Der Zeuge, ein Abteilungsinspektor des Bundeskriminalamts (BK), warf dem Angeklagten wörtlich vor, im Mordfall Cappuccino "äußerst oberflächlich" ermittelt zu haben. Im Café "Cappuccino" in Hernals war es am 30. Mai 2006 zu einer wilden Schießerei gekommen, bei der ein Mann ums Leben kam und ein weiterer schwer verletzt wurde.
Dass die Justiz bis heute nicht den bzw. die Täter zur Verantwortung ziehen konnte, führte der BK-Beamte im Zeugenstand dezidiert auf die ehemalige Kriminaldirektion 1 zurück, in der der Angeklagte seinerzeit als Gruppenführer tätig war. Seine Gruppe hatte den Fall zu bearbeiten und leistete sich - so zumindest die Aussage des BK-Vertreters - unglaubliche Schnitzer.
"Zig DNA-Spuren nicht ausgewertet"
Am Tatort seien "zig DNA-Spuren nicht ausgewertet worden", gab der Zeuge zu Protokoll. Dabei habe es Blutspuren gegeben, die - wie sich später herausstellte - zwei Personen konkret zugeordnet werden konnten, die für die KD1 zu keinem Zeitpunkt als Tatverdächtige gegolten hatten. Das BK hatte erst im Frühjahr 2008 die Ermittlungen übernommen, nachdem ein von der KD1 als vermeintlicher Todesschütze präsentierter Kosovo-Albaner unter aufsehenerregenden Umständen - die Staatsanwältin zog im laufenden Verfahren ihre Anklage mangels an Beweisen zurück - von einem Schwurgericht vom Mordvorwurf freigesprochen wurde. Der Kovoso-Albaner hatte zu diesem Zeitpunkt eineinhalb Jahre in U-Haft verbracht.
Belastendes Aussage-Protokoll einfach zerrissen?
Dies wäre dem Mann möglicherweise erspart geblieben, hätte der Chefinspektor der Justiz eine bereits im Juni 2006 angelegte Niederschrift mit einem Zeugen weitergeleitet. Darin wurden nämlich insgesamt drei Tatverdächtige namentlich genannt und vor allem erstmals das dem Blutbad zugrundeliegende Motiv - eine Unterwelt-Auseinandersetzung rund um einen geplatzten Auftritt eines Sängers in einem Rotlicht-Lokal - erörtert. Statt diese Zeugenaussage der Staatsanwaltschaft zukommen zu lassen, soll sie der Chefinspektor laut Anklage zerrissen haben, was dieser entschieden bestreitet.
Fakt ist allerdings, dass das BK diese Aussage erst mühsam über einen Polizeicomputer und mithilfe eines Software-Programms rekonstruieren musste. Der BK-Zeuge ließ keinen Zweifel, dass die "verschwundene" Einvernahme für die Justiz "sehr bedeutsam" gewesen wäre: "Daraus wären weitere konkrete Ermittlungsansätze zu gewinnen gewesen."
Standort von vermeintlichen Kronzeugen nicht überprüft?
Weiters bemängelte der Zeuge, die Kriminalisten der Kriminaldirektion hätten seinerzeit den Standort des vermeintlichen Kronzeugen nicht überprüft. Dieser hatte zunächst behauptet, er habe von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet, wie ein Mann mit dunkler Hose und weißem Hemd einen tödlichen Schuss abgab und dann flüchtete.
Das BK fand dann allerdings heraus, dass sich der Zeuge gar nicht auf der Straße, sondern in einem Haus an der Ecke Ottakringer Straße - Yppengasse befunden hatte. Vom Fenster einer im ersten Stock gelegenen Wohnung aus bekam er die Schießerei zwar mit, konnte aber unmöglich all das sehen, was er zunächst behauptet hatte. Vor allem die Fluchtrichtung des Schützen musste ihm verborgen bleiben. Der Zeuge hatte seinen wahren Standort "verschleiert", weil er nicht wollte, dass seine Lebensgefährtin herausbekam, dass er an jenem Abend in der Wohnung einer anderen Frau war.
Blutiges Kleidungsstück ohne Untersuchung vernichtet
So machte erst das BK einen weiteren unbeteiligten Augenzeugen ausfindig, der beobachtet hatte, dass der Todesschütze mit mehreren Männern auf der Ottakringer Straße stadteinwärts geflüchtet war. Damit war für das BK endgültig klar, dass der ursprünglich verdächtigte Kosovo-Albaner nicht der Mörder sein konnte, weil dieser sich nachgewiesenermaßen stadtauswärts vom Café "Cappuccino" entfernt hatte.
Wie der BK-Beamte im Zeugenstand weiter erhellte, dürfte es überhaupt vermutlich mehrere Täter gegeben haben. Neben dem Mann, der im "Cappuccino" einen Lokalgast erschoss, erwähnte der BK-Beamte einen "Seitenschützen", der gezielt aus einer Entfernung von 20 Metern gefeuert habe. Ein weiterer, im Lokal anwesender und in die Schießerei verwickelter Mann habe an seiner Jacke fremdes Blut gehabt. Doch das Kleidungsstück sei unbegreiflicherweise ohne nähere Untersuchung vernichtet worden: "Mir ist unverständlich, warum das nicht ausgewertet wurde."
"Ich finde das sehr erniedrigend"
Der angeklagte Chefinspektor reagierte auf diese massive Kritik höchst emotional: "Im Nachhinein kann ich bei jeder Amtshandlung etwas rauspflücken, was wir machen hätten sollen." Der BK-Beamte habe seine Berichte "konstruiert" und lasse das, "was wir erhoben haben", nicht gelten: "Das ist die Superarbeit vom Bundeskriminalamt, das seinen ersten Mord macht, aber meiner ganzen Gruppe schlechte Arbeit zuspricht. Die vom BK arbeiten heute noch dran und haben keinen Mörder! Ich finde das sehr erniedrigend."
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