EGMR-Urteil

Aus für Mütter-Vorteil beim Sorgerecht?

Österreich
04.02.2011 15:49
Frauen sollen im Scheidungsfall nicht mehr automatisch die Obsorge bekommen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stelle die momentane Situation in Österreich eine Verletzung der Menschenrechtskonvention dar. Anklang findet dieses Urteil vor allem bei Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, den Grünen und dem BZÖ. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ist zwar auch der Ansicht, dass das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen müsse, verlangt jedoch nach einer Prüfung im Einzelfall.

Der EGMR kam zur Erkenntnis, dass die österreichische Rechtslage, wonach der Vater eines unehelichen Kindes nur dann die Obsorge erhält, wenn die Mutter dem zustimmt oder das Kindeswohl gefährdet ist, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Es müsse die Möglichkeit bestehen, dass das Gericht beiden Elternteilen die gemeinsame Obsorge einräumt, wenn dies für das Kind vorteilhafter ist, oder, wenn das nicht der Fall ist, das Gericht entscheidet, ob die alleinige Obsorge der Mutter oder des Vaters günstiger ist.

Bandion-Ortner will Verantwortung beider Elternteile stärken
Justizministerin Claudia Bandion-Ortner sieht sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte "in ihrer Forderung nach Stärkung des Rechts der Kinder bestätigt und will die Verantwortung beider Elternteile stärken". Das Urteil zur Obsorge werde "natürlich sehr ernst genommen" und zeige, dass die Zeit dränge. Seit vergangenem Jahr gebe es seitens der Justizministerin das Bestreben, "die Verantwortung beider Elternteile zu betonen und gesetzlich umzusetzen", hieß es.

Heinisch-Hosek will Einzelfall prüfen
Für Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek wird durch dieses Urteil einmal mehr klar, dass bei Sorgerechtsstreitigkeiten immer das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehen muss. "Jeder Fall muss einzeln geprüft werden und das ist gut so", hieß es. Die Ministerin werde sich das Urteil genau ansehen und die Erkenntnisse in die Diskussion zum neuen Familienrecht einfließen lassen. Klar sei, dass die automatische gemeinsame Obsorge, wie von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im Vorjahr zur Diskussion gestellt, nun kein Thema mehr sei.

Grüne können sich gemeinsame Obsorge vorstellen
Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser kann sich grundsätzlich vorstellen, dass die gemeinsame Obsorge bei aufrechtem gemeinsamen Wohnsitz von Eltern und Kind auch bei unehelichen Kindern automatisch eintritt. Die Konsequenzen des EGMR-Urteils seien nun jedenfalls in Ruhe zu diskutieren. "Vor dem üblichen Geheul einer selbst ernannten Väterlobby ist aber zu warnen", stellte Steinhauser fest.

BZÖ und FPÖ fordern modernes Familienrecht
Die Freiheitlichen dagegen drängen auf die gemeinsame Obsorge. "Klar ist nun, dass es in Österreich Diskriminierung gibt", kommentierte Vizeparteiobmann Norbert Hofer das Urteil. Er betonte, dass sich die Mehrheit der Männer auch nach einer Trennung um die Kinder kümmere und auch über die finanzielle Unterstützung hinaus Verantwortung übernehmen wolle. Es sei an der Zeit, "ein modernes Familienrecht auch für geschiedene und getrennte Paare" umzusetzen, so Hofer.

Ähnliches ist auch vom BZÖ zu hören. "Die gemeinsame Obsorge im Trennungsfall soll Regelfall und nicht Ausnahme sein", erklärte BZÖ-Familiensprecherin Ursula Haubner. Sie forderte, dass die Arbeitsgruppe im Justizministerium "endlich" einen Entwurf dazu vorlegt.

Justiz fürchtet Überlastung
Im Justizministerium befürchtet man allerdings eine Überlastung der Gerichte, sollten sie künftig in jedem Trennungsfall überprüfen müssen, ob die gemeinsame Obsorge für das Kind vorteilhaft wäre, betonte der Abteilungsleiter für Familienrecht im Justizministerium, Michael Stormann, am Freitag.

Stormann geht davon aus, dass eine Einzelfallprüfung zu einem großen Mehraufwand für die Gerichte führen würde. Er verwies auf die jährlich rund 30.000 unehelich geborenen Kinder und 20.000 Scheidungskinder. "Diese Menge ist zu groß für eine Einzelfallüberprüfung. Das ist weder dem Bürger noch den Gerichten zuzumuten. Das heißt, wir müssen einen einfachen gesetzlichen Weg finden, der aber auch Sicherheiten bietet. Das Kindeswohl darf nicht unter die Räder kommen", erklärte Stormann.

Vater kämpfte erbittert um sein Kind
Hintergrund des Urteils ist das Verfahren eines unehelichen Vaters gegen Österreich, das seit November 2003 beim EGMR anhängig gewesen ist. Der Mann hatte bei einem österreichischen Gericht die Übertragung der Obsorge von der Mutter an ihn beantragt, scheiterte aber an der geltenden Rechtslage.

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