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KW 37 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
12.09.2020 12:31

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei.

(Bild: kmm)

Asaf Avidan - Anagnorisis
Den Begriff „Anagnorisis“ hat der griechische Philosoph Aristoteles geprägt. Er bezeichnet den Moment, wo der Mensch sein wahres Gesicht zeigt und eine Geschichte eine unvorhersehbare Wendung nimmt. Nach zehn ununterbrochenen Jahren auf Tour und kurz vor seinem 40. Geburtstag hatte der israelische Folk-Musiker Asaf Avidan genug und beschloss - natürlich noch nicht wissend, dass Corona ihn ohnehin bald dazu zwingen würde - eine Pause zu machen. Ruhe fand er in einem zum Studio umfunktionierten alten Bauernhaus in Italien. Mehr Zeit und mehr Gelassenheit erlegt er sich auf, alle Stimmfarben auf dem Album gehören ihm selbst und mit Freund Tamir Muskat produziert er trotz coronaler Zwangstrennung. Rund um den Schlüsselsong „900 Days“ spinnt er wieder feine Geschichten über Sein und Wesen und die Tücken des Lebens. Eine vor allem stimmlich, aber auch kompositorisch starke Platte, die einen Mann in seiner Midlife-Crisis ablichtet. 7,5/10 Kronen

Bikini Beach - Atoll
Wer unter der Website fuzzmehard.com zu erreichen ist, der gibt die Richtung für seinen Sound schon einmal kräftig vor. Die Konstanzer von Bikini Beach sind alles andere als Newcomer und können „Atoll“ bereits ihr fünftes Studioalbum nennen. Einen Umzug in die deutsche Musikmetropole Berlin konnte das humorige bislang ebenso gut verhindern wie Anbiederungen an trendige Sounds. Nils Hagström und Co. klingen zu jeder Sekunde nach Garage-Rock, machen auch nicht Halt vor Surf-Anklängen („Anneliese Michel“) oder predigen das nostalgische Herumhängen in Kellerzimmern („Melted Cheese“). Spaß und Kurzweile sind hier oberstes Gebot und die US-Schrammel-Szene der frühen 90er rund um L7, Mudhoney, TAD und Co. prägte den spaßigen Haufen offenbar nachhaltig. Dass die Produktion von Kadavar-Soundmagier Richard Behrens bewusst roh gehalten ist, unterstützt den Gesamtsound beträchtlich. Underground-Perle! 7,5/10 Kronen

Blitzen Trapper - Holy Smokes Future Jokes
Irgendwann einmal kommt jeder an den Punkt, wo er sich die existenziellen Fragen über Leben und Tod stellt. Bei den Portland-Stilverweigerern Blitzen Trapper dient das auch schon zehnte Album als Unterlage für diese Überlegung. Auf „Holy Smokes Future Jokes“ zeigen sich Eric Earley und Co. einmal mehr vielseitig, bunt und querbeet treibend. Irgendwo zwischen ganz viel Alternative-Country, einer kräftigen Dosis Folk und kaum merkbaren, aber fein eingewobenen Prog-Zitaten, diente George Saunders‘ Buch „Lincoln In The Bardo“ als Inspiration für die Songs, die sich u.a. um die Folgen eines tragischen Autounfalls oder dem letzten Morgen vor der Apokalypse drehen. Quintessenz: nur weil der Mensch einen Wimpernschlag in der Geschichte existiert, ist er nicht das Zentrum des Universums. Musikalisch als auch lyrisch sehr spannend umgesetzt. 7/10 Kronen

Bonez MC - Hollywood
Es kann gar nicht genug Skandale rund um die verrufene Hamburger Straßenbande 187 geben - die dahintersteckenden Protagonisten erobern im deutschsprachigen Raum mühelos die Charts. Zuletzt Gzuz im Februar, jetzt ist Bonez MC an. Der war mit „Palmen aus Plastik 1 und 2“ zuletzt mit dem Wiener RAF Camora erfolgreich, da dieser aber eine Karrierepause oder Umschulungen erwägt, muss er es nun eben alleine richten. Acht Jahre nach seinem Solodebüt. Wie im deutschen Rap-Game üblich wurde auf Promo in klassischen Medien verzichtet, verkauft sich ja eh alles von selbst. Features von Gzuz oder Maxwell sind ebenso darauf zu finden wie eine Wagenladung Dancehall. Songs wie „Roadrunner“, „Wild Wild West“ oder „Big Body Benz“ treffen die Zielgruppe wieder punktgenau. Mehr ist dazu auch nicht zu sagen. 5/10 Kronen

