112.272 Asylanträge gab es 2022. Wer hier bleiben darf, muss in den Deutschkurs. Doch der Bildungsstand sinkt seit Jahren - viele fangen bei null an. 70 Prozent gelten mit Abstufung als Analphabeten. In Wien finden Deutschkurse daher im Schichtbetrieb statt. Denn die Basis für ein Zusammenleben ist die gemeinsame Sprache.
Donnerstag, 9.30 Uhr, Treffpunkt in der Kempelengasse 1 in Favoriten. In dem riesigen Betonbunker bietet der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) zusammen mit dem bfi Deutschkurse für Zuwanderer an. Vor allem die Nachfrage nach Alphabetisierungskursen ist hoch. Die „Krone“ darf lauschen. Die Männer und Frauen kommen aus Syrien und dem Irak. Einzeln müssen sie anhand von Bildern Gegenstände auf Deutsch benennen, einen Satz bilden und an die Tafel schreiben. Kursleiterin Maria Balzano ist streng, aber über das Einflüstern der Mitschüler sieht sie gnädig hinweg - die Stimmung unter den Frauen und Männern ist gut. Balzano: „Sie sind sehr fleißig und haben in wenigen Wochen schon viel gelernt.“
Noch immer sind 65 Prozent Analphabeten
Es ist aber nur eine von vielen Gruppen, die hier versuchen, einfaches Deutsch zu lernen. In drei Schichten drücken hier täglich 900 Einwanderer für mehrere Stunden die Schulbank. Und sie haben es in der Regel bitter nötig. Aktuelle Datenauswertungen zeigen, dass die Zahl an Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten mit niedrigerem Bildungsstand in den vergangenen Jahren angestiegen ist. In den vorigen drei Jahren hat dieser Wert um die Hälfte zugenommen (2019: 48 Prozent) auf 70 Prozent. Und auch die aktuellen Zahlen schauen nicht besser aus. Auch 2023 hatten 65 Prozent einen Alphabetisierungsbedarf.
Muttersprache auch nur wenig hilfreich
Hier wird zwischen zwei Gruppen unterschieden. Menschen mit primärem Alphabetisierungsbedarf, also Personen, die nie schreiben gelernt haben. Und in Zweitschriftlernende - hier handelt es sich um Personen, die zumindest in ihrer Muttersprache lesen und schreiben können, jedoch nicht das lateinische Alphabet kennen. Die Verteilung hält sich beinahe die Waage. Und Österreich steht damit nicht alleine da. Zahlen des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass der Deutscherwerb für Zweitschriftlernende wie auch komplette Analphabeten eine ähnlich große Herausforderung darstellt. So erreichen in Deutschland lediglich 20 bzw. 18 Prozent das verpflichtende B1-Niveau. Zahlen für Österreich gibt es aktuell noch nicht.
Lernen wie in der Volksschule
Jan Weinreich und Pierre Dauffer vom bfi wissen: „Das sind sehr intensive Wochen. Insgesamt stehen knapp 500 Unterrichtseinheiten auf dem Programm. Die große Herausforderung ist, dass die Menschen weiter beim Deutschlernen bleiben.“ Vergleichbar ist der Unterricht übrigens mit der Volksschulphase samt Schauübungen. Carla Pirker vom ÖIF: „Wir haben auch bei der Ausbildung der Vortragenden angesetzt. So gibt es Weiterbildungsangebote mit Blick auf die Arbeit mit Menschen mit niedrigem Bildungsstand.“
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