Will ins Kloster

Belgien: Komplizin von Mörder Dutroux kommt vorzeitig frei

Ausland
10.05.2011 16:48
Sieben Jahre nach ihrer Verurteilung kann die Komplizin und Ex-Frau des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, Michelle Martin, nach rund 15 Jahren Haft vorzeitig entlassen werden. Generalstaatsanwalt Claude Michaux sagte am Dienstag im wallonischen Mons, er werde die Gerichtsentscheidung zur Freilassung vom Montag nicht anfechten, da diese keine formalen Fehler aufweise. Nur so hätte die Staatanwaltschaft eine Handhabe für eine Revision gehabt. Inhaltlich sei er mit der vorzeitigen Entlassung aber nicht einverstanden, betonte Michaux.

Damit kann Martin freigelassen werden, sobald sichergestellt ist, dass die Bedingungen für einen Resozialisierungsplan gewährleistet sind. Die 41-Jährige will sich laut eigenen Angaben in ein französisches Kloster zurückziehen. Dazu müssten aber zunächst mit Frankreich die Bedingungen der Aufnahme geklärt werden, sagte der belgische Justizminister Stefaan De Clerck am Dienstag mehreren Radiosendern. Nach Informationen der Zeitung "Le Soir" ist daher wahrscheinlich frühestens in einigen Wochen mit einer Freilassung zu rechnen.

In einem der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte waren Dutroux und Martin im Sommer 1996 festgenommen worden. Dutroux war im Juni 2004 in einem spektakulären Prozess wegen der Entführung von sechs Mädchen und wegen dreifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Das Verfahren hatte in ganz Belgien Betroffenheit über die Grausamkeit des Missbrauchs in einem von Dutroux selbst gebauten Kellerverlies ausgelöst. Martin wurde als Mittäterin zu 30 Jahren Haft verurteilt. Weil sie bereits seit 1996 inhaftiert ist, hat sie mittlerweile die Hälfte des Strafmaßes verbüßt.

"Sie ist noch schlimmer als Dutroux"
Schockiert über die bevorstehende Entlassung Martins reagierte der Vater der achtjährigen Julie Lejeune, die im Keller Dutroux' verhungert war, weil dessen Ehefrau ihr keine Nahrung mehr brachte. "Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell wieder freikommt", sagte er. Michelle Martin habe drei Monate lang dem Verhungern seiner Tochter zugesehen und bekomme nun eine Chance auf ein neues Leben: "Sie ist noch schlimmer als Dutroux."

Ein Anwalt, der die Eltern von Eefje Lambrecks (19) vertritt, deren Leiche in Dutroux' Garten gefunden wurde, sagte, die Familie sei "enttäuscht" über die vorzeitige Freilassung: "In einem Fall dieser Art ist es zu schnell, wenn man nach Verbüßung der halben Strafe schon wieder auf freien Fuß kommt."

Thierry Bayet, Anwalt von Martin, betonte hingegen, ein Einspruch der Staatsanwaltschaft gegen die Haftentlassung sei nur möglich, sofern es einen Rechtsfehler gegeben habe. Es sei nicht sicher, dass die Resozialisierung der Frau glücke: "Wie bei jedem Häftling ist das eine Herausforderung."

Das Trauma der belgischen Nation
Der Fall Dutroux hatte eine Staatskrise ausgelöst. Am 13. August 1996 versank Belgien in einen Albtraum. Zwar gab es zunächst noch Anlass zur Freude, als die Polizei aus einem Kellerverlies auf einem Anwesen des vorbestraften Elektrikers die zwölfjährige Sabine Dardenne und die 14-jährige Laetitia Delhez befreite. Doch nur drei Tage später fand sie auf einem anderen Grundstück die Leichen der vermissten achtjährigen Mädchen Julie Lejeune und Melissa Russo sowie eines Komplizen, Bernard Weinstein, nachdem Dutroux selbst den Hinweis gegeben hatte.

Wiederum zwei Wochen später entdeckte man auf einem weiteren Grundstück die Leichen der 19-jährigen Eefje Lambrecks und der 17-jährigen An Marchal. Alle vier waren seit über einem Jahr als vermisst gemeldet. Sie waren nicht nur misshandelt worden, sie mussten in ihren Kellergefängnissen elendiglich verdursten und verhungern.

Totalversagen der Behörden
Die Geschichte des Pädophilen Marc Dutroux ist nicht nur die Geschichte eines besonders kaltblütigen Kriminellen, sondern auch die eines Totalversagens der Behörden. So wurde nach den vermissten Mädchen nur halbherzig gesucht. Während einer Hausdurchsuchung bei Dutroux hörte ein Beamter Kinderstimmen aus dem Keller, er ging der Sache jedoch nicht weiter nach: Bei etwas mehr Gewissenhaftigkeit von Seiten der Behörden hätten Julie und Melissa überleben können. Bisweilen behinderten sich Polizei und Gendarmerie gegenseitig bei den Ermittlungen. Die Eltern selbst ließen Plakate drucken, um auf das Verschwinden ihrer Töchter aufmerksam zu machen.

Nach der Verhaftung von Dutroux ging die Pannenserie weiter. Ein engagierter Ermittlungsrichter musste nach der Teilnahme an einer Benefizveranstaltung für die Opfer seinen Stuhl räumen und wurde von einem unerfahrenen Richter ersetzt, der vielen Spuren offenbar nicht nachging und Beweise nicht zuließ. Die Ablösung des beliebten Jean-Marc Connerotte führte zum so genannten Weißen Marsch, der größten Demonstration, die Belgien jemals gesehen hatte. 300.000 Menschen nahmen teil. Der neue Richter Jacques Langlois war von Anfang an überzeugt, dass es sich bei Dutroux um einen Einzeltäter handelte. Daher ließ er Mutmaßungen außer Acht, dass Dutroux nur der verlängerte Arm eines Pädophilen-Netzwerkes sein könnte, in das auch ranghohe belgische Funktionäre verstrickt gewesen sein sollen.

Rätselhafter Tod von zahlreichen Zeugen
Verbindungsglied soll der zwielichtige Brüsseler Geschäftsmann Michel Nihoul gewesen sein, der im Dutroux-Prozess neben Martin und dem Komplizen Michel Lelievre mitangeklagt war und schließlich wegen Drogen- und Menschenhandels zu fünf Jahren verurteilt wurde. Noch in seinem Schlussplädoyer vor dem Schwurgericht in Arlon beteuerte Dutroux, er sei kein Mörder, sondern nur Teil einer Mafia, die unter dem Schutz von Polizei und Behörden ihr Unwesen getrieben habe. Unbehagen löste der Tod von mehr als zwei Dutzend Zeugen aus, die während der Beweisaufnahme auf mehr oder weniger ungeklärte Art starben.

Als Behördenversagen einzuordnen ist schließlich auch die Flucht des Verbrechers aus der Untersuchungshaft im April 1998. Vier Stunden später wurde er zwar bei einem polizeilichen Großeinsatz wieder gefasst, doch führte seine Flucht zum Rücktritt von Innenminister Johan Vande Lanotte,Polizeichef Willy Deridder und Justizminister Stefaan de Clerck, der allerdings 2007 seinen Job zurückerhielt.

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