"Krone"-Interview

Irie Révoltés: “Die derzeitige Lage bestürzt uns”

Musik
04.10.2015 19:07
Wut auf die Poltik und gesellschaftliche Zustände treiben das Heidelberger Kollektiv Irie Révoltés seit mittlerweile 15 Jahren. Die Band rund um das singende Brüderpaar Carlito und Mal Élevé hat im Frühling ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht, einen gefeierten Auftritt beim Frequency hinter sich und kommt am 6. Oktober noch einmal in die Wiener Arena. Wir haben uns mit den beiden unterhalten und sind schnell draufgekommen, das Menschlichkeit und humanes Verständnis bei ihnen eine wichtigere Rolle spielen, als schnöde Musikpromo und das Schielen auf Verkaufszahlen.
(Bild: kmm)

"Krone": Mal Élevé, Carlito - euer Bandname bedeutet übersetzt "fröhliche Aufständische". Was ist eure Botschaft, welche Quintessenz steckt hinter dem Bandnamen?
Carlito: Es ging uns immer darum, mit positiver Energie politische und gesellschaftskritische Themen anzubringen. Wir wollen Leute dazu bringen, selbst nachzudenken und aktiv zu werden. Das Konzept funktioniert gottseidank sehr gut und wir kriegen nach den Konzerten auch gutes Feedback. Das motiviert uns, es auch weiterhin durchzuziehen.

"Krone": "Aufstand" ist in Mitteleuropa und vor allem den deutschsprachigen Ländern nicht unbedingt ein großes Thema. Fehlt uns hier die Protestkultur?
Mal Élevé: Auf jeden Fall, wir sind sehr bestürzt darüber, wie hier in Deutschland und Österreich mit dem Thema Flüchtlinge umgegangen wird. Die einzigen, die wirklich zu Wort kommen sind die populistischen und konservativen Parteien, die einfach Hetze betreiben. Es gibt glücklicherweise Einzelpersonen, die sich dafür aussprechen und etwas machen - sie retten die Diskussion. Es gibt auch Leute, die auf die Straße gehen und gegen die Politik sind, die gerade gefahren wird, aber leider gibt es sehr viele Menschen, die derzeit gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen - das schockiert uns natürlich. In Österreich und Deutschland kommen verhältnismäßig wenige Menschen überhaupt an, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht. Allein die viel ärmeren Nachbarländer der betroffenen Regionen müssen da wesentlich mehr stemmen und unsere Politiker schieben sie in irgendwelche Lager und Zeltplätze ab. Das sind Zustände, die in den reichsten Ländern der Welt eigentlich absurd sind. Das ist nicht notwendig und die Politik macht fast bewusst viel zu wenig. Sie suchen einen neuen Sündenbock, um damit auch von anderen Themen abzulenken. Wir ziehen mit unserer Musik die Regierungen in unseren Ländern in die Verantwortung, denn man muss die Menschen in das Thema einbringen und darf keine Hetze schüren. Das ist ein gefundenes Fressen für die rechten Parteien, sie schlecht darzustellen, wenn man Flüchtlingen nicht die Möglichkeit gibt, zu arbeiten und ganz normale Wohnungen zu beziehen. Meiner Meinung nach gibt es genug Wohnungen, sie in Zelten schlafen zu lassen ist bewusst gemacht, um die Bevölkerung zu verängstigen.

"Krone": Fehlt es Politikern heute im Vergleich zu früher an Courage, Meinung und Standfestigkeit?
Carlito: Es ist eher ein gefundenes Sündenbockkonzept-Prinzip, das gerade gebraucht wird, weil es genug EU-interne Probleme gibt. Derzeit passt das einfach perfekt in die politische Propaganda rein, dass viele Fehlinformationen gestreut werden. Die EU trägt viel dazu bei, dass Menschen überhaupt durch Zölle fliehen müssen und dahingehend wird auch sehr viel verschwiegen. Ich würde also nicht sagen, die Courage fehlt, sondern es wird mit purer Absicht so gehandelt.

"Krone": Gerade Österreich hatte vor etwa 20 Jahren nach dem Krieg im Balkan mit vielen Flüchtlingen zu tun und hat diese schwierige Situation sehr gut gelöst. Warum aber scheint es heute so viel schwieriger zu sein, damit klar zu kommen. Seht ihr eine allgemeine Verrohung der Gesellschaft?
Mal Élevé: Das ist wirklich krass erschreckend, auch in Deutschland. Das ist fast schon pogromartig und man hört jeden Tag von irgendwelchen neuen Übergriffen - da werden zum Beispiel Häuser angezündet. Die Konsumgesellschaft wurde immer größer und nicht alle machen sich Gedanken darüber, dass es auf der Welt nicht allen so enorm gut geht wie uns. Uns geht es unter anderem ja auch deshalb so gut, weil es anderen schlecht geht - das darf man nie vergessen. Die Krise ist da auch ein großer Faktor, denn gerade diese Angst, wie Griechenland dazustehen und nichts zu haben, die ist unterschwellig da. So kann es eben schnell passieren, dass die Menschen nicht mehr mit offenen Armen dastehen und das ist gefährlich und traurig.

"Krone": Mit einem so großen sozialen Gewissen - wie fühlt ihr euch dann, wenn ihr auf einem Festival wie dem Frequency spielt und dort den jugendlichen Hedonismus praktisch aus erster Hand erlebt?
Mal Élevé: Natürlich denkt man kurz daran, aber wir sehen das als Chance. Wir sind total dafür, zu feiern, denn Spaß im Leben sollte sowieso immer erlaubt sein. Das ist auch unser Motto, alles positiv und nach vorne schauend anzugehen. Wir haben selber gerne gute Stimmung, aber natürlich ist sehr viel Hedonismus und Stumpfsinn dabei. Da ist unsere Hoffnung aber, dass die Leute trotzdem zwei bis drei Sätze aufnehmen und darüber nachdenken. Wir haben auch oft so ein Feedback bekommen und das motiviert uns natürlich, den Weg weiterzugehen. Wir wollen ja auch Leute erreichen, die sich vielleicht von Nonsens-Propaganda beeinflussen lassen, aber selbst nicht nachdenken.

"Krone": Wie kam es dazu, dass ihr seit mittlerweile 15 Jahren derart politisch und gesellschaftskritisch agiert?
Carlito: Viel bekamen wir durch unsere Eltern mit, die politisch immer sehr aktiv waren. Wir haben als Kinder erlebt, dass man als Bürger eines Landes und Kontinents politisch aktiv sein kann und die Geschehnisse auch mitgestalten sollte. Wir gehören ja alle dazu und können uns dem Ganzen nicht entziehen. Wir alle sind politische Menschen, allein schon weil wir leben und einer politischen Gemeinschaft angehören. Und unsere Heimat Heidelberg war damals ein cooler Ort für Politisierung. Die Punk- und Hip-Hop-Szene war damals sehr groß und politisch. Das hat sich heute sehr geändert, aber anfangs war die Stadt in dem Bereich federführend. Es war einfach klar, dass man als Hip Hopper politisch denkt, denn durch das Sprühen, Breaken und derartige Sachen war man auch ein bisschen außen vor, damals war das alles noch nicht Mainstream. Das war sehr prägend für uns.

"Krone": Die fröhlichen Songs und Melodien sind ein starker Kontrapunkt zu den bedeutungsschwangeren Texten, die ihr habt. Ist diese Diskrepanz bewusst so gewählt?
Mal Élevé: Es war kein Konzept, sondern hat sich so ergeben, aber wir sind von Anfang an gut damit gefahren. Wie gesagt - wir sind keine Menschen, die den Kopf hängen lassen. Wir mögen fröhliche Melodien und beschäftigen uns gleichermaßen mit ernsten Themen, finden es daher wichtig, solche Statements abzugeben. Deshalb kombinieren wir das einfach und das funktioniert sehr gut. Wenn man uns noch nicht gehört hat und die beiden Komponenten nur wo liest, denkt man sich vielleicht, das passt nicht, aber eigentlich klappt das zusammen sehr gut.

