Album & Gespräch

Dennis Lloyd: Vermittler verschiedener Kulturen

Musik
07.07.2021 06:00

Von seinem Welterfolg mit der Single „Nevermind“ wusste der Israeli Dennis Lloyd anfangs gar nichts, weil Spotify in seiner Heimat nicht existent war. Fünf Jahre später veröffentlicht er endlich sein Debütalbum „Some Ways“ und spricht mit uns über das Aussteigen, seine Liebe zum Grunge und den Kampf gegen antisemitische und politisch hasserfüllte Strömungen.

(Bild: kmm)

„One-Hit-Wonder“ - der absolute Todesbegriff für jeden Musiker. Die perfekte Umschreibung für die Brutalität einer ganzen Industrie, die aus dem Stand in den Himmel jubeln und dann mit Vollkaracho wieder auf die Erde fallen lassen kann. Von diesem Terminus war Dennis Lloyd glücklicherweise immer recht weit entfernt, aber dass es zwischen seinem rasanten Welterfolg „Nevermind“ und dem Debütalbum fast fünf Jahre gebraucht hat, das haben so manche Fans mit steigender Sorge betrachtet. Als er den Track im Winter 2016 veröffentlichte, ahnte der damals 23-Jährige noch nicht, welche Auswirkungen das haben sollte. Seine eigene Remix-Version eroberte die Spotify-Charts, wurde dort mehr als 500 Millionen Mal gestreamt und - mit etwas Verspätung - 2018 von der renommierten „Time“ zu den wichtigsten „Songs Of Summer“ gewählt. In zwei Ländern durfte er sich auch über einen ersten Platz in den Single-Charts freuen: seiner Heimat Israel und Österreich.

Markante Unterschiede
Wer sich jetzt über Herkunft und Name wundert - Dennis Lloyd heißt eigentlich Nir Tibor und hat sich das künstlerische Pseudonym einerseits gegeben, um seinen Hörern zu vermitteln, ihn bereits zu kennen, andererseits, um auch in der arabischen Welt zu reüssieren. „Ich wollte dort mit meinem echten, jüdischen Namen nicht boykottiert werden“, erzählt er der „Krone“ und fügt lachend hinzu, „das hat zum Glück gut funktioniert, denn sie spielen meine Songs auch in Dubai und in Katar.“ Zudem unterscheiden sich Dennis Lloyd und Nir Tibor schon alleine vom Typ her. Der eine ist der exaltierte Bühnenstar, der mit wenig Berührungsängsten und stilistischer Vielfalt die Popwelt erobern will. Der andere ist ein Familienmensch mit viel Hingabe zu seinen Freunden, dessen Traumvorstellung es eigentlich ist, in einem einsamem Waldhäuschen an Songs zu arbeiten.

Als sich „Nevermind“ vor ein paar Jahren so erfolgreich durch die virtuellen Weiten schlug, wusste Lloyd gar nichts davon. „In Israel gab es Spotify anfangs noch gar nicht. Erst als mich Sony Music kontaktierte und ich mich fragte, wie die mich überhaupt gefunden haben, merkte ich, dass ich quer über den Globus in allen möglichen Charts war.“ Mit dem Plattenvertrag folgten weitere, durchaus erfolgreiche Singles und die „MTFKR“-Tour quer durch Europa und Nordamerika - inklusive Zwischenstation in der restlos ausverkauften Wiener Simm City im Winter 2019. Schon damals hätte man auf ein Debütalbum von Lloyd gewartet, doch Stress oder Eile sind dem Künstler fremd. Akribisch und behutsam arbeitete er an den Songs, unbeirrt von äußeren Einflüssen.

Bewusste Auszeit
Wie entschlackt er durchs Leben geht, erklärt folgende Anekdote. Nach der Veröffentlichung seiner Debüt-Single „Playa“ im Jahr 2015 ging er erst einmal für ein Jahr nach Bangkok. „Ich brauchte einfach eine Pause. Ich war mit der Schule fertig und hatte meinen Armeedienst in Israel erledigt. Ich hatte das Gefühl, etwas für mich tun zu müssen. Die Menschen vergessen leider zu schnell, wer sie eigentlich sind. Sie gehen zur Schule, laufen zur Uni, nehmen den erstbesten Job, heiraten, bauen ein Haus, haben zwei Kinder und merken oft dann erst, dass sie dazwischen irgendwo vergessen haben zu leben. Ich habe mir bewusst ein Jahr Auszeit genommen, um mich kennenzulernen, meine Grenzen auszuloten und mich aus der Gesellschaft zu ziehen.“ Von freiwilligem Herausziehen konnte 2020 nicht mehr die Rede sein, doch mit gehöriger Verspätung gab die Pandemie Lloyd wenigstens den letzten Kick, endlich sein Debütalbum „Some Days“ fertigzustellen.

