Causa Aliyev

Gerichtsmedizinerin: “Da schrillen Alarmglocken”

Österreich
08.03.2015 11:54
Die Causa Aliyev und die Ankündigung von Jörg Haiders Familie, auch dessen Tod neu untersuchen zu lassen, fordern die Gerichtsmedizin. Die Top-Expertin Edith Tutsch-Bauer erläutert im Gespräch mit der "Krone": Was kann geklärt werden, was nicht?

Sie hat keinen Job, um den sie andere beneiden. Wenn das Leben endet und mehr Fragen als Antworten bleiben, beginnt die Arbeit von Edith Tutsch-Bauer. Die 62-Jährige ist Österreichs renommierteste Gerichtsmedizinerin, Vorstand des Instituts in Salzburg und Linz. Im Laufe ihrer Karriere obduzierte sie an die 50.000 Sterbefälle und erlangte international Beachtung als sie vor 15 Jahren 155 Opfer der Katastrophe von Kaprun mittels DNA-Analyse identifizierte. Auch nach dem Tsunami in Thailand oder der Exhumierung aus Massengräbern nach dem Jugoslawienkrieg wurde sie zum Einsatz gerufen.

Anlässlich der Causa Aliyev und der Ankündigung von Jörg Haiders Familie, auch dessen Tod neu aufrollen lassen zu wollen, erläutert sie im "Krone"-Interview, was die Gerichtsmedizin alles klären kann. Und was nicht.

"Krone": Was haben Sie gedacht, als Sie gehört haben, dass in der Erstanalyse bei Rakhat Aliyev Barbiturate gefunden wurden? (Anm.: endgültige Ergebnisse lagen zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht vor).
Edith Tutsch-Bauer: Zuerst habe ich mich gefragt, wie es überhaupt möglich sein kann, dass so etwas so schnell an die Öffentlichkeit geht, bevor man überhaupt absolute Gewissheit hat. Da liegt das Problem vermutlich darin, dass die Gerichtsmedizin in Wien keine eigene Toxikologie mehr hat und Analysen außer Haus geben muss. Bei Barbituraten schrillen grundsätzlich immer die Alarmglocken. Denn dabei handelt es sich um starke Schlaf- und Beruhigungsmittel, die in Europa schon längst nicht mehr verwendet werden. Da stellt man sich die Frage: Wie kommt es zu so einem Befund? Und woher kommt die Substanz?

"Krone": Nun soll eine Nachobduktion in der Schweiz Gewissheit bringen. Was erwarten Sie davon?
Tutsch-Bauer: Nachobduzieren ist immer ein Problem. Denn sobald bei der Obduktion Weichteile präpariert werden, werden ungewollt auch Befunde verändert. Und zwar da, wo geschnitten und danach genäht wurde und die Gewebsproben für histologische Befunde entnommen wurden. Nach einer Strangulation werden die Halsmuskeln einzeln präpariert, danach lassen sich Hautverletzungen oder Einblutungen im Nachhinein schwerer rekonstruieren. Da bin ich skeptisch.

Was ich bei so einem prominenten und heiklen Fall aber beim besten Willen nicht verstehe: Warum hat man nicht gleich, wie es international üblich ist, einen zweiten unabhängigen Obduzenten angefordert? Vier Augen sehen immer mehr als zwei. In München, wo ich 20 Jahre lang gearbeitet habe, würden in einem solchen Fall sogar drei Mediziner gemeinsam obduzieren. Dies habe ich auch an meinem Institut so übernommen.

"Krone": Der Fall macht generell hellhörig. Wie oft passiert es im Alltag, dass Sterbefälle nicht eindeutig geklärt werden?
Tutsch-Bauer: Sie sprechen ein ganz heikles Thema an, vor dem ich schon seit Ewigkeiten warne. In Österreich wird immer weniger obduziert. Zum einen aus Kostengründen, zum anderen auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft sagt, dass aufgrund von Polizeiermittlungen der Fall geklärt ist.

Ein aktueller Fall: Ein 32-jähriger Skifahrer liegt auf der Piste, sagt noch drei Worte und stirbt. Hier wurde nicht untersucht. Erst nachdem die Bezirkshauptmannschaft auf Drängen doch noch eine Obduktion gefordert hat, wurde erkannt, dass die Aorta gerissen war und damit der Verdacht nahe liegt, dass er von jemand anderem gerammt worden sein musste.

Oder der Fall eines jungen Studenten, der nachts auf einer Landstraße von einem schwer alkoholisierten Lenker angefahren wird und stirbt. Der Lenker behauptete, der Student sei ihm ins Auto gesprungen. Wir haben das Opfer auf Betreiben der Familie exhumiert und konnten aufgrund des Verletzungsbildes eindeutig feststellen, dass das Opfer von dem zu weit rechts fahrenden Lenker von hinten angefahren worden war.

