Verstrahlte Nahrung
Wirbel um neue EU-Verordnung, die Grenzwerte erhöht
"Ein skandalöses Vorgehen der Kommission", kritisiert Wolfgang Pirklhuber, Sprecher für Lebensmittelsicherheit der österreichischen Grünen, gegenüber der "Krone" die Durchführungsverordnung 297/2011. Laut der EU-Abgeordneten Ulrike Lunacek von den Grünen werde damit der Import von belasteten Lebensmitteln toleriert, die selbst in Japan nicht zum Verzehr zugelassen wären, weil dort die Grenzwerte nunmehr strenger geregelt seien.
20-facher Grenzwert für Fischöl
Jedenfalls gelten seit der Veröffentlichtung der Verordnung im Amtsblatt der EU spezielle Grenzwerte. Für radioaktive Cäsium-Isotope sind dies generell 1.250 Bequerel pro Kilogramm, für Milcherzeugnisse und Säuglingsnahrung gelten 1.000 bzw. 400 bq/kg, für "Nahrungsmittel geringerer Bedeutung" (dazu gehört z.B. Fischöl) gilt der zwanzigfache Wert von 12.500 bq/kg. Laut dem deutschen Umweltverein "Umweltinstitut München" lagen die bisherigen Grenzwerte bei 600 bq/kg für normale Lebensmittel und 370 bq/kg für Babynahrung. Letztere wurden also durch die bis Ende Juni geltende Verordnung immerhin nur geringfügig erhöht.
In der Verordnung selbst klingt die Erhöhung der Grenzwerte hingegen wie eine Schutzmaßnahme: "Gemäß Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 kann die Kommission geeignete Sofortmaßnahmen der Union für aus einem Drittland eingeführte Lebens- und Futtermittel treffen, um die öffentliche Gesundheit, die Tiergesundheit oder die Umwelt zu schützen, wenn dem Risiko durch Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten nicht auf zufriedenstellende Weise begegnet werden kann."
EU-Kommission weist Kritik zurück
Ein Sprecher von Gesundheitskommissar John Dalli sagte am Mittwoch in Brüssel, die Kommission habe keine Grenzwerte angehoben, sondern die EU habe vergangene Woche die Durchführung zu einer Basisverordnung von 1987 - ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe - beschlossen, welche die Obergrenzen von Lebensmitteln im Fall eines "atomaren Notstands" (mit bedeutenden Auswirkungen auf Europa, Anm.) regelt, damit die Versorung der Bevölkerung sichergestellt werden kann.
Dem entgegnen Kritiker, dass bei Japan nicht von einem atomaren Notstand die Rede sein kann, da nur 0,05 Prozent der europäischen Lebensmittel aus Japan stammen und man daher in keinster Weise darauf angewiesen sei, Importe weiterhin durchzuführen.
Berlakovich: "Beschluss muss sofort revidiert werden"
Auch Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP) meldete sich am Donnerstag mit Kritik zu Wort. Die Grenzwerte seien "absolut inakzeptabel. Wer diese Entscheidung getroffen hat, kann nicht mehr Herr seiner Sinne sein", sagte der Ressortleiter.
Die herangezogenen Grenzwerte seien zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung bei Nuklearunfällen in der EU gedacht, also damit die Bevölkerung in ärgsten Krisenfällen nicht verhungert. "Bei dem aktuellen Unfall in Japan und der vorliegenden Distanz ist diese Regelung jedoch um Häuser zu tolerant und somit inakzeptabel", wetterte Berlakovich.
"Ich erwarte mir, dass diese Verordnung umgehend revidiert wird. Es müssen deutlich niedrigere Grenzwerte eingeführt werden. Schließlich geht es um die Sicherheit unserer Konsumentinnen und Konsumenten und um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union", so Berlakovich.
Österreich kontrolliert 100 Prozent der Importe
Abgesehen von den Grenzwerten hat die Durchführungsverordnung der Kommission aber die Kontrollen von Lebensmittelimporten massiv verschärft. Japanische Exporteure müssen Erklärungen unterschreiben und Analyseberichte beilegen, die Zollbehörden an der Außengrenze alle Dokumente prüfen und Stichprobenkontrollen in einem Umfang von zehn bis 20 Prozent der Sendungen durchführen.
Wie immer steht es den Mitgliedsländern frei, die in der Verordnung festgelegten Maßnahmen zu erweitern. Österreich untersucht z.B. 100 Prozent aller direkten Lebensmittellieferungen aus Japan.
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