Deutsches Feindbild

“Attentäterin” Merkel im Visier der “Zypr-IDIOTEN”

Wirtschaft
21.03.2013 08:01
"An Zypern wird der Euro-Raum nicht zerbrechen. Dazu ist Zypern zu klein. Aber Zypern zeigt uns, wie er zerbrechen wird." So lautet der ernüchternde Befund des deutschen Europa-Experten Wolfgang Münchau. Die Schuld an der Misere ortet er bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Und er ist nicht alleine: Auch viele Zyprioten machen Deutschland für die Krise ihres Landes verantwortlich. Anders der stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, der die Bewohner der Mittelmeerinsel gar als "Zypr-IDIOTEN" bezeichnet.

Deutschlands Kanzerlin Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble seien die Drahtzieher eines "finanzpolitischen Attentats" auf die zypriotischen Sparkonten, schreibt Münchau in einem am Mittwoch auf "Spiegel Online" veröffentlichten Kommentar. Der Mitbegründer der "Financial Times Deutschland" und des Informationsdienstes über den Euro-Raum, Eurointelligence, beschreibt den Zypern-Rettungsdeal als einen von der deutschen Bundesregierung initiierten "Beinahe-Super-GAU".

Finanzminister Schäuble habe zudem "völlig ungestört" von der Opposition in den deutschen Medien die Ausrede wiederholen können, das sei alles die Schuld des zypriotischen Präsidenten Nikos Anastasiades, heißt es in dem Kommentar weiter. Die Zyprioten hätten demnach die Heranziehung der Vermögen der Kleinsparer befürwortet. 

EU-Kommission: "Wollten keinen Eingriff in Sparguthaben"
Dazu sei angemerkt, dass die EU-Kommission sich in ihrer offiziellen Sprachregelung am Mittwoch darauf verständigt hat, beim Rettungspaket der Euro-Gruppe nicht für einen Eingriff in kleine Sparguthaben votiert zu haben. Die Kommission habe demnach in der Euro-Gruppe klargemacht, dass Alternativlösungen akzeptabel wären, "vorzugsweise ohne Zwangsabgabe für Einlagen unter 100.000 Euro". Die zypriotische Regierung habe aber kein alternatives Szenario akzeptiert, so ein Kommissionssprecher.

Experte nimmt Deutschland in die Verantwortung
Doch es sei Schäubles Ministerium gewesen, das die Vermögensabgabe überhaupt ins Spiel gebracht habe, macht Münchau Deutschland für jenen öffentlichen Aufruhr auf Zypern verantwortlich, der in der Ablehnung des Rettungspakets durch die Parlamentarier des Inselstaates mündete. Die heftig umstrittene Beteiligung der Kleinsparer habe sich dem Experten zufolge als Konsequenz des deutschen Vorschlags gepaart mit den Zwängen zypriotischer Innenpolitik ergeben. Münchau zitiert dazu den spanischen Ökonomen José Carlos Diaz, der die Entscheidung mit dem Satz kommentierte, in Europa gebe es "kein Zeichen intelligenten Lebens".

Merkel als Feindbild der Zyprioten
Auf den Straßen und in den Medien Zyperns heißt eines der Feindbilder derzeit jedenfalls Merkel. "Diese Frau wird eines Tages Europa in die Katastrophe führen", zeigte sich ein verärgerter Zypriot überzeugt. Ähnlich ist das Bild in den Zeitungen des Landes: Eine Karikatur zeigt eine Schere, die 1974 den Nordteil Zyperns - durch die damals stattgefundene türkische Invasion - abtrennt. Darunter wieder die Karte Zyperns - diesmal mit drei anderen Scheren, die den Rest Zyperns zerstückeln. Heutzutage sind die Scheren laut der Zeichnung aber deutsch. In Zeitungen waren sogar Fotos mit Hakenkreuzen und der Bundeskanzlerin zu sehen. Transparente von wütenden Demonstranten zeigen Merkel mit Hitlerbärtchen über den Worten "Raus aus unserem Land" (Bild).

