„Krone“-Interview

Gojira: „Unsere Zeit auf dem Planeten läuft ab“

Wien
16.06.2023 07:00

Gojira gehören seit geraumer Zeit zu den spannendsten und erfolgreichsten harten Metalbands der Welt. Nach einem gefeierten Auftritt letztes Jahr im Wiener Gasometer entern sie am 18. Juni die Open-Air-Bühne der Wiener Arena. Frontmann Joe Duplantier ist Rockstar, Familienvater und Umweltschützer - und gab uns im Talk Einblick in seine dystopische Gedankenwelt.

„Krone“: Joe, euer letztes Album „Fortitude“ habt ihr im April 2021 veröffentlicht und aufgrund der Pandemie schon so weit wie möglich hinausgeschoben. Dem „Revolver Magazine“ hast du gar schon Pläne vom nächsten Album verraten. Wie sieht es damit aus?
Joe Duplantier:
Wir sprechen permanent vom nächsten Album, aber das muss nicht heißen, dass wir auch wirklich schon weit sind. (lacht) Wir sind professionelle Musiker, leben davon und denken immer einen Schritt weiter.

Es gibt nicht viele Bands, die trotz der komplexen und oftmals sehr dissonanten Songstrukturen so viel Erfolg haben wie ihr. Warum klappt das so extrem gut bei euch?
Ich habe wirklich keine Ahnung. Es gibt keine Regeln für Erfolg und wir sind das allerbeste Beispiel dafür. Natürlich kann man gewisse Dinge aneinanderreihen und damit den Erfolg forcieren. Als Menschen folgen wir unseren Emotionen und manchmal hat eine Band Erfolg, die das am Papier gar nicht haben sollte. Wir legen all unsere Kräfte und Energien in die Musik und die Texte. Wenn wir einen Song veröffentlichen, ist das niemals Hintergrundmusik, sondern es hat einen wichtigen Grund. Manchmal sind diese Songs natürlich sehr hart, aber anders geht es bei uns nicht. Wir arbeiten schwer und warten auf den richtigen Moment. Deshalb beschweren sich Leute oft, dass es immer so eine große Spanne zwischen zwei Alben gibt, aber anders würde es uns vielleicht gar nicht mehr geben.

Ihr seid also absolute Perfektionisten, was die Musik und alles andere angeht?
Wir haben keine eingängigen Refrains, keine Sängerin mit großen Brüsten und sind auch nicht fancy angezogen. Unsere Musik ist solide und hemdsärmelig.

„Fortitude“ bedeutet so viel wie „innere Stärke“. Hat sich die Bedeutung des Albums für euch verändert, nachdem sich die ganze Welt ständig verändert?
Wir haben die Songs schon vor der Pandemie geschrieben und sie auch schon fertig produziert. Auch der Titel stand schon im Vorfeld fest, es fehlte am Ende nur noch der Mix. „Fortutide“ bedeutet für uns Stärke in der Not. Dass du an dich, deine Kräfte und deine Seele glaubst, resilient bist, wenn die Dinge gerade nicht gut laufen. Ich wollte mit den Songs Stärke demonstrieren, aber „Strength“ war mir als Albumtitel zu platt.

Das Album landete sogar auf Platz eins der Billboard-Charts. Die Kritiker und Fans liebten es und es lief auch in Europa hervorragend. Denkst du dir dann manchmal, was denn danach kommen kann?
Natürlich ist der Erfolg aufregend und freut uns. Wenn dir jemand etwas anderes erzählt, dann lügt er, denn Zuspruch und Erfolg sind immer schöne Dinge. Wichtig ist aber, dass es uns nicht um Erfolg geht. Ich strebe nach guter Qualität und danach, etwas zu erschaffen, was bleibt. Das können Kinder sein, das kann aber auch die Eroberung eines Landes sein, wie wir das leider gerade erleben. Oder aber du kreierst Musik, die Menschen interessiert und freut.

