Neues Buch erschienen

Valerie Fritsch: „Gewalt bleibt so oft unsichtbar“

Steiermark
17.02.2024 18:00

Mit „Zitronen“ ist dieser Tage ein neuer Roman der Grazer Autorin Valerie Fritsch erschienen. Darin erzählt sie von einem Leben, das von Gewalt bestimmt ist. Im Interview schildert sie der „Krone“, warum sie für dieses Buch auch Täter interviewt und was sie aus diesen Gesprächen gelernt hat.

Frau Fritsch, Sie haben mit „Zitronen“ ein Buch über Gewalt geschrieben, wie kam es dazu?
Es ist dazu gekommen, weil mir selbst das Thema so fremd und fern war. Ich hatte das Glück in einer zärtlichen Familie aufzuwachsen, die zwar spektakulär schwierig ist, aber in der es diese Formen der psychischen und physischen Gewalt nicht gibt. Aber es gibt auch in Österreich so viele Gewalttaten, vor allem gegen Kinder und Frauen, die so oft unsichtbar bleiben, dass man fast von einer Welt hinter der Welt sprechen kann. Es ist erschreckend, wie viele ungeschützte Räume es gibt - vor allem in Beziehungen und Familien. Gerade bei den Liebsten, wo man eigentlich Zuflucht suchen sollte, liegt oft die größte Bedrohung. Darüber wollte ich schreiben.

Dem Buch ist eine sehr ausführliche Recherche vorausgegangen - wie hat diese ausgesehen?
Ich habe mit einigen Tätern und auch vielen Opfern gesprochen. Da gerät man in Gespräche von ungeheurer Intimität, das sind Lebensgeschichten von größtem Schmerz, von größter Verzweiflung, von der schlechtesten Entscheidung des Lebens eines Menschen. Das war wahnsinnig anstrengend, aber vor allem in den Gesprächen mit Opfern oft auch überraschend schön.

Was haben Sie in dieser Recherche über Täter gelernt?
In erster Linie, dass viele Täter sich auch nach der Tat berechtigt zu dem fühlen, was sie da getan haben. Sie empfinden ihre Tat oft als Reaktion auf etwas: Sie wurden von der Welt oder einer Frau dazu gebracht und konnten gar nicht mehr anders reagieren. Viele Gewalttäter tun sich danach auch irrsinnig selbst leid, weil sie etwas „tun mussten“ und es keinen anderen Ausweg mehr gab. Da tut man sich manchmal mit dem Zuhören schon schwer.

Das Buch erzählt von einem Opfer von Gewalt, das letztlich selbst zum Täter wird. Gibt es den Täter nur, wenn er vorher ein Opfer war?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt ganz viele Opfer, die wunderbar aufrechte Menschen sind, die gut damit umgehen können und die erlebte Gewalt nie weitergeben. Ich wollte keine Symbolgeschichte erzählen, wie Gewalt entsteht, sondern eine sehr individuelle Geschichte, an der mich vor allem die Nähe von Gewalt und Zärtlichkeit interessiert hat.

Ist Gewalt die dunkle Seite der Zärtlichkeit?
Gewalt ist ein mögliches Resultat, wenn man die ersehnte Zärtlichkeit nicht bekommt. Immer dort wo Menschen kein Handwerkszeug haben, mit schwierigen Situationen umzugehen, und glauben, sich nicht mehr sichtbar oder verständlich machen zu können, besteht die große Möglichkeit, dass grenzüberschreitend und grausam reagiert wird.

Müssen wir besser lernen, mit Gewalt umzugehen?
Das Skurrile an unsere Gesellschaft ist ja, dass Gewalt in den Medien - sowohl in Filmen und Serien als auch in den Zeitungen - überrepräsentiert ist. Und noch dazu in einer ganz falsch dargestellten Form, nämlich sehr sauber und mysteriös als Krimigeschichte, in denen Gewalt sehr ästhetisiert wird. Zeitgleich ist Gewalt im Alltag aber meist unsichtbar, und es wird ganz wenig darüber gesprochen. Das sollte sich auf jeden Fall ändern.

Wie schwer ist es eigentlich, all diese Recherchen dann in ein schlüssiges und sprachlich so schönes Buch zu verpacken?
Für mich folgt das einer inneren Logik. Ich habe nur diese eine Sprache und diese Sprache beruht für mich darauf, dass ich versuche, die Welt besonders präzise zu beschreiben, sie dabei nicht zu bewerten und trotzdem liebevoll auch auf die dunklen Seiten zu schauen. So sehe ich halt die Welt und übersetze sie in Buchstaben.

Buchkritik: „Zitronen“ von Valerie Fritsch
Gefängnis der fehlgeleiteten Liebe

August Drach wird in ein landschaftliches Paradies inmitten der Alpen hineingeboren. Doch er erlebt dort eine Kindheit aus der Hölle. Der Vater hat Zärtlichkeit nur für die Haustiere übrig, seinen Sohn quält er bis aufs letzte. Als der Vater dann stirbt, überhäuft ihn seine Mutter mit Liebe, doch auch diese Liebe nimmt bald schon gewalttätige Formen an: Denn um August schwach und hilfsbedürftig zu halten, flößt sie ihm heimlich Medikamente ein, die ihn an Haus und Bett fesseln und sein ganzes Leben dämpfen.

Erst nach Jahren entkommt er diesem Gefängnis der fehlgeleiteten Liebe und stürzt sich in eine Beziehung mit einer Frau, die ihn schon bald überfordert, weil er nie gelernt hat, mit Liebe umzugehen und diese zu leben. Und schon bald droht auch er, gewalttätig zu werden.

Auf eindrucksvolle Weise schafft Valerie Fritsch in „Zitronen“ den Spagat, mit einer gewissen Distanz auf ihre Figuren zu blicken und sie ihren Lesern dennoch sehr nahezubringen. Eindrucksvoll ist dabei einmal mehr, wie poetisch und doch pointiert die Sprache ist, die Fritsch dafür findet. Das Resultat ist ein Buch, das mit eindrücklicher Zärtlichkeit über die Gewalt erzählt. 

Am 5. März präsentiert Valerie Fritsch „Zitronen“ im Literaturhaus Graz.

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