Am Haupttor zum Wiener Stephansdom steht eine Frau mit einer grauen Rose. Eine Rose auf mattem Papier; mit Bleistift gezeichnet. Mitten unter Touristen steht sie. Sie spricht einen eleganten Herrn in dunklem Anzug an. Es ist kurz nach drei an diesem sommerschwülen Samstag. "Bestimmt gehören Sie zur Trauergesellschaft. Darf ich Sie etwas fragen?" Die Frau fragt den Mann, ob sie ihm die Rose mitgeben dürfe. Für den Herrn Dichand.
Es ist 16.30 Uhr. Licht und Schatten fallen wie Gemälde in den Stephansdom. Die Größe und Kühle des Raumes scheint die Kleinigkeiten des Lebens auszublenden. Ist man korrekt gekleidet, sitzt man richtig, wie ist der Blumenschmuck im mächtigen Dom? Keine Blumenpracht, keine Bild-Inszenierung über den Verstorbenen. Dies ist die Stunde der wahren Empfindung, und der wahren Empfindung genügt, was man an Bildern in sich trägt.
Frau Helga Dichand, Witwe nach dem großen Zeitungsmann Hans Dichand. Ihre gemeinsamen Kinder, Michael, Johanna und Christoph mit Eva. Es sind nicht die Sicherheitsleute des Stephansdomes, die deren traurigen Platz in der ersten Reihe pietätvoll schützen. Es ist die Würde des Domes und die Würde der Stunde, die alle Menschen hier jetzt gleich empfinden lässt. So viel, so wenig sind wir Menschen. Wie jetzt, in diesem feierlichen Moment, als Kardinal Christoph Schönborn mit den Co-Zelebranten des Requiems einzieht; dem Altar entgegen.
Gott schützt die Liebenden. Die profane Übersetzung der Lesung aus dem Galaterbrief. Vorgetragen von Michael Dichand mit dieser Kraft, die nur einen liebenden Sohn ausgerechnet in der Stunde des Schmerzes so mit Kraft beflügeln kann. Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Ein berührendes Zitat aus dem Korintherbrief, den nachzulesen sich lohnte. Es ist auch der Satz, der die aufgeregte und im Einzelfall sehr respektlose Neugier vor dem Eingang in jeder Hinsicht draußen lässt. Die Stunde der wahren Empfindung, die Stunde der Rechenschaft kennt keinen Voyeurismus.
In den Bankreihen sind Liedtexte und eine Erinnerung an Hans Dichand aufgelegt. Sterbebilder hat man das früher genannt. Ein Bild des Lebens, aber: "Die drei Herbstbäume sind gleich und Egon Schiele will damit zum Ausdruck bringen, dass im Sterben alle gleich sind." Zitat Hans Dichand. Einer, dem die Dinge des Lebens in einer Weise bewusst waren, dass der Tod niemals Sieger werden konnte.
Gedanken, die Kardinal Schönborn in seiner Predigt aufleuchten ließ. "Warum kann beim Tod die Rede vom Ende sein, wenn es nur ein Durchgang, ein Tor ist?" Ein Vergleich, der uns alle nachdenklich und gelassener machen müsste. Die hohe Lebenserwartung der Menschen von heute samt allen eitlen Nebengeräuschen und der Illusion von ewiger Jugend. Die Menschen des Mittelalters, die vielleicht dreißig wurden und ein langes Leben fühlten. Weil die Ewigkeit inbegriffen war im Glauben.
Requiem für Hans Dichand. Es ist eine Stunde des Gebetes, sagt der Kardinal. Wir beten für diesen großen Zeitungsmann, der am Ende seines irdischen Daseins am Tor zum Licht Rechenschaft abzulegen hat wie jeder Mensch. Die Waagschale der guten Werke und der menschlichen Makel: Möge Gott Hans Dichand annehmen mit dem stärkeren Gewicht der guten Werke. Wer du BIST, Mensch, nicht als was du ANGESEHEN wirst. Wir sind nicht Richter, sagte der Kardinal in seiner Predigt. Mögen das vor allem jene gehört haben, die sich zu solchen aufschwingen.
