Nach 19 Jahren als Stadtchef und 24 Jahren im Grazer Rathaus zog Siegfried Nagl in einer Abschieds-Pressekonferenz Bilanz über seine lange Politkarriere. Im Anschluss gab er der „Steirerkrone“ ein letztes großes Interview.
„Krone“: Haben Sie den 26. September eigentlich schon verdaut?
Siegfried Nagl: Natürlich habe ich den schon verarbeitet - weh tut’s trotzdem. Damit hat niemand gerechnet, auch ich nicht. Aber ich denk mir, alles im Leben hat einen Grund, und man weiß nie, ob es gut ist oder schlecht ist. Ich verliere etwas, was ich wirklich leidenschaftlich und gern gemacht habe, und gewinne etwas, wofür ich zu wenig Zeit hatte.
Ich verliere etwas, was ich wirklich leidenschaftlich und gern gemacht habe, und gewinne etwas, wofür ich zu wenig Zeit hatte.
Siegfried Nagl
Wann am Wahltag haben Sie gewusst: Das wird sich nicht mehr ausgehen?
Bei der letzten Hochrechnung, die bei 26,5 Prozent stand, hab ich gewusst: Da ist ordentlich was verrutscht, das wird’s dann auch gewesen sein, wir werden den ersten Platz verlieren. Und so ist es dann auch gekommen.
Wie war das Aufwachen am Montag nach der Wahl - Erleichterung oder Trauer?
Ich schlafe prinzipiell immer gut - aber in dieser Nacht hab ich wenig geschlafen und viel Kopfweh hat mich begleitet. Der Abend war schmerzvoll, aber so ist Politik, ich hab mir das so ausgesucht. Ich war viermal Sieger, einmal Zweiter - und nach einem Morgenlauf ist alles wieder leichter gewesen.
Wie viele Anrufe und SMS hatten Sie in den Tagen nach der Niederlage?
Das ist immer noch nicht abgerissen. Ich bekomme jeden Tag Briefe und Anrufe. Das Schöne ist auch, dass Menschen auf der Straße zu mir gehen und sagen: „Danke, wir schätzen das, was Sie gemacht haben.“ Das tut schon gut - ich muss mich also nicht aus dem Rathaus stehlen, sondern gehe stolz und dankbar heraus. Diese Aufgabe war für mein Leben bereichernd. Ich schaue gerne zurück, gehe aber dem, was jetzt kommt, freudig entgegen. Was immer das auch sein wird.
Ich muss mich nicht aus dem Rathaus stehlen, sondern gehe stolz und dankbar heraus.
Siegfried Nagl
Haben Sie auch persönliche Enttäuschungen erlebt?
Nein, ich bin nicht enttäuscht worden. Es war keine Häme da und kein Abwenden.
Wie ist Ihre Gesprächsbasis mit Elke Kahr - gab es eigentlich schon eine inoffizielle Amtsübergabe?
Ich hatte schon zwei Gespräche mit ihr. Die sind soweit positiv verlaufen. Ein Gespräch mit einer ordentlichen Amtsübergabe wird natürlich folgen, wenn Elke Kahr gewählt ist. Auch einige Projekte, die noch in der Pipeline stecken, werde ich der neuen Stadtregierung übergeben.
Glauben Sie, wie Finanzstadtrat Günter Riegler, dass die neue KPÖ-Grüne-SPÖ-Koalition die Schulden der Stadt explodieren lässt?
Ich gehöre nicht zu denen, die im Nachhinein noch große Empfehlungen abgeben werden. Dafür gibt es andere Politikerinnen und Politiker, die jetzt weitermachen. Ich werde dazu keinen Kommentar abgeben. Ich wünsche aber allen alles Gute. Alles, was für Graz gelingt, wird mich weiter freuen. Und alles, was schiefgeht, wird mich auch begleiten - das wirst du nicht mehr los.
Wie kommentieren Sie den Ruf der KPÖ im Ausland?
Ich kann mit Kommunismus nichts anfangen - und habe auch immer dagegen gekämpft. Dabei bleibt es.
Was waren die schönsten Momente in Ihrer Karriere?
Die Begegnungen mit den Kindern im Rathaus. Da war immer so viel positive Energie da, so viel Freude.
Ist für Sie ein Polit-Comeback völlig ausgeschlossen?
Im Moment ist in meinem Lebensbuch noch alles leer und ich muss erst neue Kapitel schreiben. Mal sehen.
Dann zitiert Nagl aus Hesses Gedicht „Stufen“: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe/Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,/Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern/In andre, neue Bindungen zu geben.“
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