Immer wenn es keine neutralen Zeugen gibt, muss meiner Ansicht nach obduziert werden! Leider ist das nicht der Fall. So kann es vorkommen, dass unnatürliche Sterbefälle unentdeckt bleiben.

"Krone": Kann jeder eine Obduktion beantragen?
Tutsch-Bauer: Sobald die Staatsanwaltschaft einen Leichnam freigegeben hat, ist das für Angehörige auch auf Privatinitiative möglich. Eine Obduktion kostet ja nicht die Welt. Ich verrechne nach dem Gebührenanspruchsgesetz dafür 450 Euro. Aber man hat danach Gewissheit.

"Krone": Die Familie des verstorbenen Jörg Haider beklagt, dass sie gerne eine solche Nachobduktion im Ausland hätte vornehmen lassen wollen. Dass dies aber nicht möglich war, weil der Leichnam einbalsamiert worden sein soll.
Tutsch-Bauer: Ich kann mir das nicht vorstellen. Einbalsamierungen sind bei uns absolut ungewöhnlich. Das geschieht eigentlich nur, wenn Tote in die USA überstellt werden oder aus Thailand oder Ägypten zurückgebracht werden. Dazu muss allerdings irgendjemand den Auftrag geben.

"Krone": Was geschieht genau beim Einbalsamieren?
Tutsch-Bauer: Da wird ein Gefäß im Schulterbereich geöffnet und unter Druck Formalin in den Körper eingebracht, um ihn zu konservieren. Toxikologische Nachuntersuchungen werden so allerdings unmöglich gemacht.

"Krone": Würde es fast sieben Jahre nach dem Unfall überhaupt noch eine Möglichkeit zur Nachuntersuchung geben? Die Familie hätte gerne auf K.o.-Tropfen untersucht gehabt.
Tutsch-Bauer: Für die Korrektheit der in München vorgenommenen Begleitstoffanalyse lege ich fast die Hand in's Feuer. Dort wird absolut korrekt gearbeitet. Nacherhebungen sind nach so langer Zeit sehr schwierig. Es hängt davon ab, ob in Innsbruck oder München noch Blutproben des Verstorbenen vorhanden sind. Sobald die Staatsanwaltschaft kein Interesse mehr daran hat, kann die Familie die Herausgabe zur privaten Analyse beantragen. Es wird übrigens nicht nur nach K.o.-Tropfen untersucht, die sehr flüchtig und schon nach sechs bis acht Stunden ab Einnahme nicht mehr nachweisbar sind, sondern nach K.o.-Mitteln allgemein, wie Valium, Rohypnol oder eben Barbituraten.

"Krone": Wie lange werden Blutproben normal aufbewahrt?
Tutsch-Bauer: Drei Jahre, in Einzelfällen aber auch länger.

"Krone": Macht der Trend zu Einäscherungen auch Ihre Arbeit oft unmöglich?
Tutsch-Bauer: Absolut, das ist ein Riesen-Thema und absolut fatal. Man hat dann überhaupt keine Chance mehr auf Exhumierung oder späte Aufklärung. Die Zweifel am Tod eines Angehörigen kommen oft erst Jahre später, wenn der Schock weg ist. Dann fragt man sich, ob der Suizid oder der Unfall wirklich einer war.

"Krone": Stimmt es, dass es schon bald möglich sein wird, durch DNA-Analysen vom Tatort das genaue Aussehen eines Täters zu beschreiben?
Tutsch-Bauer: Bislang konnten wir nur das Geschlecht bestimmen. Auch eine grobe ethnische Zuordnung ist möglich. Haarfarbe, Augenfarbe oder Körpergröße sind Zukunftsmusik. Allerdings nicht mehr sehr ferne.

"Krone": Sie gehen im Herbst in Pension. Können Sie in diesem Metier wirklich loslassen?
Tutsch-Bauer: Aber klar! 38 Jahre Tod und Verbrechen reichen! Ich hab am Institut ja nicht nur die Verantwortung für 30 Mitarbeiter, sondern durch meine Gutachten auch für die Lebensverläufe von Menschen. Unsere Befunde sind schließlich Grundlage für Verurteilungen bzw. Freisprüche. Ich will künftig mehr Zeit haben, um das Leben zu genießen!

"Krone": Hat man in Ihrem Beruf ein anderes Verhältnis zum Tod?
Tutsch-Bauer: Ja, absolut! Man sieht, wie schnell es geht. Ohne Vorwarnung, überraschend und aus voller Gesundheit heraus. Durch meine Forschungstätigkeit weiß ich auch, wie hoch der Endorphin-Ausstoß durch die Stresshormone beim Sterben ist. Das zeigt, dass das Hinübergleiten sanft und nichts ist, vor dem man sich fürchten muss. Leben nach dem itmenschen weiterzuleben.

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