Album „Wiener Zucker“

Kahlenberg: Dekadenz mit Witz und doppeltem Boden

Musik
14.10.2021 06:00

Warum nicht auch einmal das edle und mondäne Wien besingen und sich vom Pöbel abheben? Diesem Gedanken folgend gründete Frank Hoffmann vor fünf Jahren seine Band Kahlenberg, die sich auf dem Zweitwerk „Wiener Zucker“ zu einer eigenständigen Mischung aus Dekadenz, Austropop und Ironie entwickelt. Im großen Interview sprachen Hoffmann und Neuzugang Dominik Beyer über Reichtum, Unsicherheiten und wieso viel mehr als nur Glanz und Gloria in der Band stecken.

(Bild: kmm)

Sich als Wiener Pop-Act vom Gros der Konkurrenz zu emanzipieren ist nicht leicht, doch wer sich im Luxus suhlt, der ist auch Luxusprobleme gewohnt. Der 484 Meter hohe Kahlenberg trennt nicht nur die Nobelgebiete Döbling und Klosterneuburg und war eine neuralgische Stelle bei der Zweiten Türkenbelagerung anno 1683, sondern dient auch als namensgebende Heimat für ein Gespann dekadenter Dandys, das ihre Form von folkloristisch anmutender Austropop-Gestik im Segment der oberen Zehntausend verortet sieht. Als Bandchef Frank Hoffmann das Projekt vor fünf Jahren startete, war der Produzent noch aus der Elektronik und der Gesamtsound etwas rauer. Das 2019 veröffentlichte Debüt „Dirty Penzing“ als kantig zu bezeichnen würde der Sache freilich nicht gerecht werden, dafür waren Gestik und Theatralik schon damals viel zu edel ausgeprägt. Kahlenberg bedienen sich nämlich derer Stilmittel, die man aus dem hemdsärmeligen Wien sonst nicht kennt: anstatt sich zwischen Favoriten und Transdanubien zu bewegen, wird hier bewusst dem mondänen Glanz des Wiener Westens gefrönt. Und der besteht eben nicht aus Burenhäutl und Sechserblech, sondern aus Belugakaviar und einem Schluckerl Dom Perignon.

Dieselben Geschichten
Aber Vorsicht! Ironie, Sarkasmus und Doppelbödigkeit verstecken sich hinter jedem Winkel und auch wenn Kurt Cobainzl, Monaco und Co., wie sich die illustren Herren als künstlerische Alter Egos gerne benennen, dem lasterhaften Lotterleben huldigen, verstecken sich auch Unsicherheiten und so manch ausufernde Egoismen hinter den Texten des brandneuen Zweitwerks „Wiener Zucker“. „Es muss immer Platz für Interpretationsmöglichkeiten und Zwischenräume geben“, erklärt Sänger Frank Hoffmann im „Krone“-Interview, „meine Lieblingssongs funktionieren auch so: man hat immer die Hoffnung, dass man einen Song endlich richtig erfasst hat und kommt dann leider drauf, dass dem doch nicht so ist.“ Dass sich Kahlenberg der urbanen Hautevolee bedient, ist freilich ein ausgeklügeltes Konzept, gab es schließlich gerade dort noch Aufholbedarf. „Im Prinzip besingen wir dieselben Geschichten. Nur statt Bier geht es um Champagner und statt H&M um Gucci.“

Die schon seit Anbeginn der Band attestierte Nähe zu den Megasellern Wanda nehmen Kahlenberg sportlich, dass man nun aber Wandas Haus- und Hofproduzent Paul Gallister an die Regler ließ, wird die ewigen Vergleiche nicht unbedingt stoppen können. „Einerseits fühlen wir uns dadurch geschmeichelt, andererseits wollen wir natürlich ein eigenständiger Act sein“, erläutert Hoffmann, „ich verstehe die Menschen schon, ich brauche ja selbst Zuordnungen, wenn ich eine neue Band höre. Die Leute werden schon schnell merken, dass wir anders ticken.“ Gallister hat Kahlenberg auf „Wiener Zucker“ jedenfalls eine Art „Signature Sound“ auf den Leib gezimmert, der ihnen nun die Identität gibt, die bislang noch nicht allzu klar erkennbar war. Mit Songs wie der Kitzbüheler High-Society-Hymne „Hahnenkamm“, „Schwarzes Kameel“ oder „Nobel geht die Welt zugrunde“ finden Kahlenberg zunehmend in das Ohrwurm-Segment, auch wenn in punkto Hitdichte noch mehr möglich ist.

