Live in Düsseldorf

Bruce Springsteen: Der Boss am Zenit des Schaffens

Wien
22.06.2023 13:00

Der „Boss“ rief und 43.000 Fans kamen - so war es jedenfalls Mittwochabend in der restlos ausverkauften Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf. Knapp ein Monat vor seinem ausverkauften Auftritt im Wiener Happel-Stadion zeigte der 73-jährige Bruce Springsteen eindrucksvoll, dass ihm nach wie vor niemand das Wasser reichen kann. Die „Krone“ war live mit dabei.

Allen Zeiten und Trends trotzend spielt Bruce Springsteen, der vielleicht amerikanischste Amerikaner des Musikgeschäfts, seit mehr als 50 Jahren Musik, die weder Pyrotechnik noch Effekthascherei oder bunte Gimmicks benötigt. Springsteen fertigt noch immer gerne ganze Alben, arbeitet am liebsten mit anderen Musikern im selben Raum und hat auch nichts gegen analoge Aufnahmetechniken. So anachronistisch der „Boss“ auf jüngere Semester wirken mag, wenn sie ihn live auf der Bühne erleben, dann rüttelt es auch all jene kräftig durch, die für gewöhnlich zwischen Gangsta-Rap, Autotune-Mainstreampop und ballernder Elektronik wandeln. Vor rund 43.000 Fans zelebrierte Springsteen in der ausverkauften Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf eine laut aufgedrehte Messe für Musikliebhaber, Klangfetischisten und all jene, denen es am Ende des Tages um den Song geht.

Antwort auf seine Art und Weise
Mit 73 Jahren gehen sich keine vierstündigen Auftritte mehr aus, aber auch im gesetzten Alter biegt Springsteen erst knapp unter der Dreistundenmarke in die Zielgerade ein. Zu Sommerbeginn und am längsten Tag des Jahres beginnt er überpünktlich um 19 Uhr und bringt so manch Werktätigen damit gehörig ins Schwitzen. Springsteen, dem gerade auf der aktuellen Tour gerne mangelnde Variabilität bezüglich der Setlist angekreidet wird, startet mit dem zuletzt 2017 gespielten „The Ties That Bind“ ins Set und antwortet den Unkenrufern auf seine Art und Weise. Die Hard-Facts nach den ersten paar Liedern: seine neunköpfige E-Street-Band agiert famos und manchmal gar etwas wild galoppierend. Drei große Videoleinwände reichen, ansonsten gibt es nur Musiker beim Musizieren zu bestaunen und beim Boss darf an der Bühnenspitze sogar eine US-Flagge wehen, ohne dass die Aktion einen schrägen Mief bekommt.

„No Surrender“, „Ghosts“ oder „Prove It All Night“ nützt die Band, um in Fahrt zu kommen. Springsteen geht erstmals auf Tuchfühlung mit den Fans in der ersten Reihe, sein famoser Drummer Max Weinberg poltert im Anfangsdrittel am deutlichsten nach vorne und der Wechselgesang zwischen Bruce und seinem ewigen Sidekick Steve Van Zandt funktioniert reibungslos. Bei „The Promised Land“, dem ersten großen Highlight der Show, wird endlich die Fotzhobel ausgepackt und der Abend kommt langsam so richtig in die Spur. Der anfangs verwaschene Sound verbessert sich deutlich und an das markante Kratzen von Bruces Stimme gewöhnt man sich zwangsläufig. Im fortgeschrittenen Alter sollte man nicht mehr dieselben Bewertungskriterien wie vor 40 Jahren heranziehen, doch in der rauen Intonation steckt durchaus auch eine kräftige Portion Charme.

Fans sind aus dem Häuschen
Während die Band aus allen Rohren feuert, singen und feiern die Fans inbrünstig mit. „Wacken“- und Slayer-Shirt-Träger stellen sich neben gebrechlich wirkenden Pensionären, Eltern haben ihre kleinen Kinder auf den Schultern sitzen und selbst gesättigte Musikjournalisten kommen aus dem Staunen und Mitwippen nicht heraus. Wenn Springsteen ein rockiges „Out In The Street“ oder das von einem Bläserquintett vorangetriebene „Kitty’s Back“ zum Besten gibt, schaut er auf ein Meer von Tafeln. „I’m On Fire“, „Jersey Girl“ oder „Stevie Rocks“ steht dort etwa drauf. Ein besonders Wagemutiger adressiert ganz direkt und unverblümt an den Boss höchstselbst: „May I have your harmonica please“ - netter Versuch. Eine ihm überreichte Kette nimmt Springsteen dafür dankend an und steckt sie möglichst unauffällig in die Hosentasche.

