Es war ein Drama und ein Wunder: Tibor Aradi, der Mann mit dem abgetrennten Arm, bekam es mit der österreichischen Spitals-Bürokratie zu tun, bevor ihm ein zwölfköpfiges Team um den plastischen Chirurgen Oskar C. Aszmann am Wiener AKH seinen Arm in einer sechsstündigen Operation wieder annähen konnte – lesen Sie weiter unten seine abenteuerliche Geschichte. Leider hat sie kein Happy End.
Tibors Zustand verschlechterte sich über Pfingsten dramatisch, am Freitag musste sein Arm amputiert werden. Da befand sich Professor Aszmann gerade auf einem medizinischen Kongress in der Schweiz. Im Interview spricht der 47-jährige Mediziner über die Risiken bei Transplantationen, seinen ungewöhnlichen Patienten und Gefühle im OP.
"Krone": Herr Professor, haben Sie ein schlechtes Gewissen, dass Sie nicht da waren, als es Tibor Aradi schlecht ging?
Oskar C. Aszmann: Nein, denn ich musste mir keine Sekunde Sorgen machen. Unsere Abteilung am AKH hat exzellent ausgebildete Ärzte. Ich hätte sicherlich genau so gehandelt, wenn ich in Wien gewesen wäre.
"Krone": Tibor Aradi wurde als "Wunderpatient" gefeiert, als Sie ihn am 11. Mai erfolgreich operiert haben. Waren Sie da etwas zu optimistisch?
Aszmann: Ich glaube nicht. Das Setting war perfekt - solche Eingriffe erfordern immer ein komplexes chirurgisches Umfeld und das hätte nicht besser sein können. Nachdem die ersten vier Tage nach dem Eingriff so komplikationslos verlaufen sind, habe ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass noch etwas passiert. Aber natürlich ist ein offenes Gelenk eine sehr schwierige Situation, weil Knorpel sehr infektionsanfällig ist.
"Krone": Warum hat es Tibor nicht geschafft?
Aszmann: Weil zwar primär alles exzellent gelaufen ist, aber uns dann sekundär ein Infekt den Garaus gemacht hat. Ich war am Dienstag noch bei ihm, da gab es schon Zeichen einer venösen Thrombose und Infektzeichen, die Anlass für eine akute Revision gab. Von meinem Kollegen, Prof. Thomas Rath, weiß ich, dass Teile der Muskulatur im Unterarm bereits von dem Infekt zerfressen waren. Das ist dann so schnell vorangeschritten, dass nichts anderes übrig geblieben ist, als das Replantat wieder abzunehmen. Damit sind wir nicht glücklich, aber so etwas kann immer passieren.
"Krone": Das klingt alles sehr nüchtern. Sind da auch Gefühle?
Aszmann: Als ich es am Freitagnachmittag erfahren habe, hat mich die Nachricht in vielerlei Hinsicht betroffen gemacht. Man kennt das ja: Wo man viel investiert, sind auch die Erwartungen groß und man will nur ungern loslassen. Außerdem: Der Patient hat mir vertraut, ich fühle mich für ihn und den Arm mitverantwortlich.
"Krone": Was hat Sie an Tibors Geschichte am meisten berührt?
Aszmann: Sein Mut. Viele andere hätten in seiner Situation auf die Rettung gewartet, aber er ist eine Persönlichkeit, die anpackt und nicht auf die Hilfe anderer wartet. Das sind mir die allerliebsten Patienten, die wissen, dass sie selber etwas tun müssen. Er war so motiviert! Keiner von denen, die denken: Na gut, das Sozialsystem wird sich schon um mich kümmern.
"Krone": Ihm ist ja im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt Unglaubliches passiert. Wie denken Sie darüber?
Aszmann: Was soll der arme Portier machen? Der sitzt in seinem Kisterl und weiß, dass er niemanden außer die Rettung dort durchlassen darf. Das ist im AKH auch nicht anders. Wenn nicht ganz offensichtlich ist, dass das ein Notfall ist, dann rührt keiner ein Ohrwaschl.
"Krone": Aber ein abgetrennter Arm ist doch ein Notfall!
Aszmann: Den hat der Portier sicher nicht gesehen.
"Krone": Hat Tibor Aradi dadurch nicht wertvolle Zeit verloren?
