Krise als Auslöser

Hoher Zulauf bei den „Anonymen Alkoholikern“

Burgenland
24.11.2022 11:00

Die vielen aktuellen Herausforderungen treiben immer mehr Menschen in die Sucht. Doch auch bei den Selbsthilfegruppen steigt die Nachfrage. 

Jeden Montag um 19 Uhr treffen sich im burgenländischen Wallfahrtsort Loretto Frauen und Männer in einem Nebenraum der Basilika. Manche kommen aus der Umgebung, andere reisen extra aus Niederösterreich und sogar aus dem Mittel- und Südburgenland an.

Allerdings kommen sie nicht zum Beten, sondern, um im geschützten Rahmen über ihre Alkoholsucht zu sprechen. „Derzeit gibt es viele Neuzugänge, weil wegen der aktuellen Krisen noch mehr Menschen zur Flasche greifen“, sagt Edith H.

Jeder Fünfte trinkt nahezu täglich
Die 57-jährige Sachbearbeiterin gründete die Gruppe in Loretto vor drei Jahren. Ihre eigene Trinkkarriere begann, als sie noch verheiratet war. Jeden Tag hat sie mit ihrem Mann daheim „getschechert“ und in ihrer Handtasche stets ein Tetrapak Wein mit sich geführt.

Edith H. ist kein Einzelfall. Jeder Fünfte trinkt nahezu täglich Alkohol, 15 Prozent im gesundheitsgefährdenden Ausmaß. Zehn Prozent erkranken an einer Sucht und brauchen eine Therapie, belegen der „Epidemiologie-Bericht Sucht“ und Studien des Anton-Proksch-Instituts.

Frauen auf dem Vormarsch
„Aufgrund der vielen Weinbauregionen sind die Probleme im Osten Österreichs noch stärker ausgeprägt als im Westen. Außerdem nimmt der Anteil der alkoholkranken Frauen deutlich zu“, weiß Isabel E.

Die Handelswissenschafterin und diplomierte Suchtberaterin ist seit 15 Jahren Mitglied der Anonymen Alkoholiker. Seit zwölf Jahren ist sie trocken und trägt bei den Mittwoch-Meetings in Eisenstadt dazu bei, dass Betroffenen der Weg aus der Abhängigkeit gelingt.

„Während Männer gerne in Gesellschaft über den Durst trinken, bechern Frauen heimlich und belügen sich oft selbst“, erklärt die Expertin. Die jüngsten Teilnehmer in ihrer Gruppe sind 18 Jahre, die ältesten über 70.

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Hausfrauen, Mütter, Lehrlinge und Studenten nutzen das diskrete Austauschangebot ebenso wie Anwälte, Ärzte und Politiker

Isabel E. ist Handelswissenschaftlerin, diplomierte Suchtberaterin und trockene Alkoholikerin

Studie zeigt: 80 Prozent sind hochsensibel
Anhand einer Interviewstudie mit 120 trockenen Alkoholikern fand sie heraus, dass 80 Prozent hochsensibel sind: „Viele fühlen sich im Alltag überfordert oder unverstanden und benutzen Alkohol, um angstfrei zu werden und mehr leisten oder besser schlafen zu können.“

Laut WHO gilt man als Alkoholiker, wenn man täglich ein Glas Sekt oder ein Seidel Bier konsumiert. Viele Süchtige belächeln diese Definition und nehmen ihr Problem in Folge nicht ernst.

Doch spätestens dann, wenn man merkt, dass die Gedanken um den Alkohol kreisen - „Wann kriege ich mein Feierabendbier? Habe ich noch Vorrat zuhause?“ - sollte man Hilfe suchen, mahnt die Suchtberaterin: „Viele Abhängige kommen erst, wenn sie ihr Leben nicht mehr bewältigen können und der Alkohol Beziehungen belastet“.

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Alkoholismus ist eine chronische Erkrankung, für die man sich nicht schämen muss. Es sei denn, man weiß es und versucht nicht, etwas dagegen zu tun

Suchtberaterin Isabel E.

Auch anonyme Online-Meetings sind möglich
Bis vor Kurzem gab es im Burgenland fünf Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker. Jene in Neusiedl am See, Mattersburg und Markt Allhau wurden im Zuge der Corona-Pandemie aufgelöst, weil sich Meetings zunehmend ins Internet verlagern und dort inkognito stattfinden.

„Das hat den Vorteil, dass auch Weinbauern, die sich nicht als Alkoholiker deklarieren wollen, Zugang finden“, sagen Isabel E. und Edith H. Das Gemeinschaftsgefühl, das persönliche Treffen bewirkten, bleibe online aber leider auf der Strecke.

Die Meetings der Anonymen Alkoholiker finden im Burgenland an zwei Wochentagen statt: Jeden Montag um 19 Uhr in Loretto (Hauptplatz 22) und jeden Mittwoch um 19 Uhr in Eisenstadt (Johannes-von-Gott-Platz 1). Jeden ersten Montag des Monats bzw. jeden ersten Mittwoch des Monats werden auch offene Meetings für Familienangehörige und Interessierte angeboten.

www.anonyme-alkoholiker.at

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