Abschied auf Raten

UK Subs: „Die Welt braucht Punk mehr denn je“

Musik
06.02.2023 09:00

Mitten in der großen britischen Punk-Welle der 70er-Jahre reüssierten die UK Subs. Knapp 50 Jahre später sind sie immer noch auf Tour, gehen es aber fortan etwas gemütlicher an. Vor ihrem Auftritt in der Wiener Arena haben wir uns Frontmann Charlie Harper zur Seite geholt, der die Wichtigkeit und Inhalte des Punk in einer grausamen Welt wie heute für unverzichtbar hält.

(Bild: kmm)

Als Charlie Harper 1976 in London passend zur ersten großen Punk-Welle seine UK Subs gründete, war er bereits 32 und hatte eine Karriere als Blues-, Rhythm-And-Blues- und Jazz-Musiker hinter sich. Einmal vom Punkvirus infiziert, änderte sich sein Leben radikal. Die UK Subs spielten zwar nie in der ersten Liga mit den Sex Pistols, The Clash oder The Damned, brachten es in rund 47 Jahren bislang aber auf rund 6000 Konzerte. Harper feiert im Mai seinen 79. Geburtstag und wer ihn letztens in der Wiener Arena wie einen Derwisch herumspringen sah, muss mindestens 25 Jahre abziehen. Mit den großen Touren in klapprigen Vans ist es nun aber trotzdem vorbei, das macht noch nicht einmal sein junggebliebener Körper problemlos mit. Zum großen Abschied (der eigentlich gar keiner ist), nahm sich Charlie aber noch eine Viertelstunde Zeit für uns.

„Krone“: Charlie, im Zuge der letzten großen UK-Subs-Tour ging es von der gewohnten kleinen noch einmal in die große Halle der Wiener Arena …
Charlie Harper:
Wie in den 80er-Jahren. (lacht) Ich glaube, wir spielten damals an einem Samstag und am Vorabend spielten Gwar hier. Wir hatten einen freien Tag und waren schon da, haben sie uns angesehen. Wenn du mit der Band firm bist, weißt du, dass sie Kunstblut und Gedärme aufs Publikum werfen. Die Leute kamen in weißen T-Shirts oder oberkörperfrei und ließen sich bewerfen. Nach dem Konzert machten sich Hunderte Menschen voller Blut auf dem Weg zur U-Bahn und die normalen Mitfahrer waren völlig geschockt, weil sie sich lauter Zombies gegenübersahen. Andere Leute trauten sich gar nicht erst einzusteigen. Das war grandios. Ein echter Rock’n’Roll-Moment. (lacht)

Nach 47 Jahren mit den UK Subs ist jetzt zumindest mit dem üblichen Touralltag Schluss.
Wir brechen unsere Anwesenheit komplett auf Europa und Großbritannien im Speziellen herunter. Wir haben schon etwa drei Farewell-Touren in den USA gespielt, aber jetzt machen wir das auch hier. (lacht) Wir werden weiter auf Festivals zu sehen sein und man kann uns auch für Wochenendgigs oder Dreitages-Ausflüge buchen.

Mit deinen 78 Jahren wird das Reisen und Herumfahren auch nicht leichter.
Wir nehmen immer noch viel auf uns, aber wochenlang in einem Van zu sitzen ist wirklich nicht mehr so leicht, wie es früher war. Da muss ich mir nichts vorlügen.

Deine Form ist beeindruckend. Du schaffst es immer noch, auf der Bühne herumzuspringen und eine mitreißende Show zu liefern. Wie hältst du dich dermaßen fit?
Ich springe die ganze Woche lang stundenlang auf der Bühne herum - genau das ist das Workout. (lacht) In meinem Alter trinke ich nur noch tagsüber und greife nach den Konzerten kein Bier mehr an. Die anderen Jungs machen meist noch Party in den Backstageräumen und trinken bis 3 Uhr früh, bevor sie sich in den Van legen - da bin ich schon längst im Land der Träume. Sollten wir einmal ein Hotel haben, versuche ich der Party im Zimmer meiner Gefährten zu entkommen. Wenn ich genug schlafe, bin ich auch fit genug für den neuen Tag.

