„Sie sind Zeitbomben“

Das geht in den Köpfen der jungen IS-Fanatiker vor

Österreich
10.03.2019 06:01

Was geht in jungen Menschen vor, die im Dschihad ihr Glück finden wollen? Psychiaterin Gabriele Wörgötter hat viele von ihnen untersucht.

Es war im Frühling 2015, als ein äußerlich unauffälliger Bursch - halblanges Haar, bekleidet mit Jeans, Sweatshirt und Turnschuhen - von Justizwachebeamten in Gabriele Wörgötters Praxis in Wien-Wieden gebracht wurde.

„Auf den ersten Blick“, erinnert sich die Psychiaterin, „wirkte er wie ein ganz normaler Teenie.“ Er - Oliver N. 2013, mit 15, hatte er in einem Park ein paar junge Afghanen kennengelernt und sich rasch mit ihnen angefreundet. Bald nahmen sie ihn in eine Moschee mit, wenig später konvertierte er zum Islam. Und kurz darauf reiste er dann auch schon nach Syrien. Um in den „Heiligen Krieg“ zu ziehen.

Die verlorenen Kinder und ihre „Rattenfänger“
Seine weitere Geschichte: Anfang 2014 wurde er bei einem Bombenangriff schwer verwundet. In der Folge kehrte er zurück nach Österreich. Und bekam hier ein Strafverfahren. Oliver N. - einer von vielen Dschihadisten, die Wörgötter im Auftrag des Gerichts begutachtet hat.

Was ist ihm und anderen Terrorverdächtigen gleich? „Sie alle wuchsen in problematischen Familienverhältnissen auf, es fehlte ihnen an Bezugspersonen, sie galten als Außenseiter - bevor sie in die Fänge der Rattenfänger gerieten.“ Bei ihrer Suche nach Anerkennung, „nach irgendjemandem, der sich für sie interessierte, ihnen zuhörte“, seien sie „leichte Opfer“ für Islamisten gewesen.

Die Gehirnwäsche funktioniere also schnell. Mit blumigen Schilderungen darüber, wie wundervoll ein Dasein im Dschihad sei: „,Du bist für uns sehr wichtig‘, wird den Kindern eingebläut, ,du kannst Teil einer Gemeinschaft sein.‘ Und es werden verlockende Versprechen gemacht: ,Du kriegst ein tolles Auto und ein hübsches Haus.‘“ Den Mädchen wird die Heirat mit „Helden“ in Aussicht gestellt, den Burschen die Option, einen Harem zu bekommen.

„Sie sind gefährlich - Zeitbomben“
Und jetzt? Jetzt befinden sich die „Gotteskrieger“, ihre Frauen und Kinder in kurdischen Lagern und sollen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden. „Menschen, die bereits vor ihrer Flucht psychisch auffällig waren. Die in den vergangenen Jahren mit unvorstellbarer Gewalt konfrontiert wurden. Die an den Anblick von Toten gewöhnt, schwer traumatisiert - und zu Zeitbomben geworden sind“, so Wörgötter.

Nicht zu vergessen sei zudem: „Viele von ihnen bekamen in Camps Selbstmordattentäter-Ausbildungen.“ Wie mit den Heimkehrern umgehen? „Es ist dringend notwendig, endlich sinnvolle Pläne hinsichtlich umfangreicher Deradikalisierungsmaßnahmen zu entwerfen.“

„Präventionsarbeit muss besser werden“
„Normale“ Unterbringungen in „gewöhnlichen“ Gefängnissen scheinen der Gutachterin der falsche Weg: „Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir es mit höchst gefährlichen Personen zu tun haben. Zum Schutz unserer Gesellschaft müssen sie in Haftanstalten oder anderen Einrichtungen von speziell ausgebildeten Fachkräften betreut werden. Engmaschig und für lange Zeit. Andernfalls sehe ich eine Katastrophe auf uns zukommen.“

Parallel dazu sei im Bereich Prävention mehr Arbeit zu leisten. „Selbst bei extremer Naivität: Was muss im Leben eines Jugendlichen geschehen sein, dass er bereit ist, mit dem Bisher völlig abzuschließen - und in einen Krieg aufzubrechen?“, fragt die Gutachterin und gibt sogleich die Antwort: „Das Umfeld hat versagt, Vorzeichen für bevorstehende Dramen nicht erkannt - oder einfach nicht adäquat reagiert.“

Bei seinem Prozess sagte Oliver N.: „Sie versprachen mir ein tolles Auto, ein hübsches Haus, eine liebe Frau. Sie interessierten sich für meine Probleme, sie hörten mir zu. Und sie sagten, dass sie mich brauchten. Darum zog ich in den Dschihad. Ich habe doch nur irgendwo dazugehören wollen. Es hätte auch eine Yoga-Gruppe sein können …“

„Hassprediger sollten abgeschoben werden“
Die Situation mit Islamisten sei in Österreich außer Kontrolle. Sagt Peter Pilz. Und: „Ich verstehe nicht, warum noch immer Hunderte Hassprediger hier ihr Unwesen treiben dürfen. Obwohl es rechtlich ganz einfach möglich wäre, sie in ihre Herkunftsländer abzuschieben.“

Weiters prangert Pilz die Zustände im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an: „Das BVT ist personell zu schlecht besetzt, um ernsthafte Nachforschungen darüber anzustellen, wie viele Dschihadisten sich tatsächlich in unserem Land befinden. Unser aller Sicherheit ist daher extrem gefährdet.“

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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