Elizabeth Cook - Aftermath
Den weg vom reinen Country hin in poppigere Gefilde sind schon viele Musiker gegangen - Taylor Swift und Miley Cyrus sind sicher die berühmtesten Beispiele. Manche halten sich auch die Freiheit offen, wieder einen Schritt zurückzugehen und die Wurzeln nicht ganz zu kappen. Elizabeth Cook hat sich für ihr neues und persönlichstes Album „Aftermath“ vier Jahre Zeit gelassen und sich so sehr wie nie zuvor vom Country-Liebling der USA entfernt, um sich breiter aufzustellen. „Perfect Girls Of Pop“ etwa erklärt sich schon im Titel selbst und langsame, bedrückende Momente wie im Tränendrüsendrücker „Daddy, I Got Love For You“ wurden auf ein Minimum beschränkt. Die Geschichten aus den Höhen und Tiefen ihres Lebens sind allerdings genretypisch pathetisch, das Songmaterial auf Dauer etwas zu eindimensional. Da wäre sicher mehr drinnen gewesen. 5,5/10 Kronen

Delta Spirit - What Is There
Zu den unerwarteten Begebnissen im Musikjahr 2020 gehört zweifellos dieses Album. Sechs Jahre sind seit dem letzten Werk der US-Rocker Delta Spirit ins Land gezogen und dass man mit „What Is There“ zu Herbstbeginn plötzlich brandneue Musik hört ist eine mittlere Sensation, schließlich hatten sich die Bandmitglieder zeitweise stark auseinandergelebt und ihre Kreativität bewusst in andere Richtungen kanalisiert. Solokarrieren, Produzentenjobs, Einsätze als Session-Musiker - bis man sich schließlich 2018 zu einer Jam-Session in Brooklyn wiederfand und es sofort klickte. Natürlich ist „What Is There“ geprägt von der Entfremdung und dem Wiederfinden, von dem drohenden Ende und der doch noch erreichten Läuterung im Bandcamp. Schade, dass man diese große Chance mit einem ziemlich generischen Album ohne kompositorische Highlights auslässt. Spätestens nach vier Songs nimmt die Belanglosigkeit überhand. Das geht hoffentlich bald noch besser. 5,5/10 Kronen

Doves - The Universal Want
Genau zehn Jahre ist es mittlerweile her, als bei den Doves der Ofen aus war. Die kultige Indie-Rock-Band aus Manchester war völlig ausgebrannt. Körperlich und künstlerisch, was man nicht zuletzt an etwas schalen Gigs und dem für die hohen Bandverhältnisse eher mediokren Album „Kingdom Of Rust“ (2009) erkannte. Dass die auf unbestimmt definierte Pause fast eine Dekade dauerte war aber trotzdem zu keiner abzusehen. Nach ein paar Gigs stößt das Trio mit dem großen Comebackwerk „The Universal Want“ klanglich und atmosphärisch perfekt in die Corona-Krise. Dass dieses Werk so rund und zu jeder Zeit nachvollziehbar klingt ist eine mittlere Sensation, nicht vielen Bands gelingt nach langer Pause so eine Rückkehr. Schon der Opener „Carousels“ begeistert mit leichten Afrobeat-Rhythmen und prägnantem Drumming. Mit „Cathedrals Of The Mind“ oder „Cycle Of Hurt“ kommt man dem großen David Bowie sehr nahe, auch Radiohead und die Smiths blitzen immer hervor. Schade, dass diese Perle auf einem Majorlabel vergeudet wird. 8,5/10 Kronen