Würdest du Erfolg dadurch definieren, dass die Menschen deine Texte verstehen und deren Botschaften für sich umsetzen?
Einen Platz in der Psyche der Menschen zu finden, bei ihnen präsent zu sein und sie zu inspirieren, das ist für mich eine Definition von Erfolg. Auch wenn ich nur einen kleinen Funken entzünden kann.

Du warst selbst inspiriert von deinen großen Helden, wie etwa Morbid Angel. Mittlerweile inspirieren Gojira längst auch andere. Wie geht es dir damit?
Wenn ich daran denke, dann zerreißt es mir mein Hirn. (lacht) Dass meine Band jemanden anderen inspirieren kann, ist ein Grund, um in Frieden zu sterben. Es ist die Erfüllung eines großen Traums.

Für die Geburt eines Kindes ist letzten Sommer schon einmal ein Bandmitglied zu Hause geblieben und wurde temporär ersetzt. Gibt es im Leben wichtigere Dinge als Gojira?
Eine gute Frage, die schwer zu beantworten ist. Als Teenager und junger Erwachsener gibt es oft nur das Instrument und die Mädchen, aber je älter du wirst, umso hält das Leben für dich bereit. Ein Vater zu sein ist eine Offenbarung und der Song „New Found“ spielt auf diese neue Rolle an. Ich habe nie geplant, Kinder zu haben, aber im Laufe des Lebens und des Hinterfragens meiner eigenen Person passierte das. Die Musik ist deshalb nicht weniger wichtig, sondern teilweise sogar mehr. Es ist verdammt schwierig ein Elternteil zu sein, denn damit einhergehend muss man sich auch von manchen Träumen im Leben und von Eigensinn und Egoismus verabschieden. Als Vater habe ich die Prioritäten neu ausgerichtet und gelernt, das Leben aus anderen Perspektiven zu sehen. Die Musik wird nie verschwinden, sie ist ein Teil meiner DNA, aber die Zeit dafür wird knapper. Dafür ist man bei der Arbeit aber auch fokussierter und vertändelt seine Zeit nicht mehr so oft.

Lebt ihr alle in New York?
Ich lebe dort und mein Bruder kommt immer rüber, wenn wir Alben schreiben. Ich wohne schon seit 13 Jahren dort und weil meine Mutter aus den USA kommt, habe ich eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung. Mario zog schon dreimal nach Amerika, aber immer wieder zurück nach Frankreich. Eine etwas komplizierte Sache, die auch mit Familiensituationen zu tun hat.

Viele Bands haben mittlerweile ihre Familien mit auf Tour. Wäre das auch für Gojira erstrebenswert?
Ich habe meine Tochter für zwei Wochen auf die US-Tour mitgenommen. Sie ist erst elf Jahre jung, aber weitaus reifer als ich und redet noch heute davon. Als sie fünf Jahre alt war, wollte sie das erste Mal mit und ich konnte ihr das noch ausreden. Ich sagte, mit neun wäre es okay. Das hat sie nie vergessen und dann darauf beharrt. (lacht) Also habe ich sie ein paar Wochen mitgenommen. Wenn auch etwas verspätet, weil uns die Pandemie in die Quere kam. Für uns beide war es eine lebensverändernde Zeit, weil es großartig war. Ich habe auch noch einen kleinen Sohn und der kann es auch kaum erwarten, endlich mitkommen zu dürfen.

Da muss man dann aber wahrscheinlich gewisse Verhaltensweisen und Routinen abstellen, wenn Kinder mit an Bord sind …
Ja, das F-Wort sollte man dann eher stecken lassen. (lacht) So etwas kann ich nur machen, wenn ich mir eine Nanny leisten kann, weil ich immer gut beschäftigt bin. Wenn die Kinder Teenager werden, finden sie das Ganze wahrscheinlich ohnehin sehr cool. Jeder Job hat seine Eigenheiten und du kannst genauso stolz auf deinen Vater sein, wenn er Fotograf oder Koch ist. Meine Kinder glaubten aber immer, dass jeder einzelne Vater auf diesem Planeten in einer Band spielt. Sie haben in der Schule auch immer gefragt, wie die Bands der anderen Väter heißen. (lacht) Mittlerweile wissen sie, dass es nicht unbedingt üblich ist, mit Musik Geld verdienen zu können. Trotz allem sagen sie, dass Gojira ihre Lieblingsband sein. Ich glaube ihnen das aber nicht. Nicht meiner Tochter. Die hört insgeheim sicher lieber Billie Eilish oder Tones And I. Meine Kids spielen Gitarre und Schlagzeug und sie sind auch oft bei mir im Studio. Sie lieben diese Welt.