Doch deutsche Medien holen bereits zum Gegenschlag aus. Die Euro-Staaten, allen voran Deutschland, hätten sich selbst zum Sündenbock gemacht, ist etwa Nikolaus Blome, stellvertretender Chef der "Bild"-Zeitung überzeugt. Die Euro-Finanzminister hätten einen "schweren handwerklichen Fehler" gemacht, als sie zustimmten, die Kleinsparer auf der Insel mitbluten zu lassen, schreibt er in einem Kommentar in der Online-Ausgabe der "Bild" am Mittwoch - die Verantwortung für die nun anhaltende Krise auf der Mittelmeerinsel würden Blome zufolge allerdings die Zyprioten selbst tragen.

"Bild": "Sind Zyprioten allesamt Zypr-IDIOTEN?"
"Das Parlament von Zypern hat zehn Milliarden Euro Hilfskredite für die fast bankrotte Insel ausgeschlagen - und die Menschen jubeln auf den Straßen?", schreibt Blome. Die Tatsache, dass die Abgeordneten in Nikosia am Dienstag auch einem maximal 9,9 Prozent hohen Abschlag auf Bankguthaben oberhalb von 20.000 Euro eine Abfuhr erteilten - obwohl als Alternative der Staatsbankrott drohe -, veranlasst den "Bild"-Journalisten gar zu der Frage: "Sind diese Zyprioten allesamt Zypr-IDIOTEN?"

Die Inselbewohner hatten demnach die Wahl, so Blome. Entweder maximal zehn Prozent Verlust für jeden, der mehr als 20.000 Euro auf dem Konto hat, oder rechnerisch gut 15 Prozent für jeden, der mehr als 100.000 Euro hat, oder als Variante Nummer drei annähernd 100 Prozent Verlust für jedermann, der ein Konto hat - weil die Banken bankrott gehen. Das Parlament habe für die 100-Prozent-Verlust-Variante gestimmt, einen Plan B hätten bisher jedoch weder die Abgeordneten noch die Menschen vorgelegt, kritisiert Blome. "Das ist, Entschuldigung, wirklich zypr-IDIOTISCH."

Münchau: "Jetzt hilft nur der Staatsbankrott"
Sich deshalb langsam mit der Idee eines Staatsbankrotts Zyperns anzufreunden, hält deshalb Europa-Experte Münchau für die realistischere Variante, als weiter auf eine Einigung zwischen der zypriotischen Regierung und der EU zu hoffen. Selbst ein weiterer Kredit von Russland würde nicht helfen, da Zypern unter der Gesamtschuldenlast erdrückt würde, gibt Münchau zu bedenken.

Die zypriotischen Banken bräuchten Kapital, keinen Kredit. Wenn man die Abgabe für höhere Sparguthaben ablehne, dann sehe er nicht, wo das Geld herkommen sollte. Es sei denn, so der Experte, die Russen würden einen Zypern-Zuschuss als eine strategisch-militärische Investition betrachten, die es ihnen erlaubt, mitten im Euro-Raum eine Militärbasis zu unterhalten. "Denjenigen, die das als Lösung ins Auge fassen, wünsche ich viel Spaß", so Münchau.

Medwedew: "EU und Zypern wie Elefant im Porzellanladen"
Kritik an beiden Seiten, also an der EU und an Zypern, wird mittlerweile auch in Russland, mit dem sich der Inselstaat ebenfalls in Finanzverhandlungen befindet, lauter. Die Europäische Union, die EU-Kommission und die zypriotische Regierung verhielten sich "wie ein Elefant im Porzellanladen", erklärte Regierungschef Dmitri Medwedew am Mittwoch. "Mir scheint, dass alle möglichen Fehler, die in solch einer Situation gemacht werden können, bereits gemacht wurden."

Zyperns Banken bleiben bis Dienstag geschlossen
Egal, wer nun letztlich die Hauptschuld an der Misere Zyperns trägt: Die betroffenen Zyprioten müssen weiter um ihr hart erspartes Geld bangen. Angesichts der drohenden Staatspleite bleiben die Banken des Landes noch bis kommenden Dienstag geschlossen (siehe Infobox).

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