15.11.2022 13:42

Proteste im Iran

„Erzwungenes Kopftuch ist Zeichen von Macht“

Die Protestbewegung im Iran gibt nicht auf. Bisher wurden Aufstände der letzten Jahre vom Regime auf brutalste Weise niedergeschlagen. Könnte es diesmal anders verlaufen? Die Proteste seien in ihrer Art besonders, erklärt Islamforscher Walter Posch im krone.tv-Talk mit Jana Pasching. Es sei das passiert, was man so in dieser deutlichen Art noch nicht hatte. „Eine wirkliche Solidarisierung weit über die Grenzen der Konfession, der Geschlechter und Volksgruppen hinweg, die es in dieser klaren Art und Weise bis jetzt nicht gegeben hat.“ Und: „Die Wahl des Regimes könnte jetzt sein, zuzuschlagen, ich nehme an, dass das passieren wird.“ Das Problem werde dadurch nicht minimiert: „Mit Gewalt könnte man ein ideologisches Problem, dass die Frauen das Kopftuch ablegen, nicht lösen. Bei den Volksgruppen sieht es dann so aus, dass die bisher friedlichen sunnitischen Gruppen - immerhin ein Drittel der Bevölkerung im Iran - nicht mehr so friedlich sein werden.“

Bei den Kopftuchprotesten gehe es vor allem darum, eine Wahlfreiheit zu haben. Das sei auch der Grund, weshalb das Regime, bei aller Brutalität, noch nicht ganz zugeschlagen hat, weil das auch der Mainstream unter den Islamistinnen ist, erklärt Posch. „Die sagen, ich nehme das Kopftuch und zwinge aber niemanden anderen.“ Es handle sich im Iran um eine veritable, ideologische Krise. Dahinter stehe nur mehr ein Element im Regime, die auch bewusst die Sittenpolizei stellen und sagen: „Das gezwungene Kopftuch ist auch Zeichen unserer Macht.“ Dieses Element habe man bereits landesweit satt, so Posch.

Das zweite Element sei, dass es konfessionelle Dimensionen angenommen hat. Die sunnitischen Muslimen Irans, die religiösen Führer, beschweren sich bitter über das geistliche und staatliche Oberhaupt Ajatolla Ali Chamenei, über die Regierungsführung und über die Diskriminierung. „Das Land hat ein Drittel Sunniten und von den Sunniten darf niemand eine Führungsfunktion in der Polizei übernehmen. Sie sind von vorneherein aus dem Sicherheitsapparat ausgeschlossen“, so der Experte.

„Gesellschaft ist weiter, als Regime zugeben will“
Der dritte Punkt spiele sich auch ethnisch ab. Alle Volksgruppen, die Sunniten sind, haben niemanden in Teheran, der für sie intervenieren kann. Im Fall von Mahsa Amini seien alle drei Elemente zusammengekommen: Sie war Kurdin, Sunnitin und eine Frau. Diese wirkmächtige Solidarität zwischen Kurden und Sunniten sei bei den Protesten im Iran außergewöhnlich. „Hier sieht man eigentlich, dass der Fortschritt der iranischen Gesellschaft viel weiter ist, als das Regime zugeben will.“

Anschlag ohne Botschaft in Istanbul ist irritierend
Dass die Arbeiterpartei PKK jegliche Verantwortung zu dem Anschlag in Istanbul zurückweist, sei laut dem Islamforscher sehr ungewöhnlich. „Anschläge haben ja den Sinn, dass eine Botschaft verkündet wurde und das fehlt momentan, das ist das Irritierende.“ Man würde von Islamisten, von Linksextremen oder von der PKK irgendeine Erklärung erwarten. Es gäbe hier zwei Möglichkeiten: „Entweder sie haben wirklich nichts damit zu tun oder aber sie sind bei weitem nicht mehr so kohärent, nicht mehr so stabil und geschlossen, wie es bisher war.“

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