Hast du nicht Angst, dass sie in deine Fußstapfen treten werden? Immerhin ist das Musikerdasein kein sicheres und nur die Wenigsten haben Erfolg.
Mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich nur ja kein Künstler werden sollte und genau das ist passiert. Ich versuche es also mit umgekehrter Psychologie und hoffe, dass sie deshalb etwas anderes machen. Aber natürlich ist absolut alles okay, was sie machen wollen. Ich werde für sie da sein.

Du bist aktiv bei Sea Shepherd dabei, ernährst dich ausschließlich vegan und ihr tut als Band sehr viel für Umweltbelange. Wird dieser Einsatz umso wichtiger, je stärker die Klimadebatte abgehalten wird?
Es wird im Prinzip immer unwichtiger, weil es so aussieht, als wären wir ohnehin am Ende. Ich bin extrem umweltbewusst aufgewachsen. Wir wuchsen nahe am Ozean in Frankreich auf und waren mit meiner Mutter sehr oft am Strand. Einmal wurde extrem viel schwarzes Zeug angespült und das war das Resultat eines Ölunfalls. Wir Kids dachten, das wären schwarze Steine, dabei waren es nur sehr dunkle, widerliche Müllballen. Wir haben sie mit Alkohol gereinigt und das hat oft Stunden veranschlagt, aber es war uns wichtig. Diese Form der Umweltverschmutzung blieb mir besonders in Erinnerung. Mein kleiner Bruder Mario hatte sogar Infektionen davongetragen. Ich habe schon als Kind Plastikbehältnisse, Tennisbälle und alles andere gesammelt und weggeworfen. Ich hinterfragte, warum das überhaupt passiert und das war in den 80er-Jahren. Heute brennt die Welt wortwörtlich nachweislich und immer mehr Menschen zweifeln daran. Wie kann das sein? Werden hier alle verrückt?

Als ich zwölf war, sah ich den Astrophysiker Hubert Reeves im Fernsehen, der uns schon damals erklärte, dass, wenn wir nichts gegen die Umweltverschmutzung tun würden, wir in 20-30 Jahren am Ende der Fahnenstange wären. Ich war schockiert. Als wir mit Gojira starteten, wollte ich nur darüber singen. Heavy Metal ist eine Musikform, die Menschen verbindet, die aber neben Ängsten, Depressionen, Satanismus und Gore auch Umweltprobleme an den Tisch bringen kann. Natürlich hat eine Band wie die von mir verehrten Cannibal Corpse dümmliche Texte, aber viele andere Death-Metal-Bands haben sich inhaltlich ernsthaft mit den Problemen der Welt auseinandergesetzt. Nichtsdestotrotz haben sogar Cannibal Corpse vermittelt, dass wir auf dem Weg in den Tod sind. Für mich ist das das Thema Nummer eins. Wenn wir den Planeten nicht mehr retten, dann können wir nämlich über gar nichts mehr reden.

