Verstärkt die Corona-Zeit Essstörungen? „Ja, die Krise verstärkt bei vielen die Symptomatik“, sagt Hertha Mayr, Leiterin der Psychosomatik am Neuromed Campus. Eine ihrer Patientinnen ist Lisa P.. Die Linzer Studentin kämpft seit vier Jahren mit Magersucht: „Der Lockdown war für mich eine sehr negative Zeit!“
In der Ambulanz für Essstörungen am Neuromed Campus werden im Jahr rund 180 Patienten mit Bulimie, Anorexie oder Übergewicht betreut, davon sind nur elf Prozent männlich.
Der Lockdown als Falle: „Der Schul- oder Berufsstress fiel weg, das war für manche am Anfang entlastend“, erzählt Hertha Mayr, „doch die Krise dauerte an, der innere Stress stieg.“
Sehr niedrige BMI-Werte
Weil die Struktur von außen fehlte, hatten Betroffene mehr Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Fatal: „Gerade wenn Patientinnen in sozialen Medien Traumfrauen mit Idealfigur folgen, steigt die Unzufriedenheit mit sich selbst noch mehr an“, sagt Mayr. Der Kreislauf von Essen und Erbrechen oder übermäßigem Hungern bekommt enormen Antrieb. „Als die Ambulanz wieder geöffnet war, kamen Patienten mit teils sehr niedrigen BMI-Werten, auch bulimischen Patientinnen ist es viel schlechter gegangen.“
Unterdrückung von Ängsten
Lisa P. (Name der Redaktion bekannt), die seit vier Jahren an Anorexie leidet, diese aber heute im Griff hat, meint: „Ich erlebte sehr schwierige Momente!“(siehe nachfolgendes Interview).
Bei Essstörungen geht es auch um die Unterdrückung von Gefühlen und Ängsten: „Zur Angst vor der Pandemie kommen nun Ängste dazu, wie es mit der Schule, dem Job, der Kurzarbeit weitergeht“, erklärt Herta Mayr. Die Betroffenen können dem Sog der Sucht kaum mehr entrinnen.
„Zuerst war es befreiend, doch das kippte“
Lisa P. (23) ist Studentin in Linz. Sie kämpft seit vier Jahren mit Magersucht, vor drei Jahren wog sie 35 Kilo bei einer Körpergröße von 1,60 Meter. Heute geht es ihr besser.
„Krone“:Wie haben Sie den Lockdown empfunden?
P.: Von einem Tag auf den anderen gab es Verunsicherung auf der ganzen Welt. Informationen dauerten, auch von der Universität. Anfänglich habe ich das noch befreiend empfunden, ich hatte nicht den Stress, mich mit jemand treffen zu müssen. Es gab plötzlich keinen Druck von außen mehr. Das war zuerst angenehm. Doch dann kippte das leider.
„Krone“:In welche Stimmung kippte es bei Ihnen?
P.: Es kamen zwar dann Infos von der Uni, aber ich fühlte mich daheim eingesperrt. Ich wohne in einer Ein-Zimmer-Wohnung und mein Partner war in Kurzarbeit. Alles lief nur mehr online ab, die Uni, die Kontakte, später dann auch meine Therapie.
„Krone“:Wie bemerkten Sie, dass die Krankheit wieder stärker zuschlug?
P.: Magersüchtige neigen dazu, perfektionistisch zu sein. Strebsam, leistungsorientiert. Das kam wieder stark. Ich lebte nur am Schreibtisch und lernte für die Uni. Und ich machte wieder extrem viel Sport. Ich habe zwar nicht so viel Gewicht verloren, aber es gab Momente, in denen ich glaubte, wieder ganz in alte Muster zurückzufallen.
„Krone“:Wie geht es Ihnen jetzt?
P.: Mein Blick auf Essen und Nahrung ist ein anderer, die Erfahrung werde ich nie auslöschen können. Ich bin nicht komplett weg davon, aber auf einem guten Weg. Man muss sich selbst Zeit geben!
„Krone“:Wie wichtig ist für Sie die Therapie?
P.: Die ist sehr wertvoll. Ich empfehle jedem, dass er sich das Geschenk macht und sich öffnet.
Elisabeth Rathenböck/Kronen Zeitung
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