Eskimo Callboy - MMXX EP
Gerade ein Sängerwechsel kann manchmal doch ziemlich prägend sein. Eskimo Callboy mussten Anfang des Jahres nicht nur zahlreiche Konzerte wegen Corona absagen, sondern verloren im Februar auch den Frontmann. Nach einem Online-Casting und angeblich „mehr als Tausend Bewerbungen“ entschied man sich für Nico Sallach, der schon bei den aufgelösten To The Rats And Wolves brillierte. Die eher einfallslos „MMXX“ betitelte Einstands-EP wird das Publikum wieder in zwei Lager spalten. Wer sich mit dem Klamauk-Metalcore der Deutschen identifizieren kann, wird auf Songs wie „Hypa Hypa“ oder „Dramaqueen“ sein El Dorado finden, alle anderen rümpfen die Nase und umgehen den drohenden Brechreiz nur mit größtmöglicher Ignoranz. Der Sängerwechsel hat famos funktioniert, ob man das Teil dann aber braucht, das muss jeder selbst wissen. Ohne Bewertung

Fletcher - The S(ex) Tapes EP
Keine Zeit verlieren! Die US-Sängerin Fletcher hat ihre dritte EP „The S(ex) Tapes“ früher als geplant auf den Markt geworfen. Liegt vermarktungstechnisch wohl auch daran, dass die Konkurrenz im Spätsommer wesentlich geringer ist, als sie später im Herbst sein wird. Nach ihrem Hit „Undrunk“ letztes Jahr ging es eigentlich beträchtlich aufwärts, aus der geplanten Tour mit ex-One Direction Niall Horan wurde Corona-bedingt nichts. Auf die Liveshows in ferner Zukunft darf man sich aber freuen, denn Songs wie „Silence“, „If I Hated You“ oder „The One“ sind allerfeinster Beziehungsproblemepop, wie man ihn aus den US of A kennt und liebt. Das Rad wird zu keiner Sekunde neu erfunden, die fette Produktion und Fletchers eindringliche Stimme machen die Songs aber zu einem Erlebnis, das sich vor den großen Vorbildern des Mainstream-Pops nicht verstecken muss. Ein bisschen Provokation dort, etwas Teenie-Erlebnisse da - voila, fertig ist der gute Spaß! Ohne Bewertung

Jeremy Gara - Passerine Finale
Jetzt, wo die kanadischen Indie-Könige Arcade Fire offenbar noch nicht so ganz genau wissen, wo es in Bezug auf das nächste Studioalbum hingehen soll, haben die Mitglieder Zeit für ihre eigenen Projekte. Will Butler wird in Kürze ein Soloalbum vorlegen, Drummer Jeremy Gara ist schon jetzt dran. Fans seines Brötchengebers werden sich freilich schwertun, denn mit Arcade Fire hat „Passerine Finale“ absolut gar nichts zu tun. Gara entführt den Hörer in eine dystopische Ambient-Klangwelt, die wie eine Höllenfeuer-Version eines leicht grantelnden Brian Eno klingt. Die Drone-Intermezzi erfordern höchste Konzentration und Toleranz, selbst auf einer Tour mit den großen Sunn O))) könnte man sich Gara vorstellen. Mut zur Andersartigkeit, die belohnt wird. Man muss sich nur auf die Reise in eine Welt der obskuren Abstrusität einstellen. 7/10 Kronen

Ghoulhouse - Rigor Mortis Intermezzo
Es ist noch keinen Monat her, dass wir an dieser Stelle vom schwedischen Tausendsassa Rogga Johansson geschrieben haben. Der Mann mit den gefühlt einhundert Projekten und Alben pro Jahr legt schon munter die nächste Scheibe vor. Dieses Mal ist es das Debütalbum von Ghoulhouse und im Gegensatz zu seinem sonstigen Death-Metal-Geschrote hält er hier auch nicht mit den so populären Synthwave-Klängen hinterm Berg. Der Großteil der Songs befindet sich natürlich sehr wohl im harschen Bereich zwischen Old-School-Death und leichenverwesenen Grindcore der alten Schule. Impetigo und Repulsion standen hier besonders offensiv Pate und die Ehrerbietung an die eigenen Idole aus den späten 80er-Jahren funktioniert wie gewohnt würdig. Weiter so, Rogga! 7/10 Kronen

