"Plötzlich Schreie"

Drama vom Lido Verde: Wo die Asylkrise 2013 begann

Ausland
09.07.2017 06:00

Im August 2013 kenterte vor der Südküste Siziliens ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen, es gab sechs Tote. "Der Beginn einer Tragödie, die laufend schlimmer wird", sagt der Besitzer jenes Strandes, auf dem die Leichen gefunden wurden. Und Catanias Bürgermeister schlägt Alarm: "Italien ist mittlerweile am Ende seiner Kräfte."

Irgendwie hat alles hier begonnen. Am Lido Verde, einem gepflegten 300 Meter langen Strandstück, etwa zehn Kilometer außerhalb von Catania. Dort, wo Dario Monteforte ein Bad mit angeschlossener Bar führt. Seit 1956 ist der Betrieb in Familienbesitz. "Wirtschaftlich ging es uns schon besser", sagt der 46-Jährige.

Hotels in der Umgebung mussten zusperren. Die Kriminalitätsrate ist hoch in Sizilien; die Mafia nach wie vor mächtig, die Korruption groß. Ausländische Touristen blieben in den vergangenen Jahren eher aus. Doch die Italiener kommen in Scharen zu Monteforte, nach Dienstschluss und am Wochenende, um ein paar schöne Stunden am Meer zu verbringen - an dem Platz, an dem am 10. August 2013 eine Tragödie geschah.

"Plötzlich hörte ich Hilfeschreie"
"Es war kurz nach drei Uhr morgens", erinnert sich Monteforte, "als ich aufwachte, weil ich vom Wasser her Hilfeschreie hörte." Er zog schnell eine Hose und ein T-Shirt an, rannte aus seiner Wohnung oberhalb des Lokals hinunter, ins Freie, "und ich sah eine Gruppe verängstigter Männer auf mich zulaufen".

Ein paar Hundert Meter vor der Küste war ein Flüchtlingsboot gekentert, am nächsten Morgen lagen sechs Leichen am Lido Verde. Zum Gedenken an die Toten wurde von der Regierung ein Mahnmal errichtet, vor dem Eingang zum Strandbad. "Damals konnte ich nicht ahnen, dass alles noch viel schlimmer werden sollte."

Abertausende Asylsuchende sind mittlerweile in Italien angekommen, viele überlebten die gefährlichen Fahrten über die stürmische See nicht. "Es ist ein Drama, ein fürchterliches Drama", sagt der 46-Jährige immer wieder: "Fast jeden Tag sehe ich mit Menschen voll beladene Kutter vorbeiziehen." Manchmal landen sie bei ihm: "Ich gebe den Flüchtlingen Wasser und Obst, während sie auf die Polizei warten." Die meisten wären froh, in Obhut der Behörden zu kommen, "bloß wenige machen sich alleine auf den Weg." Wohin, weiß er nicht.

"Es droht ein Chaos - in ganz Europa"
"Wir Sizilianer", erzählt Monteforte, "haben Verständnis für Gestrandete. Sie stören uns nicht, wir versuchen ihnen zu helfen. Ich kenne Familien, die Schwarzafrikaner bei sich aufnehmen und sie versorgen." Wie lange? "Oft über Monate."

Ohne die Unterstützung der Bevölkerung, so Catanias Bürgermeister Enzo Bianco zur "Krone", wäre die Situation in Sizilien "schon längst gekippt". Aber er betont auch, dass Italien "nun am Ende seiner Kräfte und Möglichkeiten angekommen" sei. Weitere enorme Flüchtlingsströme werden erwartet, "es sollte eine gerechte Aufteilung in ganz Europa erfolgen".

Aber selbst dadurch würde das Problem nicht gelöst. "Es müssten nämlich andere, noch wichtigere Strategien gesetzt werden." In den Herkunftsländern der Asylsuchenden, mit Aufklärungskampagnen und Hilfsaktionen. "Und Schlepperorganisationen gehören endlich ernsthaft bekämpft." Andernfalls drohe ein Chaos.

"Und wieder starben Menschen"
Genauso beurteilt Dario Monteforte die Situation. "Es ist eine seltsame Welt, in der ich jetzt lebe", sagt er, "einerseits sind da meine Gäste, die sich am Strand vergnügen. Baden, lachen, Sandburgen bauen. Doch gar nicht weit von hier spielen sich ständig fürchterliche Szenen ab."

Wie am vorvergangenen Samstag. Als draußen am Meer 650 Menschen von Schlauchbooten auf ein Rettungsschiff verfrachtet wurden. Neun von ihnen waren bei der Ankunft in Catania bereits tot.

Martina Prewein und Alexander Bischofberger-Mahr, Kronen Zeitung/krone.at

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