Senkrechtstarter

Jazzbois: Mit Sportzigaretten zum Chillout-Sound

Musik
13.10.2021 06:00

Zwischen Jazz, Hip-Hop, Lounge, Elektronik und Fusion mäandern drei junge Budapester mit dem Namen Jazzbois. Auf ihrem Zweitwerk „Jazzbois Goes Blunt II“ stellen sie das Improvisatorische zugunsten einer basischeren Zugangsweise zurück. Bassist und Sprachrohr Viktor Sági erzählte uns am Rande ihres Auftritts beim Wiener Waves Festival, wie es zu zu diesem eklektischen Soundbild kam und was noch alles möglich ist.

(Bild: kmm)

Smoother Jazz verbunden mit kantigen Hip-Hop-Zitaten, moderner Elektronik und einer artifiziellen Lounge-Kante, die keinesfalls nach Kaufhausfahrstuhl riecht - so oder ähnlich kann man den eklektischen und gleichermaßen spannenden Sound der Jazzbois zusammenfassen. Das Trio aus Budapest hat sich innerhalb kürzester Zeit eine erkleckliche Fanbase erarbeitet, wird konstant und immer stärker auf Spotify gestreamt und tourt auch in Corona-Zeiten so viel wie möglich quer durch Europa. Auch wenn das nicht immer so ganz ohne Tücken geht, denn die drei jungen Herren sind zwar allesamt schon lange durchgeimpft, Bandsprachrohr Viktor Sági hat sich aber für den in seiner Heimat populären Sputnik-Stoff entschieden, der ihn vor zusätzlichen Tests nicht befreit. Soll nichts Schlimmeres passieren. Wie sehr der oszillierende Sound des Trios begeistern als auch paralysieren mag, das haben unlängst die Besucher des Wiener Waves Festivals erlebt. Dort war die Canisiuskirche der perfekte Hintergrund für die anregend-entschlackten Songs - obwohl Moog-Spieler und Keyboarder Bencze Molnár noch am selben Tag in Budapest heiratete!

Auf die Piste
Molnár und Drummer Tamás Czirják haben sich schon auf der Musikuni kennengelernt und sind auch noch in anderen Gebieten unterwegs. Bassist Sági stieß wenig später dazu und mittlerweile spielt das Trio in zwei verschiedenen Bands. Mit den Jazzbois nähert man sich in großen Schritten dem internationalen Durchbruch, das Zweitprojekt Amoeba lässt die Jazz-Anleihen eher beiseite und konzentriert sich auf Neo-Disco und Future-Soul. Eher eine Sommerfestivalband, wenn man so will, aber von nicht minder genialer klanglicher Kreativität durchzogen. Vor etwa fünf Jahren begann man zusammen zu spielen und trat überall auf, wo es nur möglich war. Von der Straße bis hin zum Jugendklub, jede Chance wurde genutzt. „Wir haben immer improvisiert und gejammt“, erklärt Sági das Grundkonzept der Band, „bei uns passiert alles ohne Vorplanung. Wir kommen zusammen, folgen unseren Instinkten und spielen dann einfach drauflos.“

Politische Diskussionen wollen die Jazzbois erst gar nicht führen. Auch wenn die Außenwirkung Ungarns in Westeuropa eine fatale ist, sticht die Landeshauptstadt deutlich heraus. Budapest ist nicht nur die inoffizielle Filmhauptstadt des Kontinents, tolerant und weltoffen, sondern auch ein nicht versiegender Inspirationsquell für Musiker jedweder Couleur. Als die Band 2019 bei einem Festival in der Heimat auftrat, kam der lokale Veranstalter auf sie zu und fragte, ob sie die Musik nicht auch mal aufnehmen möchten. So entstand das wegweisende und längst über die Landesgrenzen hinaus strahlende Debütalbum „Jazzbois Goes Blunt“, das, wie es der Name schon verrät, unter dem Einfluss von inspirierenden Sportzigaretten entstand. All das live, in einer mehrstündigen Session, ohne doppelten Boden. „Das war wirklich verrückt, aber so funktionieren wir“, lacht Sági, „wir haben genau das auf Platte festgehalten, was wir fühlten, spürten und was in diesem Moment aus uns rauskam. Allein schon deshalb lässt sich dieses Konzept nicht mehr wiederholen.“

