Das große interview

Bilgeri: „Pazifik war mir näher als der Emsbach“

Vorarlberg
27.03.2022 07:00

In seiner neuen Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider bekannte und unbekannte Menschen aus Vorarlberg an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. Es sind Orte der Sehnsucht, der Schwärmerei, des Abenteuers und des Alleinseins. An diesen arkadischen Plätzen versucht er, dem nachzuspüren, was Glück ausmacht.

Die Luft ist eisig. Der Himmel wasserblau und verwaschen wie auf einem Aquarell von August Macke. Ich fahre an den Alten Rhein nach Hohenems, zu den Baggerlöchern, wo ich mit Reinhold Bilgeri verabredet bin. Er und sein Jugendfreund Michael Köhlmeier - die beiden kennen sich, seit sie vier Jahre alt waren - haben das Befinden einer ganzen Generation geprägt. Sie haben der „Anti-Kessler-Jugend“ von damals eine Stimme gegeben, gegen Enge und Dogmatismus gesungen und geschrieben, als Buben hier am Baggerloch von einer weiten Welt geträumt, die das Fremde nicht fürchtet, sondern als Bereicherung erlebt. Obwohl es nicht abgemacht war, tauchen nach einigen Minuten des Gesprächs plötzlich zwei andere Persönlichkeiten aus dieser Zeit auf - Walter Batruel und sein Freund „Django“, die hier seit Jahrzehnten bei Wind und Wetter ihr Wohnzimmer aufgeschlagen haben. Es ist fast wie ein „Flash-Back“ zurück in die frühen 70er-Jahre. „Er kann mit den Fischen sprechen“, flüstert mir Bilgeri zu und deutet auf Batruel. „Wenn Walter im Wasser steht, kommen sie angeschwommen und bleiben. Wie beim Hl. Franziskus.“

Robert Schneider: Reinhold, was ist Glück?
Reinhold Bilgeri: Das ist etwas Atmosphärisches. Ein Augenblick erfüllter Sehnsucht. Die Seele in Balance. Es gibt Kindheitseindrücke, die immer da geblieben sind und die Verbindung herstellen zu dem Wort Glück. Etwa der Blick hinauf in ein ganz dichtes Schneegewimmel. Oder die Vorweihnachtszeit. Die habe ich als so wattig und warm in Erinnerung. Kein innerer oder äußerer Feind am Horizont, obwohl ich noch französische Panzer vorbeifahren gesehen habe. Wir waren arm. Die Nazis haben meiner Mutter alles weggenommen, weil mein Vater im Krieg desertierte und bei den griechischen Partisanen gekämpft hat. Dennoch gab es in meiner Kindheit keinen Kometen, der meine Seelenruhe so völlig zerfetzt hätte. Und Wälder. Immer wieder Wälder. Das waren Fluchtpunkte, wo ich mit meinem besten Freund Miki (Anm.: Michael Köhlmeier) Abenteuer gesucht habe, obwohl wir das Wort noch gar nicht richtig aussprechen konnten. Wir haben hinter Michaels Haus einen Phantasiewald aus weggeworfenen Christbäumen gepflanzt. Zum Teil hing noch der Schmuck dran. Dort haben wir uns auf eine Reitente aus Holz gesetzt und uns Geschichten erzählt. Miki war damals schon ein begnadeter Erzähler. Wenn ich mehr Geschichten hören wollte, hat er mich erpresst. Ich musste zum Metzger Konstantin laufen und noch eine Wurstsemmel holen

Schneider:Wie hast Du diesen Ort am Wasser gefunden?
Bilgeri: Wasser und Wald bedeuteten für mich immer schon Weite und Mysterium, denn Miki und ich waren typische Ausreißer. Deshalb hat man uns auch in Internate gesteckt. Damit da endlich Ruhe ist. Meine Mutter war sehr religiös und mein Vater streng. Eine Lehrerdynastie. Dennoch schien immer die Liebe durch alle Strenge hindurch. Wenn ich die beiden an der Schlafzimmertür belauscht habe, hörte ich sie in Babysprache miteinander flüstern. Ich wollte aber nicht wie Miki zu den Kapuzinern ins Fidelis-Heim nach Feldkirch. Also landete ich im Xaverius-Haus, um Weltpriester zu werden, weil ich wusste, dass die „Missionare vom kostbaren Blut“ nach Brasilien gehen. Und in Brasilien gab es wunderschöne Frauen, das wusste ich auch. Die Worte Welt und Frauen gefielen mir. Schon damals. Also wollte ich Weltpriester werden, weil mir damals eine Alternative noch verwehrt war. Die Zeit hier, am Baggerloch, das war dann in den frühen 60er-Jahren. Das war auch die Zeit mit Walter Batruel.

Schneider: Warst Du als Kind mehr der Anführer oder der Geführte?
Bilgeri: Ich bin ein Widder. Wollte immer die Zügel in der Hand behalten. Mit dem Kopf durch die Wand. Obwohl ich nicht an Sternzeichen glaube, ist das anscheinend bei mir wirklich so. Darum habe ich auch mit allen Institutionen Probleme gehabt. Ich bin bei den Pfadfindern rausgeflogen, bei der Jungschar, aus dem Heim. Ich war relativ angstfrei, was nicht immer gut für mich war.

Schneider: War das Baggerloch mit seinen versteckten Plätzen auch der Ort der ersten Verliebtheit?
Bilgeri: Natürlich. Ich habe damals im Fernsehen die Beatles in Salzburg aus dem Flugzeug steigen gesehen und die kreischenden Mädchen auf dem Dach des Flughafens. Da wusste ich: That’s it! Wie komme ich zu einer Frau? Doch nur durch die Musik. Denn gut ausgesehen habe ich nicht. Also Gitarre in die Hand, üben. Und es hat wirklich funktioniert. Mit fünfzehn hatten Miki und ich den ersten Auftritt im „Sternen“ in Frastanz. Wir hießen „The Blacks“. Danach saß wirklich die Kellnerin bei mir auf dem Schoß. Ein Wunder. Damit war mein Leben gerettet. Rückblickend war der Auftritt im „Sternen“ einer der größten Triumphe meines Lebens.

Schneider: Wann hat dieser Ort seine Bedeutung für dich verloren?
Bilgeri: Oh, lange nicht. Ich habe dort meine Kindheit gewissermaßen verlängert. Ich war sechsundzwanzig, habe schon am Gymnasium unterrichtet und saß immer noch tagelang am Baggerloch. Aber mit dem Wissen: Ich hau jetzt gleich ab, weil Hohenems-Feldkirch und retour ist nicht mein Leben. Nach vier Jahren war es dann so weit. Ohne Plattenvertrag, nur mit dem Wissen, ich werde ein Popstar - sowas wird man nicht, das ist man, hier im Herzen drin -, habe ich den Job hingeschmissen. Von da an war das Baggerloch Geschichte. Ab und zu komme ich noch her, um das Heimweh abzustreifen, obwohl mir der Pazifik näher war als der Emsbach. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Am Ende werde ich von Tag zu Tag dankbarer für das, was ich erleben und ausleben durfte. Meine Kreativität. Und es wurde noch ein Erfolg dazu. Ich hatte einfach unfassbares Glück!

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