Hast du geliebt? Es ist die entscheidende Frage. In seiner Predigt ohne Pathos sagte der Kardinal: Hans Dichand hat geliebt. Seine Familie. Seine "Krone"-Familie. Und die Kunst. Vor allem das größte Kunstwerk der Welt: die Umwelt. Seine Kraft im Schutz der Natur hat einen langen Atem in die Zukunft. Und seine verstärkte Initiative und Unterstützung für Caritas und Diakonie hatte Weitsicht in schwierigen Zeiten.
Da saßen Familie, Verwandte und Lebensfreunde geschlossen in stiller Andacht. Die Politiker, der Bundeskanzler, der Vizekanzler, der Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien und dessen Amtskollege aus Niederösterreich, der Medienstaatssekretär. So leise wie Politiker sonst selten sind. Die "Krone"-Mitarbeiter wie eine schlanke Flanke im linken Teil. Die vielen, vielen Menschen, die dem Herausgeber ihrer Lieblingszeitung ADIEU sagen wollen.
Die rührende Anwesenheit der Mitglieder des Marine-Verbandes. Es ist ihr Adieu an den Menschen Hans Dichand, der seine Erfahrungen und sein Überleben in der Marine immer wieder thematisierte. Der im Augenblick des nahenden Todes nach seiner Mutter gerufen hatte. Und aus dem Meer zurück ins Leben gespült wurde. In der Aufarbeitung dieser Erfahrungen hat Hans Dichand immer die Würde jener wahren wollen, die den Krieg nicht überlebten.
Das berühmte Requiem von Mozart unter der musikalischen Leitung von Mag. Thomas Dolezal. Klangwelt von einer Dimension, als hätte ein Irdischer ein Stück des Vorhangs zum Himmel öffnen können. Im Kyrie eleison erheben sich alle Gedanken, und die Vertreter aus Medienwelt und Öffentlichkeit erfahren wie die "Krone"-Leser und die Familie Dichand, dass Hoffnung und Licht immer größer sind als alles Vermeintliche.
Als Vertreter der WAZ nahmen Günther Grotkamp und Dr. Stephan Holthoff-Pförtner Abschied vom Gründer, Chefredakteur und Herausgeber der "Kronen Zeitung", deren Herz in einer tiefen Bindung zu den Lesern steht. In einer Form, die vom Gründer gestärkt ist für lange Zeiten.
Die Aura des Verstorbenen nahm diesem Abschied viel vom Schmerz. Und die Sonne und das Citytreiben draußen waren kein Widerspruch, sondern vielmehr Lebensfluss in seiner reinsten Form.
Ein sehr leises Lächeln auf dem Gesicht des Co-Zelebranten und Dompfarrers Toni Faber beim Begrüßen und Verabschieden der Gäste. Ein Lächeln, das Hans Dichand gefallen hätte: weil so ein Abschied ja nie ein Abschied ist, sondern das Vorangehen eines Menschen an unser aller Ort. Vorangehen: wie eine unausgesprochene, aber kraftvoll spürbare Ansage der Familie und des "Krone"-Teams in dieser Stunde der wahren Empfindung. Die Schritte weitergehen. Der Erden-Job.
Und was Hans Dichand, dem falsches Pathos und aller Rummel um seine Person immer herzenstief fremd waren, auch gefallen hätte: Co-Zelebrant Dr. Michael Landau musste ziemlich schurln, um noch zur Feier zurecht zu kommen. Er hatte das Schönste, was es gibt, davor zu tun: ein Kind aus der Taufe zu heben.
Während die Trauergesellschaft sich im Dom zu versammeln begann, stand draußen noch die Braut, die soeben den Bund fürs Leben geschlossen hatte. Gläser fielen klirrend zu Boden. Mazel tov.
Der Kreis des Lebens schließt sich, der des Lebens öffnet sich. Schieles Bild von den drei Herbstbäumen trägt den Frühling in sich. Die Kinder des Herausgebers, die Enkelkinder.
In der großen stillen Karawane des Kondolierens hatten wohl alle noch den Klang des letzten Liedes in der Seele. "Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir!". Arie aus der Kantate Nr. 19 von Johann Sebastian Bach. Göttliche Musik, die ihn in die ewige Helligkeit tragen soll. Er hat sich dieses Lied gewünscht. Er ist angekommen. Adieu. Mit einer Verneigung und einem Gebet. Die Frau mit der grauen Rose saß nach dem Requiem noch immer in der Bank. Was für ein schönes stilles Bild.
von Marga Swoboda, Kronen Zeitung
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