Klan - Sommerseite
Ein „Halbum“ nennen Klan ihre „Sommerseite“. Dass die der „Winterseite“ aus dem Herbst 2019 folgt, hört man vom ersten Klang an. Der mit eineinhalb Augen in den Mainstream schielende Indie-Pop wirkt hier natürlich leichtfüßiger, lockerer und vor allem um Ecken lebensfroher als es vor knapp einem Jahr der Fall war. Die Heinrich-Brüder Michael und Stefan ergänzen sich gesanglich und kompositorisch wunderbar und erzählen mitten aus ihrem Leben und reichhaltiger werdenden Erfahrungen in Songs wie „Gewinner“, „Statistik“ oder „Okay“. Die Deutschpop-Referenzen kriegen die beiden Leipziger trotz der bemühten Indie-Lastigkeit nicht ganz raus, auf das im September 2021 geplante Konzert im Wiener B72 können sich Freunde des Genres aber trotzdem freuen. 6,5/10 Kronen

Mad Sin - Unbreakable
Na das kommt überraschend. Von den deutschen Psychobilly-Veteranen Mad Sin hat man studiomäßig auch schon mehr als eine Dekade nichts mehr gehört. Das lag in erster Linie an Frontmann Köfte Deville, der aus unterschiedlichen Gründen (u.a. Burn-Out) eine Zeit lang nicht mehr adäquat musizieren konnte. Am Spaßfaktor der Grusel-Punk- und Horrorbilly-Kompositionen hat das aber wenig geändert, denn auf „Unbreakable“ zeigt die Band eindeutig, dass sie eben genau das ist. Ausflüge in die deutsche Sprache wie bei „Alles ist schlecht“ wirken leider immer noch ziemlich holprig, aber bei Songs wie „Hallucinate“, „Moon Over Berlin“ oder „Till Death Do Us Part“ kann man im teutonischen Horrorcamp wenig falsch machen. Hierzulande sind wir mit den Bloodsucking Zombies From Outer Space eh gut ausgelastet, aber Mad Sin als Patenonkel der Wiener Psychobillys kann man immer hören. 7/10 Kronen

Lina Maly - HushHush/Hamburg EP
Für die Wahlberlinerin Lina Maly war die Vertragsauflösung mit Branchenriese Warner Music offensichtlich eine große Befreiung. Nach zwei Alben war genug, aber es durchaus etwas gedauert, bis die Künstlerin wieder in die Spur fand. Mit den vielen geplanten Live-Konzerten wurde wegen Corona erst einmal nichts, weshalb sie auch nicht den Windschatten der durchaus erfolgreichen Single „Als du gingst“ nicht nutzen konnte. Als Einstand auf dem eigenen Label gibt es erst einmal eine 6-Track-EP, auf der sie sich von einer ganz neuen, verletzlichen Seite zeigt. Die Songs sind akustisch mit Jazz-Note vorgetragen, dazu gibt’s adäquate Cover-Versionen von Wir sind Helden und Heinz Rudolf Kunze. Der Stilbruch gefällt - und sollte weitergeführt werden. Ohne Bewertung

Mammal Hands - Captured Spirits
Mit reinen Instrumentalbands ist das immer so eine Sache. Einerseits ist man zurecht oft erstaunt ob der musikalischen Fertigkeiten der Protagonisten, andererseits verfrickeln sich ebenjene zu sehr in ihre eigene Welt und gewähren dem Hörer nur wenig Zugang. Diese Gefahr bestand beim Norwich-Trio Mammal Hands nie. Die Geschwister Jordan und Nick Smart und Freund Jesse Barrett musizieren seit jeher in ihrer ganz eigenen Liga. Sehr viel Jazz, mindestens gleich viel Electronica, aber auch Folk Weltmusik und Neo-Klassik finden Einzug bei den drei jungen Herren. Auf „Captured Spirits“ erweisen sie sich einmal mehr als profunde Seelenfänger und vermischen sanfte Percussion mit streichelweicher Dissonanz wie kaum jemand anders. Man muss schon in Ruhe und mit Kopfhörern in den Klangkaskaden des Trios entschwinden, dann wird einem die volle Soundgewalt gewahr. Hoffentlich auch bald wieder live in Österreich. 7,5/10 Kronen