Aber wenn du behauptest, wir wären ohnehin nicht mehr zu retten, könntest du auch genauso gut aufgeben …
Ich versuche krampfhaft, nicht aufzugeben. Immer hoffnungsfroh und optimistisch in die Zukunft zu blicken, aber manchmal schaue ich mir im Fernsehen die Nachrichten an, rechne eins und eins zusammen und bekomme Angst. Als Spezies Mensch sollten wir langsam lernen, wie wir andere Spezies behandeln. Wie gehen wir mit Tieren und Pflanzen und auch anderen Menschen um? Das wäre einmal die drängendste Gesprächsbasis. Die Umweltproblematiken halten uns auf Trab, aber alles beginnt einmal zuerst bei uns selbst. Wir sollten weniger Plastik verbrauchen, lokales Essen kaufen und keine eingeschifften Lebensmittel verwenden. Das Essen sollte organisch und saisonal sein. Ich klinge bei diesen Themen immer wie ein Hippie, aber wir müssen all das ernst nehmen, sonst wird es langsam knapp. Als Sänger einer Rockband bin ich auch nur ein Tropfen im Ozean der Erkenntnis, aber jeder Tropfen berührt das Meer und kann etwas zum Besseren verändern.

Aber als Sänger einer Rockband hast du durchaus Einfluss. Viele Menschen hören dir sehr genau zu.
Wenn ich mit meiner Einstellung und Haltung eine Inspiration für andere sein kann, dann tue ich das natürlich gerne. Alles, was zu einer Veränderung führt, ist willkommen. Wir touren auch im Bus, fliegen mit Flugzeugen und ich trinke mein Wasser in den meisten Ländern aus Plastikflaschen. In vielen Bereichen gibt es keine andere Möglichkeit, aber man kann mir glauben, wenn ich sage, ich nütze jede Chance, um nachhaltiger zu leben. Ein alter Trick, den ich noch immer anwende - gib einen Stein in deine Toilette. Das kostet nichts, aber man verschwendet beim Spülen viel weniger Wasser. Das sind die einfachen Dinge und wir Menschen können nur an Kleinigkeiten schrauben. Wichtig ist aber zu erkennen, dass jede Kleinigkeit einen Unterschied ausmacht.

Gegen das Fahren im Tourbus, das Fliegen von den USA nach Europa oder das Drucken von Vinyl wird es aber so schnell keine besseren Lösungen geben.
Es gibt nicht überall Alternativen, das ist mir bewusst. Mir ist ganz klar, dass wir auch ein Teil des Problems sind, aber wir wollen das Problem so gering wie möglich halten. Keine Tour zu machen, wäre die andere Option, aber wir leben schlussendlich davon. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und für andere zu performen. Es ist cool ein Rockstar zu sein und ich stehe auf das Reisen und Herumfahren, ich will da gar nicht erst das Gegenteil heucheln.

Waren diese Erlebnisse am Strand als Kind eigentlich schon der erste Funke, der dich zur Musik und zu deiner Band führte? Wo du gespürt hast, du brauchst ein Ventil für die Wut, die in dir aufkam?
In erster Linie war ich traurig und habe die Menschen hinterfragt. Zu Hause hatte ich eine gute Unterhaltung mit meiner Mutter, die sich sehr über diese Leute aufregte, mich aber dazu inspirierte, auch aktiv was dagegen zu tun. Meine Mutter war Lehrerin, sie machte Yoga und wir hatten viele philosophische Gespräche in der Familie. Es gab die Möglichkeit, sich offen über diese Dinge auszutauschen und dadurch viel zu lernen. Es muss furchtbar sein, wenn du Eltern hast, denen du nicht sagen kannst, was dich sorgt und bedrückt. Die nicht wissen wollen, wie es um deine Sorgen und Ängste aussieht. Bei uns war das zum Glück nie ein Problem.

Jetzt hast du selbst Kinder und kannst so gut wie möglich dafür kämpfen, dass der Planet für die nächsten 70 bis 80 Jahre noch möglichst intakt bleibt.
Mario und Christian haben auch Kinder und ich hoffe inständig, sie gehen mit diesen Krisen ein bisschen positiver um als ich. (lacht)

Live in Wien
Gojira spielen am 18. Juni am Open-Air-Gelände der Wiener Arena. Im Vorprogramm werden Conjurer und Urne zu sehen sein. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das frühsommerliche Konzerthighlight - dort finden Sie auch weitere Informationen zum Top-Konzert.

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