Jede Generation hat ihren coolen Lieblings-Act. Nach Bilderbuch und Bibiza schickt sich nun der 20-jährige Ben Clean an, Wien auf der internationalen Pop-Landkarte hell erstrahlen zu lassen. Im ausführlichen „Krone“-Talk spricht er über sein Debütalbum „Groß werden“, seine Liebe zum Anton-Benya-Park und wieso ältere Männer sich oft wie im Kindertheater gebärden.
Eigentlich ist es ja ironisch und paradox zugleich – ein Wiener Sänger der digitalen Generation TikTok klebt in halb Wien ganz analog und in Guerilla-Manier Sticker von sich auf alle möglichen Laternen, Stromkästen und Verkehrstafeln und erregt damit die Aufmerksamkeit des Radiosenders FM4. Über dortiges Airplay wird aus Ben Clean, so der Künstlername von Benjamin Klien, plötzlich ein Die-Untergrund-Phänomen und immer mehr Menschen kriegen was von seinem Sound mit. Kurz vor der Halbzeit des Jahres 2025 ist er nun bereit für den breitflächigen Durchbruch – die Wege sind dafür geebnet. Mit „Groß werden“ erscheint dieser Tage nicht nur Cleans Debütwerk, sondern eines der vielseitigsten und spannendsten Coming-Of-Age-Alben, die man aus Österreich in den letzten Jahren gehört hat. Die wichtigsten Erfolgsgeheimnisse? Ein frischer, keinesfalls überproduzierter Sound und stilistische Vielseitigkeit. Ganz zur TikTok- und Playlisten-Generation passend – und damit schließen wir den Kreis – muss nichts und kann alles.
Nichts aus dem Schulbuch
„Mit 13 oder 14 habe ich Popmusik für mich entdeckt“, erzählt uns der sympathische Musiker beim Gespräch im Wiener Café Goldegg, „dann habe ich das Gitarrespielen gelernt und so vor mich dahingesungen.“ Los ging es vorher mit Klassik. Beide Elternteile sind dort dick im Geschäft, das Klavierspielen und Singen in Chören waren seine ersten musikalischen Berührungspunkte. Parallel zur Schule denkt Ben Clean jedenfalls noch nicht an eine musikalische Karriere oder dergleichen. „Musiker zu werden, war für mich sowieso denkunmöglich. In keinem Schulbuch wird das irgendwie als Jobmöglichkeit angegeben. Für mich war überhaupt niemals vorstellbar, wie man so etwas so hinkriegen könnte.“ Im Laufe der Zeit begegnet Ben dem gleichaltrigen Maxi Nagl. Die beiden passen musikalisch und privat perfekt zueinander. Von da an wird ernsthafter an Songs gearbeitet, die Schlafzimmerproduktionen werden professionalisiert und der Austausch fruchtet. Neben Bilderbuch, Bibiza, Jimi Hendrix oder Pink Floyd nennt Ben Clean seinen Kreativpartner gerne als größte Inspirationsquelle.
Nach und nach entstehen Songs und spiegeln das Lebensgefühl des aufwachsenden Wieners wider. Mal poppig, mal gerappt, mal im Indie-Segment. Es geht um Liebeskummer, um Probleme in der Schule und das schnelle Verrinnen von Zeit und Jugend, aber auch um Fußballspielen im Anton-Benya-Park, um Scooterfahren am Karlsplatz und die letzte Tschick nach einer durchzechten Nacht. Um all die Dinge, die einen beschäftigen, wenn die Kindheit sich langsam zurückzieht, dem Erwachsensein aber noch nicht Einlass gewährt wird. Ben Cleans Lieder wandeln zwischen Melancholie und Exzess. „Wichtig war, dass wir keine allwissenden Erwachsenen um uns herum hatten, die mir sagten, ich solle dies oder das machen“, lacht der Künstler, „wir haben immer das gemacht, worauf wir gerade Lust hatten. So entstand ein Song nach dem anderen und es kam der Gedanke auf, dass man daraus ein Album machen könnte.“ Der Sound entwickelte sich mit dem Älterwerden Cleans. „Anfangs habe ich viel Indie und Pop gemacht. Ich fand Rap immer cool, hatte aber keine Ahnung davon. Es hat sich alles nach und nach ergeben und jetzt ist die Mischung da.“
Liebe für Unerwartetes