Mastodon - Medium Rarities
Drei Jahre nach „Emperor Of Sand“ hätten die harschen Stilverweigerer von Mastodon schon auch einmal mit einem neuen Studioalbum um die Ecke kommen können. Zudem ist heuer das 20-Jahre-Bandjubiläum, aber trotz erzwungener Corona-Touringpause hat es in punkto Songwriting und Kreativität wohl nicht dazu gereicht. Da man so ein Jahr aber nicht spurlos vorübergehen lassen kann, gibt es mit „Medium Rarities“ zumindest eine knapp einstündige Compilation zu bejubeln. Mit dem Opener „Fallen Torches“ gibt es aber zumindest eine brandneue Nummer zu bestaunen, die sich stilistisch ganz in Richtung der letzten, vertrackteren Jahre bewegt. Mit „A Commotion“ die kanadische Indie-Göttin Feist zu covern ist natürlich ebenso genial, ansonsten vergeht man sich auch an den Flaming Lips, den Butthole Surfers und - gähn - Metallica. Zahlreiche Live-Mitschnitte komplettieren das durchaus starke Stelldichein. Jetzt wäre es dann aber auch Zeit für ein ganzes Album… Ohne Bewertung

Messiah - Fracmont
Mit den Schweizern von Messiah verbindet der geübte Metal-Maniac vor allem den süßen Eisbären auf dem 1987er Albumcover „Extreme Cold Weather“. Geht fraglos unter die besten Artworks der Musikgeschichte ein. „Fracmont“ ist nun das erste Album seit - festhalten! - 26 Jahren und überrascht insofern, als das nicht nur die Bandmitglieder angeblich zufällig wieder zusammengekommen wären, sondern auch damit, das im Prinzip alle vier auch schon zur Old-School-Fraktion von damals gezählt werden können. Das kriegt man in Zeiten wie diesen doch eher selten auf die Reihe. „Fracmont“ bezieht sich musikalisch ganz auf die Hochzeiten der Band und prügelt schön rhythmischen Thrash mit Death-Metal-Schlagseite aus den Boxen. Sänger Andy Kaina röhrt dabei schön mitgenommen wie Kultfigur Speckmann Paul und die Texte sind durchaus sozial- und gesellschaftskritisch. Eine starke Rückkehr, die gerne mehr verträgt. 7/10 Kronen

Moonchild Sanelly - Nüdes EP
Im breiten Pop-Segment zählt die Südafrikanerin Moonchild Sanelly derzeit zu den spannendsten Künstlerinnen überhaupt. Mit ihrem „Electropop-Ghetto-Funk“ bringt sie nicht nur Hüften und Hintern zum Schwingen, Beyoncé hat sie auf Disney+ in „Black Is King“ gefeatured, Blur-Legende Damon Albarn bei Africa Express und mit ihrer offen zur Schau gestellten Sexualität prangert sie die nicht enden wollende „Rape Culture“ an und fordert die längst fällige Gleichberechtigung. Moonchild Sanelly ist mehr als bloß Musikerin, sie stellt sich und ihre Werte eindeutig in einen höheren Dienst. Auf der EP „Nüdes“ geht sie inhaltlich auch in die Vollen, lässt kein Tabu ungebrochen und eckt mit Songs wie „F-Boyz“, „Thunda Thighs“ oder „Boys & Girls“ bewusst ein. Moonchild Sanelly gehört mitunter die Pop-Zukunft, so viel lässt sich wohl schon voraussagen. Ohne Bewertung

