Ohne es zu wissen

Reporter berichtet vom Tod seiner eigenen Familie

Ausland
26.10.2023 12:12

Bei Luftschlägen auf das Zentrum des Gazastreifens sind am Mittwoch offenbar viele Menschen gestorben. Darüber berichtete auch einer der bekanntesten Journalisten der Enklave. Was er nicht wusste: Seine Familie wurde ebenfalls getötet. 

Wael Dahdouh ist das, was man in der Medienwelt Veteran nennt. Der Korrespondent gehört zu den bekanntesten journalistischen Gesichtern der arabischen Welt. Für den katarischen Sender Al-Jazeera berichtet der Palästinenser seit Jahrzehnten aus dem Gazastreifen und leitet das lokale Büro.

Wenn Arbeit persönlich wird
Am Mittwoch stand er wieder vor der Kamera. Mit Helm und schusssicherer Weste berichtete er von zahlreichen israelischen Luftschlägen. Das macht der erfahrene Journalist mittlerweile seit mehr als 20 Jahren so.

Was der Reporter zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Eine dieser Explosionen, von denen Dahdouh den Tag über berichtete, tötete offenbar seine Familie. Er verlor innerhalb weniger Momente seine Frau, seinen Sohn, seine Tochter und seinen neugeborenen Enkelsohn, berichtet sein Arbeitgeber.

Der Reporter mit seinem getöteten Sohn (Bild: AFP, Krone KREATIV)
Der Reporter mit seinem getöteten Sohn

Al-Jazeera macht Israel für den Tod verantwortlich. Der Sender berichtet, die Familie des Journalisten sei bei einem Angriff auf das Flüchtlingslager Nuseirat im Zentrum der Enklave getötet worden. Israel leugnete den Angriff in einer ersten Reaktion nicht. Die israelischen Streitkräfte teilten lediglich mit, dass es die Berichte „prüfe“. Der Reporter erfuhr offenbar auf Sendung vom Tod seiner Familie, wie Audiomitschnitte zeigen.

Seither wird er neben dem Schmerz vor allem eines nicht mehr los: die Kameras seiner Kollegen.

Düstere Stunden live auf Kamera
Videos zeigen, wie der Journalist durch die Hallen des Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhauses zu seiner Familie begleitet wird. Umgeben von aufgeregten Menschen. Dahdouh atmet immer wieder schwer durch, hält Tränen zurück. Er wird zu einem Zelt gebracht, das mit Leichensäcken gefüllt ist, unter anderem mit dem seines Sohnes.

Al-Jazeera begleitete den Journalisten:

Dahdouh fällt auf die Knie, fängt an, das Gesicht seines toten Kindes zu streicheln. Er hätte auch Journalist werden wollen, wie sein Vater, berichten seine Kollegen in sozialen Medien. Immer wieder werden dem Journalisten in den bittersten Momenten seines Lebens Mikrofone und Kameras vor das Gesicht gehalten. Er fragt weinend in die Kameras: „Sie rächen sich, indem Sie unsere Kinder töten?“ Das Video wurde vom katarischen Sender auf allen Plattformen verteilt.

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Sie haben gesagt, dass das die Sicherheitszone ist!

(Bild: AFP or licensors)

Wael Dahdouh

Der gesamte Trauerprozess des Journalisten wird begleitet. Andere Bilder und Aufnahmen zeigen ihn, wie er den Körper seiner siebenjährigen Tochter Sham hochhält, deren Gesicht blutverschmiert ist. Zudem ist zu hören, wie der Reporter verzweifelt nach Antworten sucht, die er wohl nie erhalten wird: „Sie haben gesagt, dass das die Sicherheitszone ist!“

Hintergründe zu Al-Jazeera

  • Al-Jazeera wurde 1996 vom damaligen Emir von Katar, Hamad bin Khalifa Al-Thani, gegründet und gilt als einer der wichtigsten Nachrichtensender im arabischen Raum.
  • Katar gilt als einer der Hauptunterstützer der im Gazastreifen herrschenden Terrororganisation Hamas.
  • Die Hamas, die am 7. Oktober Israel angriff und 1400 Menschen massakrierte, unterhält ein Büro in der katarischen Hauptstadt Doha.
  • Auch Hamas-Chef Ismail Haniyeh lebt mit seiner Familie in Katar - weit weg von Krieg und Tod.

Dahdouhs Familie hatte den nördlichen Gazastreifen verlassen, nachdem Israel mehr als eine Million Palästinenser im Gazastreifen aufgefordert hatte, das Gebiet im Vorfeld einer erwarteten Bodeninvasion zu evakuieren. Sie zogen nach Nuseirat, das zu den Gebieten gehört, die laut Israel als sichere Zonen gelten.

Israels Regierung hat Medienberichten zufolge eine Notstandsverordnung erlassen, um in Ausnahmefällen zeitweise die Arbeit ausländischer Medien zu stoppen. Konkret gehe es um Kanäle, die „die nationale Sicherheit“ schädigen, wie unter anderem die „Times of Israel“ am vergangenen Freitag meldete. Konkret gehe es um Al-Jazeera.

Israel wirft Sender „Hetze“ vor
Israel wirft dem vom Emirat Katar finanzierten Sender vor, voreingenommen zu berichten. Die Sendungen und Berichte Al-Jazeera stellten „Hetze gegen Israel“ dar. Die Berichterstattung helfe Terrororganisationen wie der Hamas, ihre „Propaganda“ zu verbreiten und fördere Gewalt gegen Israel, hieß es in einer Mitteilung. Vor allem die Gaza-Berichte seien tendenziös.

Der Fall Dahdouh löst in der arabischen Welt große Emotionen aus. Al Jazeera-Korrespondentin Youmna Elsayed sagte, es sei „herzzerreißend“, über seine Familie zu berichten und „zu sehen, wie gebrochen“ er ist. Andere Journalisten brachen live auf Sendung in Tränen aus, während sie über die Tragödie berichteten.

Die Familie wird am Donnerstag mit anderen Opfern beigesetzt. (Bild: AFP, Krone KREATIV)
Die Familie wird am Donnerstag mit anderen Opfern beigesetzt.

Dahdouh gab Al-Jazeera wenige Stunden nachdem er erfahren hatte, dass seine Familie getötet wurde, ein Interview. Er wolle weiterhin aus dem Gazastreifen berichten, wie er es die vergangenen Jahrzehnte auch getan hätte: „Wenn wir unsere Aufgaben erfüllen, tun wir das mit höchster Professionalität - inmitten von Leichen und Verletzten und inmitten von Zerstörung“, erklärt der Reporter. „Wir arbeiten so, dass wir alles, was vor Ort passiert, festhalten, ohne zu fälschen oder gar zu übertreiben.“

Seine Kollegen sagen: „Seine Rache ist es, die Wahrheit zu sagen.“ Worte des Hasses würden ihm nicht über die Lippen kommen.

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