Gelernt wird danach
Die Fusion-Ära der 70er-Jahre prägte das junge Gespann nachhaltig. Künstler wie Karriem Riggins, Madlib, die Floating Points oder Mansur Brown sind Namen, auf die sich die drei Musiknerds ohne Umschweife einigen können. Dass das Debüt einige Fehler aufweist und der Sound nicht immer perfekt klingt, stellt die Jazzbois zwar nicht zufrieden, stört sie aber auch nicht weiter. Die eigene Ästhetik des Albums ist für immer auf Vinyl gebrannt und damit ein erlebbares Zeitdokument, wie es in der Form nur wenige Bands ihr Eigen nennen dürfen. „Das Lustige an dieser Arbeitsweise ist, dass wir die Songs dann für Livekonzerte quasi lernen mussten. Wir spielen instinktiv und übten die Platte nachdem sie fertig war. Wir haben unsere Instrumente und bestimmte Effekte, die feststehen, aber der Rest passiert aus dem Tun und so ist jeder Abend auf einer Bühne anders.“ Das sei laut Sági auch der Jazz-Zugang der Jazzbois. Sich Freiräume zu genehmigen und die Musik fließen zu lassen.

Für das vor wenigen Wochen erschienene Zweitwerk „Jazzbois Goes Blunt II“ haben sich die Ungarn aber doch einer etwas konventionelleren Methode bedient. „Anstatt drei Stunden haben wir uns jetzt acht oder neun Sessions gegönnt und uns deutlich mehr Zeit gelassen. Das Album ist ein bisschen runter und insgesamt etwas musikalischer ausgefallen. Wir sind nicht mehr so Beat-orientiert vorgegangen, sondern wählten einen basischeren Weg.“ „Jazzbois Goes Blunt II“ wirkt noch immer bereichernd und entspannend, setzt sein Seelenheil in Songs wie „Lockdown Drive“ oder „Comedown“ aber deutlich mehr in Beruhigung, denn in Verzückung. Die Corona-Anleihen sind freilich unverkennbar, doch bei den Jazzbois passiert die Magie immer in der physischen Gemeinschaft. Umso wichtiger war ihnen auch das sofortige Zusammenspiel nach den erzwungenen Tagen der Isolation, das dem neuen Werk eine hörbar verbindende, inklusive Richtung verleiht. Die Jazzbois gehen auf ihren Alben rein instrumental ans Werk und die jeweiligen Songtitel spiegeln die Kraft des Klanges am besten wider.

Alles ist möglich
Wobei es außerhalb der beiden Studioalben auch schon Features gab. Etwa mit dem australischen Hip-Hop-Duo INQ., dem US-Rapper Kid Abstrakt oder der ungarischen Sängerin Sena. „Wir haben schon überlegt ein komplettes Feature-Album zu machen, aber derzeit denken wir noch rein instrumental. Oder etwas mit Rappern. Wenn eine Stimme zu unserem Sound passt, dann die eines MCs - aber wir sind natürlich offen für alles.“ Diese offen zur Schau gestellte Ungezwungenheit gibt den Jazzbois auch künftig die angenehme Freiheit, sich in alle Richtungen orientieren zu können. Auch wenn ein gewisser bekannter Grundsound natürlich eine Erwartungshaltung mit sich bringt. „Solange wir ehrlich zu uns selbst sind und Spaß haben, ist alles okay. Wir alle können, wenn wir unsere unterschiedlichen Jobs und Bands zusammenzählen, von der Musik leben. Wir wollen uns nicht drängen lassen und vertrauen unseren musikalischen Pfaden. Wenn dieser Pfad einmal zu größerem Erfolg führt, dann nehmen wir das gerne an.“ Wenn ihr die richtige Chillout-Musik vom Alltagsstress sucht - hier werdet ihr fündig!

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