In knapp 20 Jahren ihres Bestehens haben Ghost von einer skurrilen Underground-Attraktion zu einer Hard-Rock-Option für zukünftige Stadionshows entwickelt. Das neue Album „Skeletá“ braucht mehr Geduld, führt aber den Weg der großen Geste nahtlos fort. Frontmann Tobias Forge will nach ganz oben, auch wenn das die Glaubwürdigkeit der frühen Tage kostet.
Auch rückblickend auf die frühen Tage von Ghost wirkt das Konzept so logisch wie simpel: Der Frontmann verkleidet sich als satanischer Hohepriester, die restlichen Bandmitglieder musizieren als anonyme Ghule und fertig ist die im Fegefeuer verortete, reziproke Kirchengeschichte. Dass dem schwedischen Frontmann Tobias Forge damit relativ schnell ein Welterfolg gelang, ist nicht zuletzt seinem visionären Genie zu verdanken. Schon von den allerersten Schritten ab ca. 2006 weg hatte der ehemals bei der Underground-Death-Metal-Band Repugnant im Sold stehende Vollblutmusiker eine relativ klare Idee, wohin er das Projekt drehen möchte. Der optische Mummenschanz sorgte ebenso schnell für einen steigenden Bekanntheitsgrad wie die langjährige Anonymität und die fast schon sakralen Shows, die tatsächlich eine neue Farbe mit diabolischem Weihrauch-Touch in die Musikwelt brachten.
Akribisch und theatralisch
Dazu wurde auch der Sound immer massenkompatibler. Vom harschen Hard Rock mit markanten Heavy-Metal-Einflüssen entwickelten sich Ghost zunehmend in breitenwirksame Richtungen. Forge wurde zwar relativ bald (und unfreiwillig) demaskiert, aber der Schock über das Ende der vollinhaltlichen Anonymität war schnell verraucht. Noch nicht einmal ein zäher Rechtsstreit mit seinen einstigen Musikern konnte das immer schneller gen Erfolgshafen zusteuernde Schiff von seinem Kurs abbringen. Trotz der Querelen im Hintergrund und einer mehrköpfigen Familie arbeitete Forge akribisch und nahezu pausenlos weiter. Neue Masken, neue Kostüme, neue Mitmusikerinnen. Musikalisch ging man gen 60s-Psychedelic-Rock, rutschte dann in die 70er-Jahre-KISS-Nostalgie oder ließ sich zwischendurch von zähflüssigen Doom-Elementen steuern. Dazwischen blieb Zeit für kultisch verehrte Cover-Versionen unbekannterer Helden aus der eigenen Heimat oder psychedelischen Rockkreisen. Dazu die ausladenden, bewusst theatralischen Shows, die in ihrer Dramaturgie an Musicals erinnern.
In einem der vielen Interviews von Forge mit der „Krone“ gab der schwedische Frontmann vor eingien Jahren bekannt, dass ein Broadway-Stück definitiv ein wichtiger Teil seines Zukunftsplans sei. Der Weg ist weiterhin der richtige, das zeigt sich nicht zuletzt auf dem brandneuen Album „Skeletá“, das mittlerweile sechste Kapitel des Rock-Masterminds, das aber bewusst die Strukturen zum weltweiten Nummer-eins-Vorgängeralbum „Impera“ bricht. Introspektiver, nachdenklicher und zuweilen etwas sperriger muten die Songs auf dem neuen Werk an. Freilich aber ohne dabei auf die großen Hymnen und die breitenwirksame Zugänglichkeit der einzelnen Songkapitel zu verzichten. Dass gerade die erste Single-Auskoppelung „Satanized“ noch so vertraulich klang, lag mitunter auch daran, dass sie – genauso wie „De Profundis Borealis“ - noch aus den Songwritingsessions vom Vorgänger stammte.
Sprünge über den Tellerrand
Wie schon bei den Vorgängern vertraute Forge der Kraft des Miteinanders. Songs entstanden u.a. mit seinem Landsmann Max Grahn, mit Vincent Pontare oder mit Salem Al Fakir, der auch schon mit elektronischen Größen wie Avicii oder Axwell Λ Ingrosso zusammenarbeitete. Diese Sprünge hinaus zu stilistisch völlig anders gearteten Songschreibern wurde Forge oft vorgeworfen, macht aber auch einen erheblichen Teil seines Erfolgs aus. Während der 44-Jährige per se noch immer Metal- und Hard-Rock-Sektor verankert ist, eröffnen ihm die unterschiedlichen Partner neue Horizonte, die er dann mit seinen Stärken vermischt. Auch von der in den letzten Jahren doch klar zentrierten Gesellschaftskritik nimmt Forge auf „Skeletá“ Abstand. Die Lieder sind klarer in Themenbereiche wie Liebe, Hoffnung, Hass oder Reue eingeteilt und gehen wieder verstärkt in das fantastisch-neobiblische Grundkonzept der früheren Tage zurück.
Musikalisch erweitert sich das Ghost’sche Schaffen einmal mehr in eine neue musikalische Ära, die man von früher kennt. AOR, also „Adult Oriented Rock“, ist anno 2025 angesagt. Irgendwas zwischen Bon Jovi, Winger und anderen 80er-Helden, deren ausufernde Rockgitarrenmusik gerne mit poppigen Zitaten versetzt wurde. Diese Herangehensweise ist auch der Hauptgrund dafür, dass man eingängige Singles oder leicht konsumierbare Tracks nicht mehr so selbstverständlich findet wie in der Vergangenheit. Songs wie der Opener „Peacefield“, „Cenotaph“ oder das epische Schlussstück „Excelsis“ sind mit viel Detailreichtum und kompositorischer Finesse ausgestattet, lugen mit einem halben Auge auch mal gen Progressive Rock und brauchen definitiv mehrere Hördurchläufe, um wirklich zu zünden. Die melodische und radiotaugliche Ausrichtung der letzten Alben hat naturgemäß nicht allen Fans behagt, kam der Band auf ihrem unaufhaltbaren Weg nach oben aber durchaus zupass.
Erfolg gegen Originalität
„Skeletá“ ist im Grunde die folgerichtige Fortführung der in den letzten Jahren herausgestanzten Erfolgsformel. Die Songs mögen in ihrer Vereinzelung nicht mehr ganz so eingängig und leicht konsumierbar sein, aber durch die dicke, nahezu makellose Produktion klingt das Gesamtprodukt so stringent nach Perfektionismus wie nichts zuvor. Mit dieser Ausrichtung werden Ghost weltweit auch weiterhin die großen Hallen kapern und vielleicht sogar zu einer Stadionband mutieren, naturgemäß bleiben dabei aber Charme und Originalität der frühen Werke auf der Strecke. Synthesizer, Cowbells, dicke Gitarren und protzige Schlagzeugpassagen haben genauso Platz wie die eingängige Stimme des brandneuen Papa V Perpetua, der die Botschaften Ghosts gerade um die Welt trägt. So gut wie überall, nur nicht in Österreich. Dort gingen Ghost mit ihrer Stadthallen-Show im Frühling 2022 so übel baden, dass es dieses Mal keinen Zwischenhalt mehr bei uns gibt. Forge wird es freilich egal sein – und die Gratispromotion für das Album mit dem Tod von Papst Franziskus nimmt der kundige Geschäftsmann auch mehr als gerne mit.
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