Aszmann: Bei solchen Verletzungen zählt tatsächlich jede Minute. Bevor er in den Hubschrauber gesteckt wurde, mussten die Ärzte in Eisenstadt ja noch die Arterien klippen, damit er nicht verblutet. Grundsätzlich hält ein Transplantat nicht mehr als sechs Stunden ohne Blutversorgung aus. Bei Tibor Aradi hat es sechs Stunden gedauert, bis sein Arm wieder durchblutet war. Deshalb habe ich sicherheitshalber die ersten zwei Blutkonserven auf den Boden rinnen lassen, aus Sorge, dass giftige Stoffe aus dem Transplantat zurück in den Blutkreislauf gelangen.
"Krone": Was werden Sie ihm sagen, wenn Sie ihn besuchen?
Aszmann: Das wird am Sonntag sein. Was werde ich ihm sagen? Dass das nicht das Ende ist. Selbst wenn er seinen Arm behalten hätte, wäre ihm ein zweijähriger - Leidensweg will ich jetzt nicht sagen, aber therapeutischer - Rehabilitationsweg bevorgestanden. Wir hätten noch mindestens zwei Mal operieren müssen, einmal um das Ellbogengelenk zu stabilisieren, ein weiteres Mal, um die Nerven zu rekonstruieren. Jetzt hat er zwar keinen Arm mehr, aber für uns Ärzte ist diese Situation, so komisch es klingt, einfacher.
"Krone": Inwiefern?
Aszmann: Weil jetzt klar ist, dass er eine prothetische Lösung braucht. Ich habe ja das Christian-Doppler-Institut für Extremitäten-Rekonstruktion und Rehabilitation gegründet. Herr Aradi wird einen künstlichen Arm, eine Hilfshand bekommen, mit der er auch gut durchs Leben kommen wird.
"Krone": In welchem Zeitraum?
Aszmann: Das geht relativ rasch. Jetzt kann die Wunde heilen und der Stumpf abschwellen. Das dauert sechs bis acht Wochen, dann wird er in den Weißen Hof überstellt, wo die Schaftanpassung beginnt.
"Krone": Bezahlt das alles die Versicherung?
Aszmann: Nachdem es ein Arbeitsunfall war: Ja. Aus unserer Sicht sollte er Ende 2013 schon eine Prothese haben. So hat er in Bezug auf seine Rehabilitation sogar ein Jahr gewonnen.
"Krone": Herr Professor, war das eigentlich Ihr schlimmster Fall?
Aszmann: Bei weitem nicht. In meinem Geschäft sieht man so viele furchtbare Verletzungen... Erst unlängst habe ich einen jungen Libyer, ein herzlicher Mensch mit drei süßen Kindern, operiert, dem im Krieg beide Arme abgetrennt wurden. Und dem zahlt das nicht die Versicherung.
"Krone": Wird man in Ihrem Beruf nicht irgendwann abgestumpft?
Aszmann: Abgestumpftheit wäre ein Zeichen von Burnout. Das ist in unserer Branche eine große Gefahr. Ich glaube, sie tritt dann auf, wenn der Einzelne nichts mehr zählt. Ich sehe hinter jedem Patienten immer auch seine Geschichte und sein Schicksal. Das bewahrt mich davor, nicht mehr berührbar zu sein.
Tibor Aradis Geschichte
Auf einer Bauschutt-Deponie in Purbach, Burgenland, gerät der rechte Arm von Tibor Aradi am Samstag vor zwei Wochen in ein laufendes Rüttelsieb. Im Schock fährt der Ungar mit seinem abgetrennten Arm noch 17 Kilometer selbst ins Spital der Barmherzigen Brüder nach Eisenstadt. Nach einer Odyssee (er darf nicht die Notfalleinfahrt benutzen und wird mit dem Arm in der Hand auf eine unbesetzte Station geschickt) wird er nach der Erstversorgung mit dem Rettungshubschrauber ins Wiener AKH geflogen. In einer sechsstündigen OP wird ihm der Arm am Abend des 11. Mai angenäht. Am Pfingstwochenende verstopft sich eine Vene, die Thrombose wird am Mittwoch operiert. Danach bekommt der Patient Fieber, in der Folge auch eine Infektion. Am Freitag muss der Arm nach 13 Tagen amputiert werden.
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