Sex-Vorwürfe

Wie es zum schwedischen Krimi um Assange kam

Ausland
08.12.2010 13:54
"Vergewaltigungsverdacht gegen Assange", "Schweden klagt Assange an", "Anklage fallen gelassen", "Haftbefehl!" und "WikiLeaks-Gründer verhaftet" - die behördlichen Vorgänge im schwedischen Krimi um den 39-jährigen Enthüllungs-Aktivisten sind hinreichend geklärt. Doch zu den Vorwürfen selbst gab es bisher nur vereinzelt Angaben. Erst jetzt entblättert sich die Vorgeschichte nach und nach. Dabei wird klar: Es geht vornehmlich um ungeschützten Sex - und die beiden mutmaßlichen Opfer wollten den 39-Jährigen ursprünglich gar nicht anzeigen.

Assange hat sich mit der Veröffentlichung von Geheimdokumenten auf seinem Enthüllungsportal WikiLeaks viele Bewunderer, aber auch viele Feinde gemacht. Nach den Worten seines Anwaltes bekommt er Todesdrohungen und muss ständig um seine Sicherheit fürchten.

Der in Australien geborene Assange lebt kein Leben, wie es sich Otto Normalbürger vorstellt. Er hat keinen festen Wohnsitz, reist ununterbrochen, übernachtet meist bei Freunden, wechselt häufig seine Handynummer - wenn er überhaupt ein Mobiltelefon hat - und blickt an einem Fußgängerübergang nicht nur links und rechts, sondern auch zweimal über die Schulter. Genau diese Geheimniskrämerei könnte mit dazu geführt haben, dass schwedische Behörden jetzt gegen ihn wegen Vergewaltigung ermitteln.

"Frau A" und "Frau W"  
Die mutmaßlichen Straftaten sollen sich im August zugetragen haben, als sich Assange in Schweden aufhielt. Ursprünglich wollte der frühere Hacker das Land als Basis für WikiLeaks nutzen, weil es dort besonders strenge Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit gibt. Bei einer der Frauen, die in Gerichtsakten als "Frau A" bezeichnet wird, handelt es sich offenbar um eine Sprecherin für eine Aktivisten-Gruppe, die Assange in Schweden empfing. Vertrauten zufolge übernachtete Assange bei ihr zu Hause, woraus sich eine sexuelle Beziehung entwickelte. Bei einer der Begegnungen wurde nach Aussage der Frau das Kondom beschädigt. Trotzdem gab es in den folgenden Tagen wenige oder gar keine Anzeichen für Spannungen zwischen den beiden, wie mehrere Personen sagten.

Wenige Tage später lernte Assange eine weitere Frau kennen, die in Gerichtsakten als "Frau W" bezeichnet wird. Nach einem Bericht der Zeitung "Daily Mail" war sie von Assange bei einem Seminar so fasziniert, dass sie nach der Veranstaltung auf ihn wartete und von ihm und seinen Begleitern zum Essen eingeladen wurde. Einen Tag nach dem ersten Treffen übernachtete Assange demnach in der Wohnung von W - etwa 45 Minuten von Stockholm entfernt. W habe ihm den Fahrschein bezahlt, weil der 39-Jährige kein Bargeld bei sich gehabt habe und seine Kreditkarte aus Angst vor Verfolgern nicht habe benutzen wollen. An diesem Abend hatten die beiden nach Aussage von Vertrauten Assanges geschützten Verkehr.

Sie wollten nur, dass er sich testen lässt
Was am folgenden Morgen geschah, ist nicht ganz geklärt. Assange und W sollen wieder Sex gehabt haben, diesmal ohne Kondom. Sie sollen freundschaftlich auseinandergegangen sein. W soll aber zunehmend besorgt gewesen sein, dass sie sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit angesteckt haben könnte. Versuche, Assange zu kontaktieren und ihn zu einer Untersuchung zu bewegen, scheiterten, weil er sein Telefon abgeschaltet hatte. Bei ihren Recherchen kam W schließlich in Kontakt mit A. Beide sollen sich einig gewesen sein, von Assange eine Untersuchung zu fordern.

Schließlich konnten sie Assange tatsächlich kontaktieren und ihn überzeugen. An diesem Freitagabend seien aber Praxen und Kliniken geschlossen gewesen. W sei offensichtlich über Assanges ausweichendes Verhalten verärgert gewesen und habe sich entschieden, zur Polizei zu gehen, berichtet die "Mail". Ursprünglich wollte sie aber keine Ermittlungen, heißt es.

