Polit-Mord in Wien

Kronzeugen-Regelung soll Licht ins Dunkel bringen

Österreich
18.01.2009 13:40
Mit einer Kronzeugenregelung soll nun der bisher einzige Verhaftete im Mordfall Israilov, Otto Kaltenbrunner (Bild links oben), zum Auspacken bewegt werden. So hoffen die Fahnder, den Tschetschenen-Mord aufklären zu können. Die Ermittlungen wurden außerdem auf die Slowakei ausgedehnt - denn dort sollen die von Präsident Ramzan Kadyrov ausgesandten Killer ihr Aufmarschgebiet haben. Auch der Vater des am Montag in Wien ermordeten Tschetschenen Umar Israilov (rechts im Bild) hat sich mittlerweile zu Wort gemeldet und in einem offenen Brief erklärt, sein Sohn hätte zur Rückkehr in seine Heimat gezwungen werden sollen. Außerdem soll eine Liste mit 300 Todeskandidaten existieren.

"Ich war nur Chauffeur!" An dieser Behauptung hält der verhaftete Verdächtige, Otto Kaltenbrunner, bisher in jedem Verhör fest. Doch mittlerweile steht fest, dass er mehrmals beim späteren Mordopfer aufgetaucht war. Inzwischen mehren sich auch die Zweifel, dass Kaltenbrunner alias Edilov R. wirklich tschetschenisch-stämmig ist. "Er ist keiner von uns", sagen Exil-Tschetschenen, denen die "Krone"-Reporter das Foto zeigten.

"Wir haben Todesangst"
Umso mehr dürfte die in St. Pölten wohnende Familie des 41-Jährigen vor möglichen Racheakten zittern. Im Rahmen der Kronzeugenregelung sollen auch Kaltenbrunners Frau, seine drei Kinder und das Enkerl unter Polizeibewachung gestellt werden. Die 17-jährige Tochter zur "Krone": "Wir haben Todesangst."

Schon zuvor war der Familie des ermordeten Ex-Leibwächters Personenschutz gewährt worden. Denn der Vater des Getöteten hatte über seine Anwältin die Befürchtung geäußert, dass sein Name als Nächstes auf der Todesliste stehen könnte.

Präsident folterte persönlich
Umar Israilov sei als "junger 0815-Rebell" von Kräften des Tschetschenen-Präsidenten Ramzan Kadyrov festgenommen und misshandelt worden, sagt sein Vater Ali Israilov in seiner der Wiener Anwältin Nadja Lorenz übermittelten Stellungnahme.

"Ramzan Kadyrov persönlich hat ihm Elektroschocks versetzt und ihn geschlagen", beschuldigt er den Präsidenten in der "öffentlichen Erklärung". Stattgefunden hätten die Folterungen im April 2003 während einer dreimonatigen Gefangenschaft in Kadyrovs Stützpunkt in Tsentoroi. Danach habe man seinen Sohn gezwungen, den Sicherheitskräften des jetzigen Staatsoberhauptes beizutreten. Als Mitarbeiter der Leibwache des Politikers habe er mehrere Monate zahlreiche Verbrechen miterlebt. "Außergerichtliche Hinrichtungen, systematischer Folter, Fälle von 'Verschwindenlassen' von Menschen und illegale Haft" seien unter dem Kommando des Präsidenten durchgeführt und veranlasst worden.

Die Erklärung im Wortlaut findest du in der Infobox!

Im Herbst 2004 sei Umar nach Europa geflüchtet und von Polen schlussendlich nach Österreich gelangt. Seit dem Jahr 2007 und den öffentlichen Anschuldigungen gegen den Präsidenten hätten dort die Probleme begonnen. Zuletzt habe er im Dezember 2008 in der Nähe seiner Wohnung wiederholt einen tschetschenischen Mann bemerkt, erklärte Ali. "Er fühlte sich bedroht, informierte die Polizei und fragte wiederholt um Hilfe."

Todesliste mit 300 Personen
Laut der Erklärung des Vaters des Ermordeten soll Russland zuvor versucht haben, Umar per internationalem Haftbefehl zur Rückkehr nach Tschetschenien zu zwingen. 2007 habe der Staat seinem Sohn Terrorismus, illegale Bewaffnung und einen Mordanschlag auf einen Sicherheitsmann vorgeworfen und die Auslieferung verlangt. Österreich habe diese wegen fehlender Fakten verweigert. Im Juni 2008 sei sein Sohn wiederum von einem unbekannten Tschetschenen bedroht worden - er solle die Anzeige zurückziehen und heimkehren. Dabei habe der Mann eine Liste mit 300 Personen, die "sterben müssen", erwähnt, 50 davon würden sich in Österreich befinden. Diese Liste habe er in Kadyrovs Residenz gesehen.