Vielseitig und ambivalent
Zwischen Album eins und zwei haben sich nicht nur Klang und Produzent, sondern auch ein erklecklicher Teil der Besetzung verändert. Neuzugang Dominik Beyer aka Monaco hat man etwa aus München verpflichtet. Die augenzwinkernde Bandgeschichte vermittelt, dass man ihn via Kitzbühel vom Münchner Nobelvorort Grünwald auf den Kahlenberg transferierte. „Wenn man den Wiener Zucker einmal geschmeckt hat, inspiriert und beeinflusst das den ganzen Lifestyle“, lacht der Musiker, der die Eigenständigkeit Kahlenbergs betont wissen will, „wir lassen uns sicher nicht von wirtschaftlicher Vermarktbarkeit fehlleiten. Kohle haben wir ja eh genug, deshalb können wir das tun, was Spaß macht.“ Der titelgebende „Wiener Zucker“ ist dabei gleich vielseitig und ambivalent, wie Texte und Optik. „Ich habe eine Alltagsgeschichte von Spira gut in Erinnerung“, lacht Hoffmann, „da war eine zuckerkranke Frau, die sich eine Cremeschnitte nach der anderen eingeworfen hat und Suizid auf Raten beging. Zudem ist der ,Zucker‘ in Wien und Österreich generell die Droge Nummer eins und metaphorisch typisch wienerisch ist es, überall ein bisserl Zucker drüberzustreuen. So werden auch die hässlichen Dinge wieder genießbar.“

Wenn man sich am offenkundig ironischen Hedonismus vorbeischlängelt, bekommt man durchaus sozial- und gesellschaftskritische Botschaften ins Ohr geliefert. „Schöner Mann“ zeigt mit Ernst Moldens sonorer Stimme die Sinnlosigkeit des faden Daseins auf und einen Track wie das abschließende „Luv und Lee“ wäre in seiner depressiv anmutenden Unsicherheit auf „Dirty Penzing“ noch nicht vorstellbar gewesen. „Es ist der therapeutische Moment des Albums“, so Hoffmann, „man weiß nicht, wo die Reise hingeht und deshalb schließt der Song das Album ab. Wie wird unser drittes Album? Gibt es überhaupt noch eines? Diese Fragen werden nicht beantwortet.“ Die Metapher, dass sich die gesättigten Reichen mit dieser Art von Abenteuer und Unsicherheit noch einmal spüren wollen, ist durchaus gegeben. „Andere Menschen müssen schauen, wie sie im Leben vorankommen, aber wir müssen den Sinn des Lebens anders finden. Musikmachen und Musikschreiben sind unsere Mittel, um uns zu spüren. Es ist nicht leicht, wenn du den ganzen Tag nichts zu tun hast und ein Riesenmeer an Zeit vor dir liegt.“

Zwischen Heldentum und Beleidigung
Dass eine Band wie Kahlenberg aneckt, haben die Mitglieder indes schon am eigenen Leib erfahren. „So ein Projekt trennt die Spreu vom Weizen“, erinnert sich Beyer, „es trifft genau meinen Humor und mein Ironieverständnis, aber bei meinen Freunden teilen sich die Meinungen. Dadurch ist die ganze Band aber auch kein Wegwerfprodukt, das sich gerade einer gewissen Mode anbiedert.“ Hoffmann hat schon vor Beyers Einstieg leibhaftig erlebt, wie polarisierend seine Band auf andere wirken kann. „Selbst in Döbling teilen sich die Menschen in treue Fans und erbitterte Gegner. Bei einem Konzert am Kahlenberg stürmte eine wutentbrannte Döblingerin den Auftritt und wollte das Konzert abbrechen. Da musste sogar die Polizei eingreifen. Manche feiern uns als Helden des Bezirks, für andere sind wir eine einzige Beleidigung. Wir wollen aber nicht Schiedsrichter spielen, sondern schauen uns einfach in Ruhe an, was wir mit unserer Musik bewirken.“

Kahlenberg lassen auf „Wiener Zucker“ auch Momente der Unsicherheit und schwächere Phasen zu. Nicht alles was glänzt ist aus Gold, auch davon wissen die vermögenden Schnösel in ihren Paul-Smith-Hemden zu berichten. Ein prägnantes Stilmittel ist freilich auch die visuell mitschwingende Berufung auf das edle und monarchische Wien zur Jahrhundertwende. „Das Album reflektiert auf die Salongesellschaft“, erklärt Hoffmann, „dort ist das Biotop, wo unsere Wurzeln liegen. Die Zeit um die Jahrhundertwende fasziniert mich in vielerlei Hinsicht und besonders künstlerisch. Damals und heute ähneln sich in gespenstischer Art und Weise. Es liegt eine ähnliche Stimmung in der Luft und ich hoffe, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und einen anderen Ausweg finden. Gewisse Zukunftsfragen werden in der Gesellschaft immer dringlicher und es ist nicht leicht, alles so einfach in ein Hirn zu packen. Die ästhetische Flucht, die die Wiener Kunstszene mit ihrer sezessionistischen Bewegung gründete, machen wir im Prinzip auch - nur etwas anders. In unseren Texten sind sehr viele Dinge vergraben, die man auf den ersten Eindruck nicht so leicht findet.“

Release-Show in Wien
Wer noch tiefer in die Welt von Kahlenberg und ihrem famosen zweiten Album „Wiener Zucker“ eintauchen will, hat heute Abend, 14. Oktober, die Chance dazu bei der offiziellen Album-Releaseshow im Wiener Chelsea. Dazu haben sich auch ein paar noch ungenannte Gaststars angekündigt. „Wir verraten aber nicht welche und wollen damit den Beweis antreten, dass wir nicht nur die einsamen abgehobenen Typen aus Döbling sind, sondern auch Freunde aus anderen Gegenden haben. Für einen Abend können arm und reich miteinander tanzen“, lacht Hoffmann. Alle weiteren Infos und Karten finden sie auf www.tixforgigs.com oder heute noch an der Abendkassa.

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