Das große Interview

Sind Sie ein Feindbild, Frau Maurer?

Persönlich
10.04.2022 06:00

Am Donnerstag wurde die grüne Klubobfrau Zielscheibe einer Attacke. Mit Conny Bischofberger spricht Sigi Maurer (37) über die aufgeheizte Stimmung, Hass und Solidarität, eine Abrüstung der Worte und Frauen als Vorbilder.

Nicht einmal 24 Stunden sind vergangen, seit Sigi Maurer in der Wiener Innenstadt von einem Corona-Leugner tätlich angegriffen wurde. Die Politikerin kommt von ihrem Büro im Grünen Klub des Parlaments herüber in den Volksgarten zum „Krone“-Interview. „Ich möchte eigentlich gar nicht viel zu diesem konkreten Fall sagen“, schickt sie voraus und nimmt auf einem der Sessel vor den Rosensträuchern Platz. „Zum Glück bin ich ja unverletzt geblieben, es geht mir gut.“ Sie schenkt dem Fotografen ein strahlendes Lächeln. In die Tiroler Sprachmelodie mischt sich Vogelgezwitscher.

„Krone“: Was war das am Donnerstag für eine hitzige Diskussion, dass dabei ein Glas geflogen ist?
Sigi Maurer: Es ist gar nichts diskutiert worden. Dieser Mann ist an unseren Tisch gekommen, hat gefragt, wie mein Tag war, und die Corona-Maßnahmen kommentiert. Das war es.

Was ging da durch Ihren Kopf?
Der Herr war offensichtlich ein Maßnahmengegner. Das war seine Motivation. Es zeigt die aufgeheizte Stimmung, die zum Teil auch sehr bewusst angefeuert wurde, von den Freiheitlichen zum Beispiel und der MFG. Es wäre wirklich sehr wichtig, abzurüsten. Den demokratischen Diskurs führen wir mit Worten, nicht mit Gewalt.

Warum richtet sich die Gewalt gegen Sie? Sind Sie ein Feindbild?
Ich habe in meiner politischen Karriere immer wieder Positionen bezogen, die vielen nicht schmecken. Aber das ist in einer Demokratie so. Es muss möglich sein, unterschiedliche Sichtweisen gesittet zu diskutieren. Mir war es immer wichtig, mich dabei nicht einschüchtern zu lassen.

Wäre das auch einem Mann passiert?
Das kann und will ich nicht beurteilen.

Vor vier Jahren haben Sie obszöne Nachrichten des „Bierwirts“ öffentlich gemacht und wurden von ihm geklagt. Der Mann hat später seine Lebensgefährtin ermordet. Haben Sie seither Angst?
Das war eine dramatische, unglaubliche Geschichte. Ich wurde ja zuerst verurteilt und dann zum Glück doch freigesprochen. Als er seine Ex-Freundin ermordet hat, erschienen diese Nachrichten noch einmal in einem anderen Licht. Aber ich bin grundsätzlich keine ängstliche Person. Ich bewege mich ganz normal in der Stadt, wie jeder andere auch.

Warum haben Sie keinen Personenschutz wie viele andere Politiker?
Das ist ja nichts, was man sich wünscht. Das ist eine Einschätzung des Verfassungsschutzes, er teilt das aufgrund der Bedrohungslage zu.

Sie haben sich beide Male gewehrt. Gegen den „Bierwirt“ vor Gericht und gegen den Corona-Leugner, indem sie ihn angezeigt haben. Ist es das, was Sie auch anderen betroffenen Frauen raten?
Ich würde immer Anzeige erstatten, weil auch die Polizei nur agieren kann, wenn man Hilfe holt und einen Vorfall meldet. Grundsätzlich muss aber jede Frau für sich entscheiden, wie sie mit Hass umgeht. Ich bin in einer sehr privilegierten Situation, ich kann mich wehren, ich habe Zugang zu Medien, ich kann mir eine gute Anwältin leisten. Viele Betroffene können das nicht und für sie ist es wichtig, dass wir das thematisieren, statt zu tabuisieren.