Neal Morse - Solo Gratia
Als „mein persönliches Quarantäne-Album“ hat Neal Morse seine neue Prog-Oper „Solo Gratia“ bezeichnet. Der schwer gläubige Christ hat letztes Jahr mit „Jesus Christ: The Exorcist“ eine monumentale Rockoper kreiert, die selbst für seine gerne ins Fantastische ausschlagende Karriere ein besonders spezielles Werk darstellte. Umso verwunderlicher, dass „Solo Gratia“ so basisch und prog-rockig wie schon lange kein Album mehr klang. Ja, man mag an manchen Stellen in Songs wie etwa „Building A Wall“ sogar behaupten, er würde sich wieder an seinen legendären Spock’s Beard-Zeiten orientieren. So songorientiert und verbraucherfreundlich agierte Morse seit vielen Jahren nicht mehr, da könnte sich auch Märchenonkel Ritchie Blackmore eine Scheibe abschneiden. „Solo Gratia“ ist eine mehr als positive Überraschung und wird Prog-Fans wie Öl runtergehen. 7/10 Kronen

Roachford - Twice In A Lifetime
Das hier vorliegende „Twice In A Lifetime“ hätte auch schon im April erscheinen sollen, aber Corona sei Dank hat auch Andrew Roachford den Release seines Albums nach hinten verschoben. Doch hat so etwas überhaupt Sinn, wenn man ohnehin zeitlose Musik macht und sich völlig gegen jedwede Zeitgeistigkeit verschreibt? Die Veröffentlichung ist freilich eine mittlerweile Sensation, denn in den letzten Jahren war er nur als Stimme von Mike & The Mechanics in Erscheinung getreten. Mit diversen Bandmitgliedern von selig Amy Winehouse geht er jetzt aber wieder in die Vollen. Stimmlich ist die bunte Palette an Soul-, R&B- und Pop-Highlights natürlich wieder über alle Zweifel erhaben, die klinische Produktion macht aber sehr viel des Grundfeelings zunichte. Songs wie der Titeltrack oder „Too Much To Lose“ gehen gut hinein, manchmal versickert Roachford aber zu sehr im Kitsch. Dann vielleicht doch wieder die Goldstimme im Bandkorsett bejubeln. 6/10 Kronen

Diknu Schneeberger Trio - Live From Porgy & Bess
Schon als 14-Jähriger hatte Diknu Schneeberger einen Ruf als Wunderkind und wurde als Gitarrist mit dem renommierten „Hans-Koller-Preis“ als „Talent Of The Year 2006“ ausgezeichnet, seitdem ging die Karrierekurve im Gypsy-Jazz-Segment ungeahnte Ausmaße an. Angetrieben vom großen Idol Django Reinhardt webt der heute 28-Jährige ganz besonders filigrane Melodien, die sich stets am Gypsy-Sound orientieren, von dort aber immer wieder mutige Haken schlagen. Das in der Livestream-Coronaphase im April 2020 aufgenommene Tondokument „Live From Porgy & Bess“ ist gleichzeitig der Startschuss zu seinem „New Trio“. Gleichaltrigen Gleichgesinnten, mit denen Schneeberger in näherer Zukunft noch so einiges geplant hat. Die perfekte Einstimmung auf seine Rückkehr ins Porgy am 27. September - dann aber wieder mit Fans. Ohne Bewertung

Skeletal Remains - The Entombment Of Chaos
Es gibt in ganz Amerika wohl kaum eine Band, die sich so stark auf die Wurzeln des Death Metals der späten 80er- und frühen 90er-Jahre besinnt, wie Skeletal Remains. Die Kalifornier schieben mit „The Entombment Of Chaos“ das vierte Album in acht Jahren in die Regale und huldigen dort einmal mehr den ganz Großen längst vergangener Tage. Mit viehisch-maschineller Präzision schießen die Gitarrensalven aus dem Äther, während Drumming, Grunzstimme und die Produktion im Allgemeinen ziemlich das Beste sind, was es derzeit am Markt gibt. Groove-Walzen wie „Tombs Of Chaos“ oder „Illusive Divinity“ stehen atemberaubende Highspeed-Kanonaden („Torturous Ways Of Obliteration“), Cannibal Corpse treffen dabei auf Death, Morbid Angel und partiell Obituary. Das ist alles nicht innovativ, aber so stringent und durchdacht, dass man sich als Genre-Liebhaber sofort beim Windmühlen-Schädeln erwischt. Ein grandioses Album. 8/10 Kronen

Skillet - Victorious: The Aftermath
Das christliche Metal/Rockgespann Skillet ist nicht nur immer wiederkehrender Stammgast beim heimischen Kraut-und-Rüben-Festivalhighlight Nova Rock, sondern seit mehr als 20 Jahren in steter Versuchung zu den größten Bands der USA zu gehören. Das christlich geprägte Gespann lebt vom Wechselgesang zwischen dem bärtigen Fronthünen John Cooper und Drummerin Jen Ledger ebenso wie vor der völlig fehlenden Angst, Symphonisches, Elektronik und Mainstream-Hymnen in ihre Riffs zu verarbeiten. Wie bei fast allen Alben gibt es auch für den 2019er Output „Victorious“ mit „The Aftermath“ einen Re-Release, der einerseits die Wartezeit zum nächsten Studioalbum verkürzen soll und zudem die Corona-Langeweile überbrückt. So werden die zwölf bekannten Songs mit zwei brandneuen und sechs weiteren, bereits auf anderen Alben oder Editionen befindlichen Tracks aufgefettet. Muss man nicht haben, außer man ist Skillet völlig verfallen. Ohne Bewertung

Susanna - Baudelaire & Piano
Hinter dem völlig unspektakulären Namen Susanna steckt beileibe keine Unbekannte. Zusammenarbeiten mit Bonnie „Prince“ Billy oder Jenny Hval zeigen, dass hier in jedem Fall großes Talent am Werk ist. Nun verarbeitet die Norwegerin in sanfter Art und Weise Gedichte des großen, stets unter emotionaler Hochspannung gestandenen Charles Baudelaire, an dem sich schon Superstars wie Bob Dylan, The Doors oder Scott Walker vergingen. Völlig reduziert und aufgenommen in absoluter Abgeschiedenheit hört man nur skelettartige Klavierklänge und Susannas verletzliche Stimme, was vor allem bei Genuss mit Kopfhörern eine ungemeine Fragilität vermittelt. Songs wie „The Enemy“, „Obsession“ oder „A Pagan’s Prayer“ zelebrieren die kompositorische Sinnlichkeit in höchstem Maße. Das ist nichts für allzu labile Geister in Trauerstimmung. 7/10 Kronen

Synyana - Ich kann’s
Laut der aus Hessen stammenden und schon länger in Kärnten wohnhaften Künstlerin stehen die Buchstaben im Namenspseudonym für Synthesizer, New York, den Anfangsbuchstaben des Familiennamens und Austria. Ansonsten erfährt man in der Biografie von Synyana, dass sie offenbar mal ein veritabler Kinderstar war und sich in diversen Bands tummelte. Ihr Debütalbum unter neuem Namen nennt sich „Ich kann’s“ und soll wohl in erster Linie das Selbstvertrauen pushen. Musikalisch orientiert sich die Künstlerin in mutigen Gefilden. So werden EDM-Versatzstücke mit konservenhaltigem Electropop und einer untrüglichen Schlageratmosphäre vermischt. Bei Songs wie „Wir Menschen“, „Ein Geschenk“ oder „Wir brechen aus“ stoßen aber nicht nur die moraldurchzogenen, sehr einfachen Texte sauer auf, sondern auch die Anbiederung an sämtliche musikalische Trends der Mainstream-Gegenwart. Nur für sehr Hartgesottene. 3/10 Kronen

Theotoxin - Fragment: Erhabenheit
Es ist gemeinhin bekannt, dass das dritte Album einer Band oft über Wohl oder Wehe der Zukunft entscheidet. Im Falle der Wiener von Theotoxin ist die Prüfung nach zwei „Befriedigend“ mehr als gelungen. Auf „Fragment: Erhabenheit“ sind dabei vor allem zwei entscheidende Parameter verantwortlich. Einerseits gab es eine Abkehr vom zu sehr nach Belphegor klingenden Sound Richtung atmosphärischen, in den 90ern verankerten Black Metal mit Death-Einsprengseln, ohne dabei an Technik und Progressivität einzubüßen, andererseits ist der neue Frontmann Ragnar eine Keif-, Grunz- und Schrei-Bestie vor dem Herren. Vor allem das Eröffnungsdoppel „Golden Tomb“ und „Obscure Divinations“ entführt in gleichermaßen erhabene wie modrige Gruften, „Prayer“ ist majestätisch geraten, bevor man in „Through Hundreds Of Years“ wieder in bester Mgla-Manier losknüppelt. Was für eine Weiterentwicklung! Nur das Cover-Artwork hätte besser ausfallen können… 7,5/10 Kronen

Tolouse Low Trax - Jumping Dead Leafs
Hinter dem Pseudonym Tolouse Low Trax steckt seit geraumer Zeit der deutsche Komponist Detlef Weinrich, der sich hier seinen Traum von abstrakt-elektronischen Klängen erfüllen kann. „Jumping Dead Leafs“ ist sein mittlerweile viertes Album und lässt keine Chance auf Vielseitigkeit ungenützt. Krautrock-Referenzen, moderne Elektronik, Avantgarde-Stimmung, Industrial-Versatzstücke, eine Prise Post-Rock obendrauf und weil das alles noch nicht reicht integriert er auch noch sphärische Ambient-Klänge in den stets nachvollziehbaren Soundbrei. Die trippigen Tracks erinnern gerne mal an die Verspieltheit eines Brian Eno oder die nonchalante Coolness von Massive Attack. Vor allem „The Incomprehensible Image“ und „Dawn Is Temporal“ sitzen. Feines Klangkonstrukt. 7,5/10 Kronen

Suzanne Vega - An Evening Of New York Songs And Stories
Wohlige Nostalgie und so manch Trauer kommt in einem auf, wenn man sich die Zeit nimmt, das wundervolle Live-Manifest „An Evening Of New York Songs And Stories“ auf sich einwirken zu lassen. Suzanne Vega kann mehr als ihren weltbekannten Top-Hit „Luka“, das ist sowieso klar und beweist sie auf diesen gleich 24 Songs eindrucksvoll. Die gebürtige Kalifornierin hat ihrer jahrelangen Wahlheimat an der Ostküste Anfang 2019 im exklusiven kleinen Club Café Carlyle gehuldigt und sich voll und ganz mit der Stadt befasst. Alle Songs befassen sich mehr oder weniger mit dem „Big Apple“ und geben ein rundes Bild ab. Mal mehr im Singer/Songwriter-Schema, dann wieder Richtung Jazz schielend oder sich am amerikanischen Folk orientierend, ergibt sich ein mehr als rundes Bild, das uns hart vor Augen führt, wie sehr intime, aber sorgenfreie Liveshows fehlen. Ohne Bewertung

Weekend - Lightwolf
Bitte nicht verwechseln: Weeknd ist ein kanadischer Chartsstürmer, der mit seinem spannenden Konsenspop gerade den ganzen Planeten erobert. Weekend ist Rapper aus Gelsenkirchen und muss sich vorerst noch mit eher regionaler Berühmtheit zufriedengeben. Christoph Wiegand ist vor allem ein Liebhaber von Ironie und Zynismus, denn auf „Lightwolf“ geht es ihm vor allem darum, die gesamte Szene, ihre Fans, aber auch sich selbst ein bisschen auf die Schaufel zu nehmen. Anstatt sich völlig in Sexismus und Rassismus zu ergehen zeigt Weekend lieber Verständnis für die Kritik von außen und kämpft vor allem gegen die eigene Blase („Bubble“), andere Rapper („Hallo“) und das problematische Toleranzverständnis von Rappern an („Geh weg“). Manchmal kommen die Seitenhiebe doch etwas zu pubertär ums Eck, grundsätzlich aber ein mehr als bekömmliches und durchaus satirisches Werk, das für viel Kurzweil sorgt. 7/10 Kronen

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