Frust in der Türkei

Erdogan hat die Nase voll von EU: “Auf Wiedersehen”

Ausland
01.02.2013 13:12
Recep Tayyip Erdogan ist derzeit gar nicht gut auf Europa zu sprechen. Mit seinem öffentlichen Nachdenken über ein Ende der türkischen EU-Bewerbung legt der Premier die Zerrüttung des türkisch-europäischen Verhältnisses offen. Euro-Krise, innerer Streit und "Scheinheiligkeit" in den Türkei-Verhandlungen hätten das Ansehen der Union ramponiert, erklärte Erdogan am Freitag. Gleichzeitig wächst das Selbstbewusstsein Ankaras.

Viele Europäer dürften froh sein, dass die Türken von sich aus zu erkennen geben, dass sie keine Lust mehr haben auf die EU. Doch Erdogans Gedankenspiele sind auch ein Anzeichen für einen Bedeutungsverlust der Union auf internationaler Ebene.

"Dann sagen wir der EU auf Wiedersehen"
Im türkischen Staatsfernsehen meinte der Regierungschef, er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin um die Aufnahme seines Landes in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit gebeten. Diese bietet für Russland, China und einige zentralasiatische Staaten eine Plattform für die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit und vertritt rund ein Viertel der Weltbevölkerung. "Dann sagen wir der EU auf Wiedersehen", so Erdogan.

Das sind bedeutsame Äußerungen des türkischen Premiers. Erdogan ist sich natürlich vollkommen bewusst, dass sich die Türkei seit Jahrzehnten nach einer Aufnahme in den Verein der westeuropäischen Demokratien sehnt. Darin sieht sie die Erfüllung eines staatspolitischen Traumes, die Vollendung einer Vision von einer modernen und rechtsstaatlichen Republik.

Doch das kümmert ihn herzlich wenig, denn aus türkischer Sicht hat sich die Rollenverteilung zwischen der EU und der Türkei mittlerweile grundlegend geändert. So steht dem mit der Euro-Krise verbundenen Ansehensverlust der Europäer und vor allem der Heuchelei der EU in den Verhandlungen mit der Türkei das rasante türkische Wachstum gegenüber.

Außerdem ärgert die Türken, dass wichtige EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich Ankara immer wieder zu verstehen geben: Ihr werdet nicht Mitglied. Und das, obwohl die Union im Jahr 2005 - einstimmig - die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschloss.

Yavuz Baydar, prominenter türkischer Kolumnist, sieht in dieser Haltung der EU und in dem Aufstieg der Türkei als Wirtschafts- und Regionalmacht das wichtigste Motiv für Erdogans Ankündigungen. Der Ministerpräsident habe einem Gefühl der Frustration Ausdruck gegeben, schrieb Baydar am Freitag in der "Huffington Post": dem Frust darüber, dass Europa die Türkei, ein Mitglied der G-20 und die Nummer 16 der Volkswirtschaften in der Welt, "wie ein Land zweiter Klasse und in seinen Augen wie einen Aussätzigen" behandle.

Mehrheit der Türken nicht an Beitritt interessiert
Die meisten türkischen Wähler denken aktuellen Umfragen zufolge wie Erdogan: Eine Mehrheit lehnt inzwischen eine Fortsetzung der EU-Bewerbung ab. Die Unterstützung für das Ziel des Beitritts ist innerhalb von zehn Jahren von mehr als 70 Prozent auf nur noch etwa 30 Prozent geschrumpft.

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