Ein Knackpunkt im Set ist nach einer knappen Stunde das Commodores-Cover „Nightshift“ von Springsteens grandioser, letzten Herbst veröffentlichter Cover-Platte „Only The Strong Survive“. Gemeinsam mit der E Street Band verwandelt er das Stück zu einem mitreißenden Soul-Monster, das mit sehr viel Ehrerbietung und Stil vorgetragen wird. Dieser Song leitet in die stärkste Phase des Sets. Bei „Mary’s Place“ verteilt der Boss Gitarrenplektren wie ein Priester Oblaten, das ungeschlagene Kultstück „The River“ beendet er mit eindringlicher Kopfstimme und bei „Last Man Standing“ wird es emotional. Springsteen erinnert sich an seine allererste Rock’n’Roll-Band The Castiles und den verstorbenen alten Partner George Theiss. „Mit 15 denkt man nur an Morgen und es gibt viele Hallos, später im Leben gemahnt vieles an gestern und die Abschiede werden mehr“. Akustisch und nur von der Trompete Barry Danelians begleitet, sorgt Springsteen für echte Tränen der Rührung, während er dazu auffordert, das Leben in seiner ganzen Blüte anzunehmen und zu zelebrieren.

Die Magie des Klangs
Mit dem extrem emotionalen und intensiv exerzierten „Backstreets“ und dem makellosen „Because The Night“ (das immer als Patti Smith-Cover präsentiert wird, obwohl Bruce einst die ersten Zeilen schrieb) endet eine knappe halbe Stunde, in der Springsteen und die E Street Band mit ihrer bloßen Präsenz und dem musikalischen Handwerk eine eindringliche Magie entfachen, an die keine überkandidelte Bombastshow herankommt. Springsteens Charisma entfacht eine völlig eigenständige Wechselwirkungsenergie, wie man sie nirgends sonst sieht. Er ist genauso Working Class wie seine Fans, hat nie die Bodenhaftung verloren und verwandelt Auftritte in eine Art Gottesdienst. Doch wo etwa ein Nick Cave bewusst über seinen Jüngern steht, stellt sich Springsteen auf Augenhöhe in dieselbe Reihe und wird gerade ob seiner Normalität von allen anderen so wertgeschätzt.

Beim vom Publikum lautstark mitgesungenen „Badlands“ duelliert sich Bruce mit Drummer Weinberg, „Wrecking Ball“ wird anfangs mit einer zart flirrenden Gitarre eingeleitet und „The Rising“ entfacht große Emotionen. Als sich das so sensible „Thunder Road“ noch ein allerletztes Mal aufbäumt, verneigen sich Bruce und seine Top-Musiker nach 135 Minuten erstmals vor ihren Fans - und da sind all die großen Hits noch gar nicht gespielt. Fast nahtlos gelingt der Übergang in den Zugabenblock zu „Born In The U.S.A.“, „Glory Days“ oder „Dancing In The Dark“, woraufhin er seine Könner an den Instrumenten noch einmal extra vorstellt. Auch das ein untrügliches und leider auch trauriges Zeichen, dass es wohl die letzte große Welttournee sein könnte. Noch vor wenigen Jahren vermied er es tunlichst, all seine großen Hits in ein Liveset einzubauen.

Im Juli in Wien
Doch an die drohende Verabschiedung vom Boss will klarerweise niemand denken, auch wenn er mit selten eingestreuten Anekdoten von früher oder den bei „Tenth Avenue Freeze-Out“ auf der Leinwand gehuldigten, verstorbenen Ex-E-Street-Band-Mitgliedern Danny Federici und Clarence Clemons immer wieder Sentiment versprüht, dass man in dieser Form früher noch nicht verspürte. „Born To Run“, das Lied, das ihn 1975 zum Superstar machte und vor „Born In The U.S.A.“ zu einer kleinen US-Hymne wurde, zaubert eine warme Patina in das Auditorium. Als er nach knapp drei Stunden ganz alleine und nur mit Akustikgitarre bewaffnet „I’ll See You In My Dreams“ zelebriert, ist die Messe gelesen. War es das wirklich? Man mag und will es nicht glauben. Am 18. Juli kommt Springsteen mit der E Street Band ins bereits restlos ausverkaufte Wiener Happel-Stadion. Schauen Sie sich das an, es könnte das letzte Mal sein!

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