Rücktritt auf Raten

Vassilakou: „Werde auch weiterhin Politik machen“

Wien
05.09.2018 06:01

Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou von den Grünen spricht im Interview mit „Krone“-Wien-Ressortleiter Michael Pommer über ihren Rücktritt auf Raten, den Trennungsschmerz von der Macht, den Kampf um ihre Nachfolge, die Niedertracht und ihr Image als Autohasserin.

„Krone“: Frau Vizebürgermeisterin, in grüner Tradition fangen Sie wahrscheinlich demnächst bei der ASFINAG an und gehen in ein paar Monaten mit Kanzleramtsminister Gernot Blümel spazieren. Richtig?
Maria Vassilakou: Und Michael Jeannée sieht mich schon in der Küche im eigenen Wirtshaus. Aber im Ernst, ich konzentriere mich in den nächsten Monaten zu 100 Prozent auf das Ressort. Ich werde mir danach Gedanken machen, was ich tue. Vielleicht gönne ich mir auch eine Auszeit nach all den Jahren.

Ist es dieses Mal ein echter Rücktritt, oder wird es wieder einen Rücktritt vom Rücktritt geben, so wie 2015?
Es ist meine Entscheidung, nicht mehr als Spitzenkandidatin anzutreten, und damit löse ich auch das ein, was ich in den vergangenen Jahren mehrfach gesagt habe. Nämlich, dass es Zeit ist für den Generationenwechsel, und dafür muss ich Platz machen.

Es gibt jetzt schon einen Wirbel um Ihr Gehalt, das nach dem Sommer sechs Monate weiter zu 75 Prozent ausbezahlt wird ...
Unabhängig von meiner Person, wenn jemand jahrelang für die Stadt oder die Republik gearbeitet hat, stellt sich die Frage, wovon man in der Übergangszeit lebt. Gewöhnlichen Angestellten steht nachher die Arbeitslosenunterstützung zu, das haben Politiker nicht.

Wann kam der Moment, an dem Sie sagten: Es reicht mir, ich will nicht mehr?
Nie! Ich könnte ewig weitermachen. Ich bin mit Leib und Seele Politikerin, und ich liebe meinen Job. Man kann auch davon ausgehen, dass ich weiterhin politisch tätig sein werde, in welcher Rolle auch immer. Aber es kommt der Zeitpunkt, an dem man erkennt dass jetzt die Nächsten dran sind. Es braucht neue Ideen, Konzepte, frisches Blut, jüngere Menschen, neue Denkweisen und Visionen.

Nach Ihrem Rücktritt auf Raten wurden Sie mit Lob überschüttet, selbst von Ihren größten Kritikern. Werden Sie diese Heuchler vermissen?
Ich denke, in der Politik ist es wie in der Malerei. Wenn man tot ist, ist man am meisten wert. Der Preis steigt über Nacht. Aber der Abschied kommt erst in ein paar Monaten. Bis dahin wird die hyperaktive Frau Vassilakou für genug Aufregung sorgen. Vor allem rund um die Frage: Was können wir in Wien tun, um die tägliche Verkehrsbelastung bei den Einfallstraßen in den Griff zu bekommen?

Ist es schwer, sich von der Macht zu trennen?
Das ist eine Frage, die ich erst nachträglich beantworten kann.

Aber der Trennungsprozess von der Macht hat doch schon begonnen ...
Mein Plan ist es, meine Arbeit bis zum letzten Tag unverändert weiterzumachen. Welche Trennungs- oder Phantomschmerzen auch immer auftreten, die kommen erst danach.

Um es mit den Worten von Ex-Bürgermeister Michael Häupl zu sagen: Wenn man sagt, dass man aufhört, bringt einem der Amtsdiener nicht einmal einen Kaffee ...
Es ist Dienstag, und hier steht mein Kaffee. Ich habe noch keinen Unterschied bemerkt.

Wenn es nach Ihnen geht: Wer soll Ihr Nachfolger werden? Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass es ein Wettbewerb der besten Ideen wird.
Warum stellen Sie eine Frage, von der Sie die Antwort ohnehin wissen? Es gibt gute Kandidaten und eine Kandidatin, was mich sehr freut. An dieser Stelle habe ich einen Wunsch und eine Mahnung: Ich will einen Wettbewerb der Ideen für die Zukunft der besten Stadt der Welt!

Wie bitter wäre es für Sie, wenn Sesselsäger David Ellensohn Ihren Job bekommt?
Es sind alle Kandidaten qualifiziert. Wer auch immer es wird, muss jedenfalls eine Integrationsfigur sein, um Veränderungen weiterzubringen.

Selbst Parteifreunde können erbitterte Gegner sein. Ist die Politik ein einsames Geschäft?
Die Politik ist immer eine Gruppenangelegenheit, Einzelkämpfer kommen nicht weit. Die Kunst besteht darin, dass man andere eint und begeistert. Aber natürlich gibt es in Gruppen all jenes, was den Menschen eigen ist: Ambitionen, Konflikte, manchmal auch Niedertracht.

Sie werden in einem halben Jahr 50 Jahre alt. Welche Bilanz ziehen Sie?
Eine gute, es ist in Wien vieles weitergegangen. Von der 365-Euro-Jahreskarte für die Öffis bis zur Umgestaltung von zahlreichen Straßen und Plätzen. Meine Leistungsbilanz finden sogar meine Gegner beachtlich. Mir ging es immer darum, etwas weiterzubringen, und nicht unbedingt Everybody’s Darling zu sein. Aber vielleicht gelingt mir das ja auch noch im letzten Drittel meines Lebens.

Wie schwer ist es als Frau mit Migrationshintergrund an der Spitze einer Partei?
Niemand hat es leicht, die Frage ist nur, wie viel Aggression begleitet einem auf seinem Weg. In meinem Fall ist es hinlänglich bekannt, dass es nicht wenig war. 70 Prozent sind dem geschuldet, dass ich eine Frau bin, weitere 20 Prozent, dass ich nicht in Österreich aufgewachsen bin, und die letzten zehn Prozent, dass ich tatsächlich auch Entscheidungen treffe, die ins Alltagsleben von Tausenden Menschen eingreifen. Aber wenn man jemanden zehn, 15, 20 Jahre nahezu jeden Abend ungebetenerweise in seinem Wohnzimmer zu Gast hat, sobald man den Fernsehapparat einschaltet, könnte das auch von ganz alleine aggressiv machen.

Was war ihr größter politischer Fehler?
Die Frage beantworte ich gerne, wenn ich aufgehört habe. Für den Moment hoffe ich, dass keiner dazukommt.

Wieso haben Sie Ihr Image als Autohasserin so kultiviert?
Das haben eher meine Gegner kultiviert. Ich gebe seit Jahr und Tag nur eine Binsenweisheit von mir: Jedes Mal, wenn wir einen Weg nicht mit dem Auto zurücklegen, haben wir für die Stadt etwas Gutes getan. Doch niemand muss sich dafür rechtfertigen, wie er in der Stadt unterwegs ist. Alles andere ist dazugedichtete Sauce. Ja, ich habe einen Radfetisch, übrigens auch einen Motorradfetisch, ich liebe Vespas, ich liebe Minis, und man stelle sich vor, ich finde Mercedes-Autos elegant und zeitlos. Und? Das ist ja alles Quatsch.

Sie wollten immer Bürgermeisterin werden. Der Traum ist ausgeträumt, oder?
Ich will immer noch Bürgermeisterin werden. Die Krux ist nur, wie schaffe ich das bloß?

Michael Pommer, Kronen Zeitung

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