Ähnlichkeiten mit dem zuletzt schwer gehypten Bibiza lassen sich finden. Der Song „Karlsplatz“ orientiert sich musikalisch sogar extrem stark an diesem Vorbild, was Ben Clean auch gar nicht abstreitet. „Bibiza ist cool. Er ist, glaube ich, sieben oder acht Jahre älter als ich, also eine andere Musikergeneration, aber er hat auch bei sich zu Hause gerappt und an Sounds getüftelt – so wie wir jetzt.“ Es ist wohl auch dem Aufwachsen im eigenen musikalischen Haushalt geschuldet, dass Ben Clean Pink Floyd mag und sich auf „Groß werden“ immer wieder mal opulente 80er-Jahre-Gitarren Bahn brechen. „Ich achte schon darauf, den Horizont so weit wie möglich zu lassen. Natürlich gibt es einen gewissen Rahmen, in dem man sich bewegt, aber mir macht es unheimlich viel Spaß, neue Nuancen einzubauen und Unerwartetes zu forcieren.“
Den ersten Song, den Ben Clean für sein Debütalbum geschrieben hat, ist der Album-Closer „Zu spät“. Kurioserweise ist er es auch der Track, der als letztes fertiggestellt wurde. „Ich würde sagen, dass es der persönlichste Song auf dem Album ist, auf dem ich mich am stärksten öffne. Am Text habe ich lange geschraubt, gewisse Passagen immer wieder geändert, bis sich alles gut für mich angefühlt hat.“ Clean hat einen guten Schmäh. Er trägt beim Interview einen Pulli mit dem Aufdruck „Protect Me From The Music Industry“ und scherzt, dass er ohne Verletzungspech schon beim FC Barcelona spielen würde. Musik in Wien-Wieden zu machen reicht natürlich auch – dem 4. Wiener Gemeindebezirk huldigt Clean auf „Groß werden“ in vielfacher Ausführung. „Ich bin hier geboren, zur Schule gegangen und lebe hier. Es ist der beste Bezirk Wiens.“ „Groß werden“ mäandert irgendwo zwischen Melancholie und Exzess. Man riecht förmlich die Post-Pubertät, die sich durch die einzelnen Songs zieht.
Musik gegen das Kindertheater
Das Album kann man als musikalisches Tagebuch sehen, mit dem Ben Clean nicht nur seine, sondern eine generationsübergreifende Entwicklung zugänglich macht. „Die Dinge gehen so schnell dahin, dass es umso spannender ist, durch die Lieder darauf zurückzuschauen, wie es vor kurzem war. Die Musik ist für mich ein guter Anhaltspunkt für Reflexion, ich lerne mich dabei selbst besser kennen. Sie ist sicher eine gewisse Form von Therapie. Es gibt für mich wenig Erfüllenderes, als zu singen.“ Ben Clean gehört einer Generation an, die ein gesünderes Verhältnis zur Offenheit pflegt. Man redet über Rückschläge, Unsicherheiten und Probleme und versteckt sich nicht hinter einer falschen Scham. „Ich sehe in den Nachrichten viele erwachsene Männer in der Politik, die sich aufführen wie im Kindertheater“, findet er kritische und durchaus reife Wörter für den Status Quo, „ich will da nicht einfach so mitspielen, sondern offen teilen, was in mir vor sich geht.“
Release-Show im Wiener WUK
Ben Clean ebnet sich mit „Groß werden“ jedenfalls einen Weg, auf dem er gerade seine ersten großen Schritte macht. Auch wenn er erst jetzt realisiert hat, dass man durchaus „Musiker“ als Berufsbezeichnung verwenden kann, ist es nicht zu früh für erste Visionen. „In zwei oder drei Jahren das Open-Air-Gelände der Wiener Arena zu füllen, das wäre schon schön“, lacht er keck, aber fokussiert. Besonders freut ihn vor allem, ein Teil der extrem vitalen Wiener Musikerszene zu sein. „Wirtschaftlich könnte es mehr Unterstützung geben, aber was musikalisch gerade in Wien und Umgebung abgeht, ist der Wahnsinn. Es herrscht so viel Potenzial und die Szene blüht extrem auf. Wir bringen Wien zurück auf die Map – da wird noch ganz viel passieren.“ Ben Clean stellt sein Album und sich selbst übrigens am 24. Mai im Wiener WUK vor. Unter www.oeticket.com sollte man sich beim Ticketkauf vielleicht schon ein bisschen beeilen.
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