Umar Israilov hatte laut seinem Vater Kontakte zu einer Widerstandsbewegung in seinem Heimatdorf Mesker-Yurt. Nach der Flucht seines Sohnes nach Europa seien auch er, seine Frau sowie die Schwägerin von Umar festgenommen und gefoltert worden, berichtete Ali Israilov. "Kadyrovs Männer brachen mir meine Rippen und schlugen mir Zähne aus." Auch Morddrohungen wurden ausgesprochen, im Oktober 2004 sei das Martyrium durch die Flucht nach Europa beendet worden. Er und Umar hätten nach Gerechtigkeit gesucht, heißt es in der Erklärung des Vaters. Es sei schwer für ihn, den "Mangel an Reaktion" der österreichischen Polizei vor dem Mord zu akzeptierten.

Opfer hatte schon im Sommer Polizei alarmiert

Am Donnerstag hatten sich die Wiener Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu dem Mord geäußert: Die Indizien, dass es sich um eine politisch motivierte Tat an dem Ex-Leibwächter des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrov handelt, könnten demnach korrekt sein. "Beweisen können wir allerdings nichts", hieß es. Bekannt wurde auch, dass das Opfer bereits im Sommer 2008 erstmals die Polizei alarmiert hat. Umar Israilovs Flüchtlingsbetreuer sagte, dass sich der 26-Jährige bedroht fühlte.

Der Flüchtlingsbetreuer hat im Dezember erstmals mit dem LTV Kontakt aufgenommen. Laut Walter Nevoral vom LVT gab es diesbezüglich E-Mail-Verkehr. Darin sei eine "vage Bedrohungslage" angedeutet worden, die aus damaliger Sicht keine Sofortmaßnahmen notwendig machte. "Das Opfer hat sich beobachtet gefühlt, das war's", meinte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Aber bereits im Sommer 2008 hatte sich der Ermordete an die Behörden gewendet: Er sei genötigt worden, seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückzuziehen. In der Klage war es um Folter in Tschetschenien gegangen.

Israilov von drei Projektilen getroffen
Umar Israilov wurde laut Polizei von drei Projektilen getroffen, und zwar im Oberkörper, an einem Arm und an einem Bein. Die zunächst von einer Polizeisprecherin getätigte Aussage, die Täter hätten ihm in den Kopf geschossen, wurde widerrufen. Nach der Tat in Floridsdorf versuchten die Täter, Autos aufzuhalten, und stiegen schließlich in einen grünen Volvo, der später auf einem Parkplatz in Wien entdeckt wurde. Polizisten wurden auf das Fahrzeug aufmerksam, da es nachlässig eingeparkt war und trotz Kälte ein Seitenfenster offenstand. Über den Volvo kamen die Ermittler auf den verdächtigen 40-Jährigen.

Von den mutmaßlichen Geheimdienst-Killern ist wenig bekannt: Die beiden Flüchtigen seien zwischen 20 und 30 Jahre alt, 1,75 bis 1,80 Meter groß und von durchtrainierter Statur. Einer war mit einer Tarnjacke, dunkler Hose, weißen Sportschuhen und einer Wollhaube bekleidet. Er hatte eine auffällige Narbe oder ein Muttermal oder eine Blutkruste am Nasenrücken, berichteten Zeugen. Der zweite Täter trug eine dunkle Jacke, eine graue Mehrzweckhose und ebenfalls eine Wollhaube. Ob er bewaffnet war oder nicht, darüber waren sich die Zeugen nicht einig, merkte Nevoral an.

Witwe: "Ramzan Kadyrov hat die Killer geschickt"
Die 28-jährige Frau des Mordopfers zeigte sich im Interview mit der "Krone" überzeugt, dass ihr Mann von Profi-Killern getötet wurde: "Der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrov hat sie geschickt. Mein Mann war ein überzeugter Rebell und wurde im Jahr 2003 von der Regierung festgenommen. Nach drei Monaten Haft musste er die Seite wechseln. Sonst wäre seine ganze Familie ermordet worden", erzählt die im 9. Monat schwangere Mutter von drei Kindern. "Er arbeitete einen Monat als Kommandant für Kadyrov, danach flüchteten wir aus Tschetschenien."

Neun Monate war die junge Familie in Polen untergetaucht, ehe sie nach Österreich kam. Im Sommer tauchte dann plötzlich ein Mann auf. "Er sagte, er käme im Auftrag Kadyrovs und wolle uns auf friedliche Weise zurückholen. Er drohte uns mit einem Unglück, wenn wir nicht mitkommen würden." Nun hat auch 28-Jährige Todesangst: "Ich weiß nicht, wo ich und meine Kinder nun sicher sind."

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