Tut die Polizei genug? Oder muss immer erst etwas passieren?
In den letzten Jahren sind wichtige Verbesserungen gelungen. Das „Hass im Netz“-Paket, die einfachere Wegweisung von Männern, das verpflichtende Anti-Gewalt-Training, mehr psychosoziale Betreuung, das sind alles wichtige Schritte. Die Schwierigkeit ist, dass oft nicht erkannt wird, wo das bereits beginnt.

Wo beginnt es?
Es beginnt mit Hassnachrichten, mit verbalen Beleidigungen. Daraus kann sich sehr schnell auch physische Gewalt entwickeln.

Überlagert das Thema Hass manchmal Ihre politische Arbeit?
Nein. Wir haben trotz multipler Krisen viele Punkte des Regierungsprogramms abgearbeitet. Klimaticket, CO2-Bepreisung, Steuerreform, ein Riesen-Entlastungspaket. Und die Zusammenarbeit mit ÖVP-Klubobmann Wöginger ist bestensEs gibt aber auch noch sehr viel zu tun, Stichwort Gleichberechtigung. Das ist nichts, was man irgendwann abhaken kann, das ist ein laufender Prozess.

Welche Frauen sind da Ihre Vorbilder?
Da gibt es sehr viele. Alle, die sich durchgesetzt haben, die aufgestanden sind und gezeigt haben, wie Männer behandelt werden und wie Frauen behandelt werden. Zum Beispiel Katia Wagner und Raphaela Scharf von krone.tv. Sie wehren sich gegen sexuelle Belästigung, das ist sehr mutig. Vor vier, fünf Jahren ist das noch unter den Teppich gekehrt worden und es passiert ja schon seit Jahrzehnten. Umso wichtiger ist der Zuspruch für solche Frauen. Aber auch im anderen politischen Lager gibt es mutige Frauen, etwa Maria Fekter mit ihrer Quotenrede.

Was war die erste Ungerechtigkeit, die Ihnen als Frau widerfahren ist?
Wirklich bewusst wurde mir das im Senat der Uni Innsbruck. Außer mir und der Vizerektorin bestand der Senat nur aus Männern. Und immer, wenn ich etwas gesagt habe, bin ich nicht gehört worden. Der alte Professor neben mir sagte dasselbe und ihm wurde applaudiert. Ich dachte mir, okay, vielleicht bin ich nicht klug genug oder nicht laut genug. Wie so oft bei uns Frauen habe ich den Fehler bei mir gesucht.

Wurden Sie dann lauter?
Nein, ich wurde hartnäckiger. Ich habe es einfach noch einmal gesagt und dann noch einmal. Und es hat funktioniert. Klein beigeben ist seither nicht meins.

Eine Stubaitalerin erobert Wien

Geboren am 19.3.1985 in Telfes im Tiroler Stubaital. Studium des „Orchideenfachs“ Musikwissenschaft an der Uni Innsbruck (nicht abgeschlossen) und arbeitet in vielen universitären Gremien mit. 2009 wird sie Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft und geht nach Wien, wo sie Soziologie studiert. Bei den grünen Listenwahlen setzt Maurer sich gegen sechs Männer durch - ein Novum in der Geschichte der Grünen. Ab 2013 Nationalratsabgeordnete, ab 2020 Klubobfrau des Grünen Parlamentsklubs.

Sie haben 2017 eines der meistgeteilten und provozierendsten Bilder im Netz geliefert. In der einen Hand das Sektglas, mit der anderen zeigen Sie den Mittelfinger. Haben Sie das bereut?
Ich glaube, der Zeitpunkt war sehr ungünstig, und ich verstehe, dass es missverstanden werden konnte. Inhaltlich stehe ich nach wie vor zu dieser Nachricht. Sie war an meine Hassposter gerichtet. Ich wurde damals geflutet mit Hasspostings, nachdem ich Peter Pilz kritisiert hatte. Und ich habe mich dagegen gewehrt. Das Ziel all dieser Attacken, auch jener vom vergangenen Donnerstag, ist immer, dass die Frauen still sind. Meine Nachricht war und ist: „Ihr kriegt mich nicht still. Ihr könnt mir noch so viele Vergewaltigungsdrohungen und Morddrohungen schicken, ich werde nicht klein beigeben, sondern weiterkämpfen.“

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt