Agenten in den USA

Russische “Femme fatale” krönt den Spionage-Thriller

Ausland
30.06.2010 10:07
Ein Krimiautor hätte es nicht besser erfinden können: Agenten tauschen in einem belebten Bahnhof im Vorbeigehen idente Taschen aus. Botschaften werden in unsichtbarer Tinte verfasst oder verschlüsselt als Annonce aufgegeben. Derweil wartet Geld-Nachschub aus Moskau vergraben in einem Feld irgendwo im Staate New York. Und als Tüpfelchen auf dem i ist da noch Anna Chapman, eine der mittlerweile elf gefassten mutmaßlichen Russland-Spione. US-Medien stürzten sich am Mittwoch auf die bildhübsche "Femme fatale", von der das FBI behauptet, sie sei eine "perfekt ausgebildete Agentin".

Glaubt man der US-Justiz, lässt Russland auch zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges nicht von alter Geheimdienst-Gewohnheit und setzt weiter Maulwürfe auf die USA an. Dabei hatte US-Präsident Barack Obama während eines Besuchs seines Kollegen Dmitri Medwedew im Weißen Haus erst letzte Woche noch über die Kalte-Kriegs-Vergangenheit gescherzt: Da beide Politiker ja nun ein Twitter-Konto hätten, könnten sie wohl "die Roten Telefone wegwerfen". 

Den Gast aus dem Kreml nannte Obama "Partner und Freund", einen verlässlichen dazu. Kein Wunder, dass Obama "nicht glücklich" über den Zeitpunkt der Festnahmen sei, wie die "New York Times" am Dienstag in Erfahrung brachte. Auch Russlands Premier Wladimir Putin attackierte die USA am Dienstag scharf (siehe Infobox).

Doch die FBI-Fahnder witterten Fluchtgefahr, als sie am Sonntag in gleich vier US-Staaten zuschlugen. Zwischen sieben und zehn lange Jahre hatten sie ermittelt, sich selbst als russische Regierungsbeamte ausgegeben, Nachrichten abgefangen, Wanzen in Wohnungen und den Vorstadthäuschen der mutmaßlichen Agenten versteckt. Letzter Akt war eine gestellte "Übergabe", bei der ein FBI-Mann 5.000 Dollar abfing - wie im Thriller in einer gefalteten Zeitung versteckt.

"Das personifizierte Vorstadtleben"

Zumindest für die Nachbarn der mutmaßlichen Spitzel schien die Tarnung perfekt. Sie reagierten wie vom Donner gerührt, als am Sonntag Fahnder die Verdächtigen abführten und Beweismaterial davonschafften. Wie im Falle des Paares, das sich in Montclair, New Jersey, als Richard und Cynthia Murphy ausgab. Ein Nachbar nennt sie "das personifizierte Vorstadtleben", sogar mit Töchtern im Grundschulalter. "Das können doch keine Spione sein", meinte eine Jugendliche, die nebenan lebt. Das sehe man doch schon dran, wie Mrs. Murphy ihre Hortensien pflege.

Tatsächlich soll sich das Ehepaar aber um Informationen über die US-Haltung zu einem neuen Abrüstungsvertrag und zum iranischen Nuklearprogramm vor Obamas Russland-Besuch im vorigen Jahr bemüht haben. Das Ziel: "Bisher unveröffentlichte, aber von Quellen im Außenministerium, in der Regierung und in Denkfabriken in privaten Gesprächen weitergegebene Informationen zu erlangen."

Nicht jedes Mitglied des mutmaßlichen Spionagerings zog die Unscheinbarkeit vor. Ein gewisser Mikhail Semenko, Ende 20, fuhr den Angaben zufolge einen Mercedes S 500. Gestylt sei der junge Mann aus Arlington in Virgina vor den Toren Washingtons aufgetreten. Mit seiner brünetten Freundin habe er russisch gesprochen, sich sonst aber von Nachbarn ferngehalten. Ein anderes Verdächtigenpaar lebte in Cambridge, Massachusetts, mit seinen zwei Teenagersöhnen in einem Appartementhaus, wo auch Harvard-Professoren wohnen. "Sehr freundlich, sehr nett" sei die Frau gewesen, sagte eine Nachbarin.

28-Jährige als Russlands "heiße Waffe"
Das gefundene Fressen für US-Medien ist aber Anna Chapman, eine 28 Jahre junge, in New York lebende bildhübsche Frau, die auf ihrem Facebook-Profil aufreizende Fotos von sich präsentiert. "Femme fatale" lauteten die Schlagzeilen in amerikanischen Zeitungen vom Mittwoch. Sie ging ebenfalls einem Undercover-Beamten des FBI bei einem überwachten Treffen ins Netz. Zusammen mit ihren Kollegen - neun wurden am Sonntag verhaftet, für den elften Gesuchten klickten am Dienstag auf Zypern die Handschellen - ist sie wegen "Nicht-Registrierens als ausländischer Agent" angeklagt. Zum Strafrahmen von fünf Jahren für dieses Vergehen kommen noch Geldwäsche-Vorwürfe, die die maximale Zahl an Gefängnisjahren auf gefährliche 25 erhöhen.

Die Beweise gegen Chapman seien "erdrückend", hieß es am Mittwoch vonseiten der US-Staatsanwaltschaft. Bei ihrer Verhaftung sei sie auf dem Weg nach Moskau gewesen. Ihr Anwalt behauptet, Chapman lebe erst seit 2005 in Manhattan und sei als Geschäftsfrau zwischen Russland und den Vereinigten Staaten aktiv. Ihr Online-Lebenslauf listet sie als Gründerin und Geschäftsführerin einer Immobilien-Suchmaschine in Manhattan, als Spezialistin für High-Tech-Startups und als ehemalige Mitarbeiterin der Bank Barclays und eines Londoner Hedgefonds. Dort will man von einer Anna Chapman allerdings noch nie etwas gehört haben. 

Als junge Unternehmerin, die vor allem an neuen Technologien interessiert ist, präsentierte sich Chapman auch einem russischen TV-Sender in Manhattan und gab freizügig ein Interview (siehe Infobox). Die über 90 Bilder auf ihrem Facebook-Profil zeigen Chapman in Luxushotels auf der ganzen Welt, bei exklusiven Wirtschaftskongressen, für die Tausende Dollar Eintrittsgeld bezahlt werden müssen, und einige Male auch mit Entscheidungsträgern. 

"Moskau weiß, dass du einen guten Job machst"
Während Chapmans Anwalt behauptet, seine Mandantin habe diese Persönlichkeiten im Berufsleben kennengelernt, und Chapmans Mutter Irina der "Daily Mail" sagte, ihre Tochter sei "nie im Leben" eine Geheimagentin, sieht das FBI die Sache etwas anders: Chapman habe über einen Geheimdienst-Computer Informationen an Moskaus Auslandsgeheimdienst SVR übermittelt, lautet der Vorwurf. Ihr Kontaktmann - ein bei der Botschaft als Diplomat akkreditierter Agent - wurde von der US-Bundespolizei wochenlang überwacht und erhielt währenddessen mindestens zehn Nachrichten von Chapman, geht aus Gerichtsdokumenten hervor. 

Schließlich setzte das FBI einen Undercover-Agenten direkt auf Chapman an. Der Beamte gab sich als russischer Konsulatsmitarbeiter aus und forderte von Chapman, einer Agentenkollegin einen gefälschten Pass zu übermitteln. Die 28-Jährige, die selbst mit einem gefälschten britischen Pass in New York gelebt haben soll, willigte ein. Nach dem Treffen schien sie aber misstrauisch zu werden, kaufte ein Wertkartenhandy und tätigte eine "Flut an Anrufen", so das FBI. Die Telefonate wurden abgehört. 

In einem der Gespräche erklärte ihr ein Mann, sie sei möglicherweise enttarnt worden. Sie solle nun den gefälschten Reisepass zur Polizei schicken und dann schleunigst die USA verlassen. Die Abschiedsworte waren laut FBI: "Kopf hoch, deine Kollegen in Moskau wissen, dass du einen guten Job machst."

Gesucht: Spione, jung und abenteuerlustig
Moskaus Auslandsgeheimdienst SVR wirbt auf seiner Internetseite übrigens ohne große Umschweife um junge Agenten, die "die Romantik des Spionage-Berufs anzieht". Vordergründig geht es dabei gar nicht so sehr um Politik, eine beschriebene Kernaufgabe lautet etwa: "Hilfe bei der wirtschaftlichen Entwicklung und dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes." 

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt