Forestglade-Comeback

Sisters Of Mercy: Zeitlose Fürsten der Finsternis

Musik
08.07.2025 09:00

Unter all den düsteren Gothic-Rock-Bands gelten die Briten von The Sisters Of Mercy als dunkelste. Frontmann Andrew Eldritch kommt dieser Tage wieder zu uns und spielt einen Co-Headliner-Slot beim reanimierten Forestglade Festival in Eisenstadt. Gitarrist Ben Christo erzählt uns, wie er die Band aus der inneren Position heraus erlebt.

kmm

Musikalisch interessierte Nostalgiker setzten letztes Jahr zu Luftsprüngen an – da kündigte nämlich Konzertveranstalter Barracuda Music im Zuge einer Festival-Pressekonferenz fast still und heimlich an, dass das legendäre Forestglade Festival wieder zurückkehrt. Zwar nicht wie früher im burgenländischen Wiesen, sondern im Eisenstädter Schlosspark Esterházy, aber mit einem Programm, das dem von vor 15 oder 20 Jahren stark ähnelt. Das Forestglade stand vorwiegend für Alternative Rock mit harten Gitarren. Von 1995 bis 2012 konzertierten neben den Wiesener Erdbeerfeldern internationale Top-Acts wie Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Rammstein, Die Toten Hosen oder Faith No More. Für das diesjährige Comeback verpflichtete man samt und sonders Acts, die schon mal beim Forestglade vorstellig waren. Die Punk-Urväter The Godfathers waren sogar bei der Premierenversion 1995 – zwei Jahre später verdunkelten die Goth-Rock-Legenden The Sisters Of Mercy den burgenländischen Himmel. 28 Jahre später sind die Briten wieder frisch dabei und werden bei Einbruch der Dunkelheit die Bühne entern.

Fürsten der Finsternis
Für die Band rund um den charismatischen Frontmann Andrew Eldritch ist Finsternis ein unumstößlich wichtiger Rahmen. „Bei den ganz großen Festivals gehen wir normalerweise zu Mitternacht oder noch später auf die Bühne“, erklärte uns Gitarrist Ben Christo beim Nova Rock 2024 im Gespräch, „wenn die Sonne runterbrennt, kommt unsere Lichtshow nicht zur Geltung und die gesamte Ästhetik geht verloren. Die Sisters Of Mercy leben davon, besonders mysteriös und nicht leicht ausrechenbar zu sein.“ Die Combo aus Leeds ist so etwas wie die „Extended Version“ von Guns N‘ Roses. Mussten die Fans der kalifornischen Stadionrocker einst 15 Jahre auf ein neues Studioalbum warten (seither sind übrigens schon wieder 17 Jahre ohne Nachfolger vergangen), datiert das letzte Sisters-Album „Vision Thing“ aus dem Jahre 1990. Das und die beiden Vorgänger „First And Last And Always“ (1985) sowie „Floodland“ (1987) reichten aber für den ewigen Kultstatus aus.

Der mittlerweile 66-jährige Eldritch zieht seit der Bandgründung 1980 die Fäden. Seit geraumer Zeit ist der einst relativ auffällige Musiker medienscheu und zurückgezogen – Fans bezeichnen ihn liebevoll als Vampir. Für Gitarrist Christo ist die auch intern klar geregelte Rollenaufteilung kein Problem. „In erfolgreichen Bands ist prinzipiell nur Platz für eine ausufernde Persönlichkeit. Das ist hier klar der Fall und wem das nicht passt, der muss auch kein Teil davon sein. Die Sisters sind Andrews Lebensprojekt. Er weiß genau, was er will und was er nicht will. Wenn er mich um einen Rat fragt, stehe ich ihm jederzeit dafür zur Verfügung. Ich bin eine andere Generation als er und er ist sehr daran interessiert, was mich und andere Menschen bewegt. Von außen mag das wie eine Diktatur aussehen, aber dem ist nicht so. Ich habe in puncto Songwriting irrsinnig viel von ihm gelernt.“ Christo ist seit mittlerweile 19 Jahren an Bord und kam als Fan der Band zum Job. „Die Sisters waren nie meine Lieblingsband, aber ich habe ihr Image und ihre Shows geliebt.“

Poetischer Tiefgang
Auch wenn das letzte Album 35 Jahre am Buckel hat, eine reine Show von vorgestern sind Konzerte der Sisters Of Mercy nicht. „Wir gehen nicht auf die Bühne und kleiden uns wie 1985. Natürlich sind die Songs von früher aber verändert, modernisiert und mit der heutigen Technik live umgesetzt. Wir sind alle nicht mit der Vergangenheit verheiratet, sondern holen sie so zeitgemäß wie möglich in die Gegenwart.“ Christo selbst wuchs mit großen Rock- und Metalbands wie AC/DC, Judas Priest oder Def Leppard auf. „Die Lieder der Sisters sind aber etwas ganz Besonderes. Diese poetischen Texte vermischt mit den dunklen Melodien – das hatte für mich immer mehr Aussagekraft als ein flotter Song von Mötley Crüe“. Songs wie „Dominion/Mother Russia“, „Lucretia My Reflection“ und die Gothic-Disco-Hymne „Temple Of Love” gehören mit zum Besten, was dieses Genre allgemein je vorgebracht hat. Nach dreieinhalb Dekaden haben dafür selbst treue Fans aufgehört auf ein neues Album zu hoffen, auch wenn Meister Eldritch selbst die Erwartungen geschürt hat.

2016 sagte Eldritch in einem Interview, würde Donald Trump US-Präsident werden, würde es ein neues Album der Sisters geben. Neun Jahre später ist dahingehend noch immer nichts passiert. „Er hat mir jedenfalls nie gesagt, dass wir kein neues Album machen würden“, antwortet Christo kryptisch-schmunzelnd auf die klassische Frage, „Andrew hat immer wieder einzelne Songs geschrieben. Ich weiß auch gar nicht, ob die Leute heutzutage noch ein Album wollen - vielleicht ist das bei unserer Fanbase aber doch noch das bevorzugte Musikformat. Jedenfalls schwirrt irrsinnig viel Material herum. Man könnte wahrscheinlich 30 Songs daraus basteln, aber es muss der richtige Zeitpunkt kommen. Andrew entscheidet jeden einzelnen Schritt selbst, er lässt sich nirgends dreinreden. Es kann heute passieren, es kann morgen passieren, es kann aber auch erst in vielen Jahren passieren. Wir lassen uns dabei selbst überraschen.“

Was wäre wenn
Als Musiker und Fan der Band hat sich Christo schon viele Gedanken darüber gemacht. „Ich habe mir oft überlegt, was passiert wäre, hätte die Band in den 90ern einfach weiter Alben produziert? Wäre sie, wie so viele andere auch, in Richtung Grunge und Alternative Rock gegangen? Wäre die Popularität um die Band dann heute auch so hoch oder noch höher?“ Zudem hat sich auch das Musikbusiness stark verändert. „Früher haben die Menschen noch gespannt auf neue Musik zugewartet. Ich erinnere mich, als Michael Jackson 1991 eine Single veröffentlicht hat. Release-Zeitpunkt war damals 19.30 Uhr und alle sind vor MTV und ihren Radios gesessen und zählten die Minuten. Solche gemeinschaftlichen Events hast du heute maximal noch bei einer Riesenkatastrophe, einer Fußball-WM oder wenn die Queen stirbt - damals war das üblich. Musik hat heute noch immer einen großen Einfluss und ist von besonderem Wert für alle Menschen, aber alles ist viel zerhackter und kleinteiliger. Ein neues Sisters-Album könnte gar nicht mehr so viel Wirkmacht ausstrahlen wie vor 40 Jahren.“

Ganz und gar unzeitgemäß ist nicht nur das mediale Versteckspiel von Eldritch, auch auf den Social-Media-Kanälen hält man sich im Bandsegment vornehmlich zurück. „Ich mag es, wenn man als Band eine mysteriöse Seite hat und nicht jeden Schritt im Leben für alle öffentlich macht. Das würde auch gar nicht zu unserem Image und unserem Sound passen. Zum Erfolgsrezept von Eldritch zählen Zurückhaltung und Geheimhaltung. Das sind Ästhetiken, die heute nicht mehr sehr viele Bands anwenden, die dem ganzen Projekt aber eine gewisse Langlebigkeit bescherten, weil es authentisch ist. Keiner erwartet sich, dass wir unsere neuen Schuhe auf Instagram stellen und selbst ich als Riesenfan von Musik und jungen Acts, muss sagen, wenn ich mit Infos und Bildern überladen werde, dann wende ich mich eher davon ab.“ Ganz im Gegensatz zum Image der Band, sollten die Liveshows auch nicht zu düster wirken. „Es geht um Euphorie und um die Gemeinschaft. Bei uns ist jeder willkommen, der eine schöne Zeit haben und sie mit anderen teilen möchte.“

Live am Forestglade Festival
Am 11. Juli geht das große Comeback des Forestglade Festivals im Schlosspark Esterházy in Eisenstadt über die Bühne. Neben den Sisters Of Mercy sind auch Cypress Hill, H-Blockx, Therapy?, K’s Choice, Dog Eat Dog und The Godfathers am Start. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Informationen zum Festival.

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