Darauf zu hören ist eine Mischung aus bereits bekannten Singles wie „Alien“ oder „Anxious“ oder brandneuen Songs der Marke „Changes“ und „Moving On“. Ein bloßer Blick auf die einzelnen Songtitel reicht völlig aus um zu merken, dass Lloyd, der sich im Gespräch sehr zugeknöpft und introvertiert gibt, in seinen Songs ein Füllhorn an Emotionen, Erlebnissen und Erfahrungen ausschüttet. Das passiert in seiner ureigenen Mischung aus smoothem Deep House, Singer/Songwriter-Chic, liebe zur akustischen Gitarre, 90er-Rock und Hip-Hop-durchzogenem Formatradiopop. Dieses Nicht-Festlegen auf ein bestimmtes Genre ist freilich auch der musikalischen Gegenwart geschuldet, wo sich die Streaming-Playlisten aus allen kompositorischen Ecken und Enden gegenseitig befruchten. Der Eklektizismus steht Lloyd nicht nur gut, er tut ihm auch gut. „Ich passe nicht nur musikalisch, sondern auch ganz persönlich in keine Nische“.

Politische Diskrepanzen
Das Debütalbum handelt hauptsächlich von der Überforderung des Ruhms, dem Gefühl der Entfremdung und seinen musikalischen Einflüssen aus der Jugend, lässt aber auch eine politische Note durchblitzen, was aufgrund seiner Herkunft und Geschichte gar nicht anders möglich ist. „Die Musik steht bei mir über der Politik, aber politischer Mist passiert überall und dominiert die Headlines. Fast meine gesamte Familie großmütterlicherseits wurde im Zweiten Weltkrieg in Polen ermordet und ich habe trotzdem live in Warschau gespielt und mit den Fans einen sehr glücklichen Abend verbracht. Ich will das auf der ganzen Welt so machen.“ Nicht zufrieden ist er mit der Lage zwischen Israel und der internationalen Popkultur. „Manche Künstler haben Angst hier zu singen, andere stornieren ihre Konzerte aus purer Abneigung. Ich finde das furchtbar, denn die Fans können nichts dafür. Jedes Land hat seine Spannungen und Probleme, aber man muss an die Fans denken. Sie wollen die Musik hören und sollen die Message verstehen - ich werde definitiv überall auftreten.“

An der Front des antiisraelischen Kurses steht seit jeher Pink-Floyd-Legende Roger Waters. „Er übt damit viel Druck auf das Land aus, aber er hat immerhin eine klare Haltung. Viele andere Künstler lassen sich nur mitreißen und sagen ihre Auftritte in der allerletzten Minute ab. Das kostet allen Beteiligten viel Zeit und Geld und was ist das Ziel? Man könnte auch einfach kommen, sich selbst ein Bild machen und mit den Leuten reden. Das wäre mein Zugang zu dieser Sache. Ich will versöhnlich sein. Ich weiß, dass es weltweit große Probleme mit Antisemitismus gibt, aber ich habe keine Angst davor, meine Fans zu treffen und aufzutreten. Egal, ob in Europa, Asien, arabischen oder jüdischen Ländern. In den USA hatte ich schon jüdische und arabische Fans gleichzeitig im Publikum. Für eine gute Stunde vergessen wir alle unsere Spannungen und haben gemeinsam eine gute Zeit. Ich spiele Songs für alle und vielleicht ergibt sich daraus eine Gesprächsbasis.“

Großer Fan
Interessant an „Some Ways“ ist übrigens, dass das Album ein Genre nicht beinhaltet, mit dem Lloyd als Fan maßgeblich groß geworden ist: den Grunge. Nicht umsonst gibt es Songtitel wie „Nevermind“ oder „Club 27“. „Als ich zwölf war, hatte ich ein riesengroßes Poster von Kurt Cobain über meinem Bett hängen. Ich war der allergrößte Fan, den man sich vorstellen kann. Als ich ,Nevermind‘ schrieb, hatte ich tatsächlich das Ziel, dass die Menschen sich mich auf einer Linie mit Cobain vorstellen. Nebenbei bin ich auch mit Soundgarden und Audioslave aufgewachsen und habe vor allem Chris Cornell bewundert. Als er starb, war ich am Boden zerstört. Ich habe ,Like A Stone‘ gecovert und ihn mir sogar tätowiert. Dass Tom Morello dann auf diesem Track bei mir mitspielt, war die Erfüllung eines großen Traums.“ Für Dennis Lloyd ist „Some Ways“, trotz gehöriger Verspätung, aber wohl erst der Anfang vieler Träume…

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