Entwicklung rätselhaft

Forscher über wenig Corona-Tote in Afrika erstaunt

Wissenschaft
04.10.2020 10:59

Die Corona-Prognosen für Afrika waren zu Beginn der Pandemie katastrophal: Eine rasante Ausbreitung, kollabierende Gesundheitssysteme, Hunderttausende Tote wurden vorhergesagt. Doch ein halbes Jahr später ist klar, dass der Kontinent epidemiologisch offenbar nicht so hart getroffen wurde, wie befürchtet. „Afrika hatte seine eigene Pandemie“, sagte jüngst Mark Woolhouse von der Universität Edinburgh. Die junge Bevölkerung ist dabei ein wichtiger Faktor. Doch Experten rätseln noch immer über etliche andere Gründe, warum Afrika dem Allerschlimmsten bisher zu entkommen scheint.

Der Kontinent hat bisher rund 1,48 Millionen Covid-19-Fälle verzeichnet. Weil viele Länder noch immer nicht ausreichend testen, dürfte die Dunkelziffer sehr hoch liegen. Wie hoch, dafür geben einige Antikörper-Studien Hinweise: Wissenschaftler einer Studie in Kenia etwa schätzten, dass etwa 1,6 Millionen Kenianer Corona-Antikörper hatten - im Gegensatz zu den rund 39.000 Corona-Fällen, die das Land offiziell verzeichnet hat.

Warum hat Afrika dann mit etwa 36.200 Corona-Toten eine vergleichsweise niedrige Sterberate? Zwar werden sicher viele Todesfälle nicht diagnostiziert oder verzeichnet, gestehen Politiker und Forscher ein. Gäbe es aber einen sehr großen Anstieg an ungeklärten Todesfällen, würde man es merken, meint Pathologin Anne Barasa von der Universität von Nairobi. In Kenia etwa „gebe es keine Berichte von mehr Todesfällen und auch Gemeinden haben das nicht gemeldet“.

Nur drei Prozent der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt
Forscher sind sich einig: Das Alter der Menschen in Afrika spielt eine große Rolle. „In den meisten afrikanischen Ländern sind nur rund drei Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt“, erklärte Matshidiso Moeti, die Afrika-Chefin der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Inzwischen ist bekannt, dass vor allem ältere Menschen an Covid-19 sterben. Das liegt laut Barasa unter anderem daran, dass mit zunehmenden Alter Krankheiten wie Diabetes steigen und das Immunsystem schwächer wird.

Doch dies reicht als Erklärung nicht aus. Wissenschaftler der Universität Dakar (Senegal) und der Universität Leiden (Niederlande) haben ausgerechnet, dass anhand der Demografie die Sterberate in Afrika viermal so klein sein sollte wie in Europa oder den USA - nicht 40-mal, wie sie es sei.

„Neandertaler-Gen“ könnte Sterberisiko erhöhen
Zunehmend finden Forscher heraus, dass genetische Unterschiede ein Faktor seien. Einer Studie im Fachjournal „Nature“ zufolge gibt es einen möglichen Zusammenhang zwischen dem uralten Neandertaler-Erbe im menschlichen Erbgut und schweren Verläufen von Covid-19. Menschen mit dieser Genvariante haben demnach ein höheres Risiko, bei einer Corona-Infektion künstlich beatmet werden zu müssen. Diese Genvariante finde sich häufig bei Menschen in Südasien und Europa - in Afrika komme sie aber so gut wie gar nicht vor. Allerdings kann auch die Genetik nicht ausschlaggebend sein.

Alltag in Afrika spielt sich draußen ab
Die Lebensbedingungen in Afrika spielen sicherlich eine Rolle. „Das Virus wird nicht leicht draußen übertragen“, sagt Francisca Mutapi von der Universität Edinburgh. Und in Afrika verbringe ein großer Teil der Bevölkerung seine Zeit im Freien. Außerdem ist Afrika viel weniger vernetzt und die Menschen sind nicht so mobil wie in Europa, so verbreitet sich das Virus weniger leicht.

Für die Parasitologin Maria Yazdanbakhsh ist das Immunsystem entscheidend - und wie es durch die Umwelt beeinflusst wird. „Ich glaube, da finden wir den Schlüssel“, sagt die Professorin an der Leiden Universität. Denn die Menschen in Afrika seien ganz anderen Mikroorganismen und Parasiten ausgesetzt als in Europa oder den USA, und diese würden das Immunsystem fundamental verändern.

Um die Pandemie besser zu verstehen, ermutigt Yazdanbakhsh Forscher, den Blick auf Afrika zu richten. Weil der Verlauf dort anders sei, könne man viel lernen. „Afrika ist eine Quelle der Inspiration.“

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