenglocken läuten zum Gottesdienst, die Dorfbewohner strömen nachher ins benachbarte Gasthaus. Ein Bild, das die Jugend vieler von uns auf dem Land geprägt hat. Doch gerade in den letzten Jahren auch eines, das bald der Vergangenheit angehören könnte. Denn die Zahl der klassischen Wirte hat sich seit 1978 von rund 16.000 auf 8500 praktisch halbiert. Der legendäre Hans Moser hat es schon besungen: „Sperrstund is“ …

Die Gründe für das langsame Sterben liegen auf der Hand. Kommen die Betreiber in Pensionsnähe, findet sich schlicht und einfach niemand, der sich den freizeitarmen Job des Gastronomen antun will. Ein Verkauf steht dann bevor, wie berichtet etwa bei der „Blaukrah“, einem Traditionsgasthaus in Graz. Und die Interessenten sind in der Peripherie und im ländlichen Raum meist Chinesen, Italiener und Türken. Während die Wirte mit Bier an der Theke und klassischem Rindsgulasch auf der Speisekarte aussterben, werden an eben jenem Ort dann Pizza und Frühlingsrolle serviert.

Bürokratische Hürden, teure Modernisierungen
Die bürokratischen Hürden wie die räumliche Trennung in Raucher und Nichtraucher, überbordende Bürokratie mit Registrierkasse und Co. und teils absurd strenge Vorschriften tragen ihren Teil dazu bei: Immer mehr geben auf. Zusätzlich verschlafen viele die notwendige bauliche Modernisierung, oder es fehlt einfach das Geld dafür. Und Arbeitskräfte in der Gastronomie sind ebenfalls immer schwerer zu finden.

Viele weichen auf andere Bereiche aus. Die Zahl der Cafés bleibt gleich, Nischen wie Vinotheken sind aufgrund weniger harter Auflagen attraktiver. Und so gibt es Gegenden, in denen kein „echter“ Wirt mehr ist. Damit geht aber die Stammtischkultur und somit ein wichtiger sozialer Treffpunkt für immer verloren.

„Für unsere Gesellschaft von größter Bedeutung“
Als vagabundierender Kulturwissenschaftler kommt Roland Girtler viel herum - auch ins Wirtshaus, für das er eine Lanze bricht. Es ist nicht die erste Liebeserklärung des „Krone“-Kolumnisten an das Wirtshaus, doch angesichts des grassierenden Beisl-Sterbens im Land rückt Girtler die Bedeutung von Gaststätten einmal mehr in den Mittelpunkt: „Früher galt das Wirtshaus als Erweiterung des Wohnzimmers, weil man meist in engen Räumen gewohnt hat. Es war wichtig für das Vereinsleben, mancherorts wurde sogar Sport betrieben - Gewichtheben etwa“, so Girtler, „man hat gemeinsam ferngesehen, Sportveranstaltungen verfolgt.“ Und: „Wirtshäuser waren auch stets ein Hort der Rebellion. Wirte wurden sogar zu Anführern der Rebellion, Andreas Hofer in Südtirol zum Beispiel.“

Auch die Sozialdemokratie wurde vor 130 Jahren in einem Gasthaus in Hainfeld in Niederösterreich gegründet. Girtlers Tipp an die Politiker von heute: „Die sollten öfter ins Wirtshaus gehen und den Menschen zuhören.“

Stefan Steinkogler und Oliver Papacek, Kronen Zeitung

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