"Krone": Eure Inhalte kennt man hauptsächlich aus der Hardcore-Punk-Szene. Ist euch eure Form der Musik manchmal nicht zu wenig aggressiv, um die Botschaften auch richtig anzubringen?
Carlito: Da haben wir auf dem neuen Album "Irie Révoltés" auch mal aggressivere Nummern oben. Wir wollen nicht so rüberkommen, als ob wir immer happy wären und die Welt verändern wollen. Das Blümchenmäßige behagt uns gar nicht. Wir haben gemerkt, dass wir durch positive und emotionale Anstöße die Leute besser kriegen können. Durch Endorphine wird mehr ausgelöst und so mancher denkt sich vielleicht nach einem unserer Konzerte, dass er ja auch was machen und mithelfen kann. Man ist vielleicht nur einer von Milliarden von Menschen, aber die Typen da oben wissen es ja auch oft nicht besser. Es geht einfach darum, etwas zu versuchen, auch wenn man auf die Fresse fällt. Jeder soll und kann das tun, was ihm eben möglich ist.

"Krone": Ihr seid ja auch in vielen ehrenamtlichen und humanitären Organisationen engagiert. Welche wären das genau?
Carlito: Uns ist eben wichtig, nicht nur den Zeigefinger zu heben, sondern auch selbst was zu machen und zu beweisen, dass wir es ernst meinen. Man muss Menschen die Möglichkeit geben, sich einzubinden und deshalb gibt es seit Jahren meehhilfen sammeln und diese einmal pro Jahr nach Senegal bringen, um dort eine landesweite Organisation zu unterstützen, die Menschen mit Behinderung hilft. Die Bedürftigen haben damit mehr Autonomie, können sich selbst fortbewegen und dadurch leichter eine Ausbildung starten. Es geht darum, nicht ausgegrenzt zu werden. Dann haben wir noch "Viva Con Aqua", das bekannte Projekt, das sich mit dem Trinkwasserproblem dieser Welt beschäftigt. Trinkwasser, das die nächsten Kriege verursacht und neben Öl der größte Kriegstreiber ist. Wasser wird ja in vielen Ländern immer knapper und die Aktion macht auch einen positiven Aktionismus, so wie wir mit der Musik.
Mal Élevé: Ein letztes Beispiel - wir helfen seit ein paar Jahren auch "Make Some Noise" mit dem Untertitel "Sexism and Homophobia out of my Music". Da geht es darum, dass vor allem im Reggae und Hip Hop sehr oft stumpfsinnige, sexistische und homophobe Inhalte weit verbreitet sind, die so ausarten, dass dazu aufgerufen wird, Schwule zu verbrennen und so weiter. Das ist für uns natürlich ein No Go, wer wen liebt, sollen die Leute selbst entscheiden.

"Krone": Aber der Hip Hop lebt mit seinen offensiven Inhalten ja nur ein Klischee aus?
Mal Élevé: Ja, ein bisschen stimmt das mit dem Klischee, aber viele übernehmen diese Botschaften und interpretieren sie falsch. Wir wollen einfach eine Subkultur, in der solche Inhalte einfach keine so große Bedeutung haben.

"Krone": Carlito, du hast vorher gesagt, Trinkwasser und Öl sind die Kriegstreiber der Zukunft. Normalerweise kommt bei dem Thema als erstes das Wort Religion. Warum denkt ihr da anders?
Carlito: Religion wird ja immer schon dafür benutzt, das ist nichts Neues. Das Christentum war im Mittelalter wirklich ganz groß im Kriege führen und noch heute wird Religion immer gerne benutzt, um Leute zu motivieren, sich gegenseitig auf die Fresse zu hauen. Wirtschaftliche Interessen werden mit dem Deckmantel Religion benutzt und ursprünglich sind ja alle Regionen dieser Welt aus einem positiven Gesichtspunkt heraus entstanden. Es soll jeder glauben was er will und die Religionen sollten sich gegenseitig befruchten und nicht das Negative entwickeln. Ich habe das Thema bewusst ausgeklammert, weil es ewig aktuell ist. Der Wasserproblematik sind sich aber viele nicht bewusst, denn dort geht es wirklich darum, wie du lebst und wie du stirbst.