Mit den UK Subs hast du Tausende Konzerte gespielt. Kaum eine Band ist seit knapp fünf Dekaden so regelmäßig und ständig auf Tour. Hast du darüber mal Buch geführt?
Wir haben mit 100 Konzerten pro Jahr begonnen und kamen dann irgendwann auf 200 pro Saison. In den letzten paar Jahren sind wir wieder auf etwa 100 heruntergegangen. Insgesamt sind wir etwa 6000 Mal auf der Bühne gestanden. Ich hätte wirklich alles mitschreiben müssen.

Als du mit den UK Subs 1976 losgelegt hast, warst du bereits 32 und kein Jungspund mehr in der Punk-Szene. Du warst jahrelang in Blues- und Rhythm-And-Blues-Bands aktiv. Ein sehr interessanter Weg.
Ich war in einigen Bands unterwegs. Darunter waren ganz sicher zwei bis drei Blues-Bands, aber auch einige Rock- und Pub-Rock-Bands. Ich spielte auch in einer irischen Country-Band und war in einem Jazz-Kollektiv, in dem ein Horn zum Einsatz kam. Dort war ich als Bassist tätig. Ganz früh war ich Straßenmusikant in London, wie so viele andere, die heute teilweise sehr berühmt sind. Rod Stewart zum Beispiel. (lacht) Ein Straßenmusikerfreund und ich sind einst mit der U-Bahn zu einem Pub gefahren, um eine kleine Band zu sehen. Wir wussten, das könnten wir auch, also haben wir uns selbst eine Band gesucht. Das waren die Merauders, da waren wir noch mehr im Pub-Rock verhaftet.

Als der Punk von London seine kurze Weltherrschaft antrat, war er ja gegen alles und jeden. Waren Blues- und Pub-Rock-Musiker wie du, die schon eine musikalische Karriere am Laufen hatten, von den jungen Typen überhaupt akzeptiert?
Es gab ein paar sehr gute Bands und wir haben alle voneinander profitiert. The Stranglers oder The Vibrators und viele, von denen nie jemand gehört hat. Es gab eine absolute Underground-Band namens Alberto Y Lost Trios Paranoias aus Manchester. Für mich waren sie der Beginn der gesamten Szene. Johnny Rotten und viele andere haben sich ihre Show in London angesehen und das hat extrem viel in Gang gesetzt. Der Rest ist Geschichte.

Gab es einen Wettbewerb in der Szene? Vor allem zwischen bereits erfahrenen Musikern und jenen Jungspunden, die noch nicht einmal drei Akkorde auf der Gitarre beherrschten?
Es war zu unübersichtlich, um sich darauf konzentrieren zu können. Als das „Roxy“ in London öffnete, spielten jede Nacht vier verschiedene Punk-Bands. Es muss in England damals Hunderte gegeben haben und alle wollten sich durchsetzen. Die Szene war ungemein lebendig, und zwar schon 1974. Bis 1978 hat der Punk bis nach Schottland rauf dominiert und die zweite große Szene war New York. Von dort an ging es auch in San Francisco los. Der Punk hat innerhalb weniger Monate ganze Landstriche unter Feuer gesetzt - es war wirklich revolutionär. Schön war die Zeit. (lacht)

Mit den UK Subs hattest du vor allem in den ersten Jahren durchaus große Erfolge. Ihr habt euch auch nie gescheut, New Wave und andere Trends auszuprobieren, als sie gängiger wurden. War es für dich ein Vorteil, dass du das Musikbusiness schon vor deiner Metamorphose als Punk kanntest?
Definitiv. Wenn man ein Teil einer Working-Class-Band war, die fünfmal die Woche auf eine Bühne trat, dann weiß man, was man zu tun hat. Das macht vieles leichter. Als ich mit den UK Subs startete, habe ich es aber auch übertrieben. Ich war damals noch schwer auf Drogen und hatte einen Herzinfarkt. Das war für mich der Turning Point und das Warnsignal zur richtigen Zeit. Ich hatte zwar später noch weitere, aber habe früh viel in meinem Leben verändert.

Du hast als Frisör gearbeitet und dein Laden im Londoner Stadtteil Tooting war der Treffpunkt einer ganzen Szene.
Das Hauptquartier des Punk, vielleicht kann man das wirklich so sagen. Pete Davies, der später auch mal Drummer bei uns war, war auch da und er hat den Kontakt mit dem legendären Radio-DJ John Peel eingefädelt, der uns in seiner Sendung spielte. Peel gab uns den Rat, ein Album einzuspielen und legte die Rutsche für das Studio. Wir können es wirklich ihm verdanken, dass wir damals so durchgestartet sind.