Auf den Staatsanwalt folgt der Staranwalt
Nach einem Bericht der britischen Zeitung "The Guardian" ging A als moralische Unterstützung mit W zur Polizei, wollte aber auch keine Anzeige. Die Aussagen der Frauen wurden trotzdem an einen diensthabenden Staatsanwalt weitergereicht - der noch am selben Abend einen Haftbefehl wegen Vergewaltigung erwirkte. Am nächsten Morgen wurde diese Entscheidung von einem anderen Staatsanwalt zurückgenommen. Er entschied, das Verfahren unter dem Vorwurf der Belästigung weiterzuführen. In den folgenden Tagen deutete die Staatsanwaltschaft an, das Verfahren schnell abschließen zu wollen. Eine Einstellung schien wahrscheinlich.

Die Kehrwende kam, als Assange mit den ersten Enthüllungen über Nacht berühmt wurde - und W und A den prominenten Anwalt und sozialdemokratischen Gleichstellungspolitiker Claes Borgström engagierten. Er setzte sich dafür ein, dass der Vorwurf der Vergewaltigung nicht fallengelassen wird. Eine der ranghöchsten Staatsanwältinnen Schwedens, Marianne Ny, geht ebenfalls von Vergewaltigung aus. Die schwedischen Gesetze zu Sexualdelikten sind mehr als streng. In einem minderschweren Fall - wie er Assange vorgeworfen wird - drohen trotzdem bis zu vier Jahre Haft.

Schwedische Polizei und Justiz von "Feministen" dominiert
Schwedens Polizei und Staatsanwaltschaft bewegen sich nach den dieser Tage vermehrt artikulierten Meinungen schwedischer Zeitungskommentatoren in einem seit mehr als zehn Jahren immer mehr von erklärten "Feministen" dominierten Umfeld. Dass hier 1999 erstmals in der Welt jeglicher Kauf sexueller Dienste unter Strafe gestellt wurde, ist zum international stark beachteten Symbol geworden: Verfolgt werden die fast durchweg männlichen Sex-Käufer und nicht die ganz überwiegend weiblichen Verkäuferinnen.

"Das sind zwei ganz normale schwedische Mädchen, die Assange für seine Arbeit bewundert haben", sagte Claes Borgström am Mittwoch der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter". Vergewaltigung könne etwas anderes sein, als dass ein Mann hinter dem Busch hervorspringt und sich gewalttätig an einer Frau vergeht: "Es gibt andere Methoden, jemanden zu Sex gegen den eigenen Willen zu zwingen. Das können zigtausende Frauen bezeugen."

Borgström steht mit seinem Werdegang auf mitunter verblüffende Weise für die schwedische "Feminismus"-Variante. 2000 bis 2007 amtierte der Jurist als Schwedens "Gleichberechtigungs-Ombudsmann" und verlangte den Boykott der Fußball-WM in Deutschland: Dort sei mit fast 50.000 Zwangsprostituierten zu rechnen. Schweden dürfe solche Formen von Sklavenhandel nicht unterstützen. Die neue Frauenpartei "Feministische Initiative" unterstützte er mit der Forderung nach Anerkennung einer "kollektiven Männerschuld" für Gewalt an Frauen.

US-Verschwörung? "Er lügt, wenn er das behauptet"
Assange kränke die beiden Schwedinnen mit Vermutungen in Richtung Verschwörungstheorien wegen WikiLeaks "ein zweites Mal", meint Bergström: "Er lügt, wenn er behauptet, dass meine Klientinnen Teil einer von den USA gelenkten Verschwörung gegen ihn und Wikileaks sind. Er weiß das ganz genau."

Damit könnte er sogar Recht haben, denn in Stockholm sind die meisten Beobachter überzeugt, dass Oberstaatsanwältin Marianne Ny eher an möglichen Ärger mit Claes Borgström als an Druck aus Washington dachte, als sie auf der Assange-Festnahme in London bestand. Wenngleich der immer härtere Kampf um die WikiLeaks-Enthüllungen nach Überzeugung von "Dagens Nyheter" irgendwann wohl doch den Gang des Stockholmer Verfahrens beeinflussen könnte: "Es gibt schon das Risiko, dass die Festnahme von Assange zu einem großen politischen Problem wird."

Die Anklage steht noch aus
Noch gibt es aber keine Anklage gegen den WikiLeaks-Chef. Die Behörden wollen seine Auslieferung erreichen, um ihn zu befragen. Ein Gesprächspartner Assanges, der im August Kontakt zu ihm hatte, sagte, der 39-Jährige habe damals von dem Wunsch der Behörden gewusst. Er reiste demnach aber aus Schweden aus, um genau den Medienrummel zu vermeiden, den es jetzt gibt.

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