"Krone": Wie weit könnt ihr als Künstler im umkämpften Musikgeschäft frei von der Leber weg agieren und Botschaften verbreiten? Wo müsst ihr Zugeständnisse machen, wo sind die Grenzen?
Carlito: Das ist natürlich immer ein Jonglieren von Möglichkeiten. Manchmal müssen wir was absagen und darüber haben wir immer wieder lange Diskussionen. Wenn Veranstaltungen mit rechten Bands arbeiten, dann sind wir dort raus, das hatten wir in der Vergangenheit auch schon. Es gibt viele Dinge, die kann man machen, aber bei einem so großen Festival wie dem Frequency können wir nicht beeinflussen, mit welchen Sponsoren sie arbeiten. Da muss man klar sagen, wir benutzen den Rahmen für unser Ding und finden es cool, dass wir auch hier stattfinden, weil es sonst nur mehr Spaßmusik ohne Inhalte gibt. Die Plattform ist gut um Leute zu erreichen, die sonst gar nicht damit in Kontakt kommen würden. Das ist schon wichtig. Wenn wir aber alles absagen, dann kommen wir gar nicht mehr weiter und spielen immer in denselben Kreisen. Natürlich müssen auch wir Kompromisse eingehen.

"Krone": Das bedeutet, ihr verzichtet hie und da auf einen wirtschaftlichen Vorteil für euch, wenn der Rahmen nicht passt?
Mal Élevé: Auf jeden Fall. Wir haben auch schon mal ein Festival abgesagt, weil der Hauptsponsor ein Großunternehmen ist, das hauptsächlich Waffen produziert und verkauft. Da ist bei uns das Limit, dort wollen wir einfach nicht spielen. Komplett konsequent kann man nicht sein, aber es gibt einfach Grenzen, die wir nicht überschreiten.

"Krone": Bei einem derart breiten thematischen Rahmen - müsst ihr beim Songschreiben eigentlich wütend sein, um so politisch vorzugehen oder geht das im Hause Irie Révoltés auch mal ruhiger vonstatten?
Carlito: Die Themen sind natürlich immer aktuell und einige andere, die wir auf der letzten Platte nicht verwurstet haben, die verarbeiten wir einfach für die nächste. Es gibt bei uns kein klares Schema. Wir sammeln, haben Augen und Ohren offen und das fließt dann rein. Wütend muss man dafür nicht gezwungenermaßen sein.

"Krone": Gibt es auch Themenbereiche, die ihr aus gewissen Gründen nicht anschneidet?
Carlito: Nicht wirklich, also Berührungsängste haben wir keine. Bislang haben wir nichts ausgespart.

"Krone": Musikalisch seid ihr mit dem neuen Album vom Reggae mehr in Richtung Dancehall gegangen. Weshalb?
Carlito: Das weshalb ist immer schwer zu erklären. Über die Jahre ergibt sich das einfach, wir hatten auch schon rockigere Alben, weil sich das aus den Livekonzerten heraus so ergeben hatte. Jetzt wollten wir wieder mal beatlastiger werden. Das Soundkonzept pro Album überlegen wir schon, aber wir entwickeln uns einfach. Stehenbleiben wäre zu langweilig und ohne Spaß würde alles keinen Sinn machen.

"Krone": Und zweisprachig, Deutsch und Französisch, bleibt ihr auch weiterhin?
Mal Élevé: Wir sind beide zweisprachig aufgewachsen und Französisch ist für uns eine sehr wichtige Sprache für die Musik. Wir finden zwar im deutschsprachigen Raum statt, aber für uns ist die Kombination essenziell, sie macht die Band aus. Oft ist es auch einfacher, Texte auf Französisch zu schreiben.

"Krone": Da lassen sich kritische und harte Botschaften in ein sanfteres Korsett zwängen.
Mal Élevé:(lacht) Man kann viel mehr mit den Wörtern spielen, was auf Deutsch viel schwieriger wird. Wenn ich jetzt auf Deutsch Wörter langziehe oder sie anders betone, schauen mich die Leute blöd an - das funktioniert bei manchen anderen Sprachen viel besser. Das muss insgesamt einfach noch freier werden.

Nach dem gefeierten Frequency-Auftritt beehren Irie Révoltés Österreich noch einmal. Am 6. Oktober wird die zweisprachige Reggae/Dancehall-Truppe live in der Wiener Arena zu sehen sein. Tickets erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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