Sind die Botschaften des Punk und jene, die ihr mit euren Songs ausstrahlt, heute nicht wichtiger als je zuvor?
Da hast du absolut recht. Es ist doch verrückt, dass die Welt immer ein gefährlicher Ort ist - egal, wo du dich gerade aufhältst. Gerade heute sind viele Dinge aus den Fugen geraten. Immer mehr Menschen hassen sich, Kriege ploppen auf, Revolutionen starten. Es ist so, als ob sich die Funken entzünden würden und keiner mehr Ruhe bewahrt. Die weisen und älteren Menschen wissen sehr gut, dass wenn man die Geschichte ignoriert, sie sich umso leichter wiederholt. Leider tun aber genau das extrem viele Menschen. Unsere Songs haben heute eine größere Bedeutung als früher, wenn wir sie singen. Und ich hoffe inständig, dass junge Menschen unseren Spirit weitertragen.

Hat der Punk verloren? Sind die Ideale einer ganzen Szene nun komplett von einer aggressiven, kapitalistischen Welt aufgefressen worden?
Die Welt braucht Musik und vor allem braucht sie Punk - mehr denn je. Sie braucht auch Pop, weil man sich darin aus dem Alltag flüchten kann, aber Punk und Punkrock erzählen die Wahrheit. Diese Musik drückt den Finger auf Wunden und benennt die Kriege und Verfehlungen beim Wort. Die Wahrheit erzählt dir nur der Punk. Die Dinge werden allgemein immer schlimmer und nicht mehr besser. Waldbrände roden ganze Landstriche dahin und in vielen Küstengebieten der Welt brauchst du kein Haus mehr bauen, weil die Flut es verschlucken wird. Das ist unumkehrbar und jeder muss sich genau überlegen, was er für seine Zukunft plant.

Hast du noch immer dasselbe Mindset sie vor 40-50 Jahren?
So ziemlich. Irgendwann einmal habe ich ein bisschen den Anschluss an die Welt verloren, bin aber längst wieder zurückgekehrt und weiß sehr gut, was heute gerade alles los ist. Greta Thunberg ist großartig und ich liebe es zu sehen, wie sich die Jungen auflehnen und die Welt besser machen wollen. Die Torys in England versuchen gerade, die Menschen vom Streiken abzuhalten. Das ist unglaublich. Wie können sie überhaupt an so etwas Idiotisches denken? Die Torys sind ein einziger großer Scheißhaufen. Sie haben keine Ahnung, was sie tun. Sie labern herum und drehen sich im Kreis. Der Brexit hat das Land ruiniert und davon erholen wir uns noch immer nicht. Wer einmal aufs europäische Festland zieht, kommt nicht mehr zu uns zurück. Da gehen viele wichtige Arbeitskräfte und Menschen verloren. Oder Putin - der nächste Idiot. Er ist wie ein Tier.

Ist es umso wichtiger, im künstlerischen Rahmen dagegen anzukämpfen und die Menschen mit Texten und Konzerten auf Dinge hinzuweisen?
Natürlich. Unsere Regierung hat Milliarden und Abermilliarden gestohlen und den Bürgern entwendet und alle machen trotzdem noch brav mit. Das große Problem ist immer: diejenigen, die Punk hören sollten, hören ihn leider nicht. Ende der Geschichte.

Was machst du eigentlich alles, wenn du nicht mehr an die 200 Mal pro Jahr auf Tour bist? Bist du bereit für die Rente mit temporären Ausflügen mit deinen Freunden in der Band?
Ich male und zeichne sehr viel, außerdem schreibe ich an einem Buch und im Lockdown haben wir das Album „Reverse Engineering“ eingespielt, das letzten Sommer rauskam. Das verkaufte sich so gut, dass die Plattenfirma es nachpressen musste, was mich natürlich sehr gefreut hat. Wie gesagt, werden wir nicht aufhören, immer mal wieder weiterzuspielen. Also wenn ihr uns Wien wieder gerne sehen wollt, ladet uns einfach ein - wir gehen es nur etwas gemütlicher an. Hoffentlich gibt es auch noch ein weiteres Album …

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