Hintergründe der Tat

Kitzbühel-Killer: „Da hab ich einfach rotgesehen“

Tirol
13.10.2019 06:00

Lange galten die beiden als Traumpaar - Nadine H. und Andreas E. Dann wollte die junge Frau die Trennung. Ihr Verlobter konnte das nicht akzeptieren - und tötete sie, ihre Eltern, ihren Bruder und einen Bekannten der 19-Jährigen. Die Hintergründe der Gräueltat von Kitzbühel.

Sein Zustand verwirrt. „Andreas E. wirkt“, erzählen Wachebeamte der Justizanstalt Innsbruck, wo der 25-Jährige nun untergebracht ist, „zerstört - und gelassen zugleich.“ Bereut er seine Tat? „Er redet nicht über seine Gefühle.“ Hat er das jemals getan? „So richtig niemals“, berichten Menschen aus seinem engsten Umfeld. Und keiner von ihnen - nicht seine Freunde, nicht seine Arbeitskollegen, nicht seine Familie - will verstehen, wie der Maurer, der in seiner Heimatgemeinde Kitzbühel immer als besonders ruhig, fleißig und nett gegolten hatte, „zu solch einem grauenhaften Verbrechen fähig“ sein konnte.

Er, der davor „kein einziges Mal durch Gewaltaktionen aufgefallen“ sei; er, der „stets anderen nur geholfen“ habe. Selbst die Angehörigen seiner Opfer sagen: „Wir hatten nie Probleme mit ihm; wir hielten ihn für einen feinen Kerl.“

„Da spürte ich einen Stich in meinem Herzen“
Bis zum vergangenen Sonntag: Um 5.30 Uhr morgens stand der junge Maurer mit einem Baseballschläger, einem Messer und einer Pistole vor dem Haus seiner Ex-Verlobten, Nadine H. (19). Er läutete, der Vater öffnete die Türe. Andreas E. tötete den 59-Jährigen mit einem gezielten Schuss. Und dann den Bruder – Kevin (23) – und die Mutter – Andrea (51) – des Mädchens. In der Folge lief der 25-Jährige bis zu der Einliegerwohnung, in der er bis vor Kurzem gelebt hatte, der Eingang war verschlossen; er rannte ins Freie, schlug ein Fenster ein, verschaffte sich so Zutritt - und feuerte abermals los. Auf die 19-Jährige und ihren Besucher – Florian J. (24), aus Oberösterreich.

Eine halbe Stunde später ging Andreas E. in eine Polizeistation, zeigte den Beamten seine Waffen und erklärte mit fester Stimme: „Ich habe soeben fünf Menschen getötet.“ Noch in den Vormittagsstunden legte er ein umfassendes Geständnis ab, detailliert schilderte er den Tatablauf - und den Grund für sein entsetzliches Handeln: „Ich hab einfach rot gesehen.“  

In dieser Nacht auf den 6. Oktober, in der er eigentlich beim Wiesn-Fest in München hätte sein sollen: „Das Wetter war nicht gut, ich nicht fit; deshalb bin ich in Kitzbühel geblieben.“ Aber „irgendwann am späten Abend“ habe er beschlossen, in ein Pub in der Altstadt zu gehen, „Nadine war auch dort“, mit einigen Arbeitskollegen aus der Baufirma, für die sie arbeitete. „Doch sie unterhielt sich fast ausschließlich mit einem Fremden.“ Mit Florian J., einem bekannten Eishockeyspieler. Und: Der „Fremde“ und seine Ex hätten vertraut gewirkt: „Ich spürte einen Stich in meinem Herzen.“

„Ich war wie in einem Rausch“
Ein Gespräch zwischen dem früheren Paar, in dem die 19-Jährige Andreas E. klarzumachen versuchte, dass ihre Beziehung „tatsächlich vorbei“ sei. Gegenseitige Vorwürfe, ein Streit, nach dem der Maurer, wie Augenzeugen berichten, „weinend auf den Stufen vor dem Lokal gesessen“ sei.

Fakt ist: Er war da, als Nadine und ihr neuer Bekannter gegen 3.30 Uhr das Pub verließen und in Florian J.s Audi stiegen. Eine Verfolgung - bis zum Elternhaus der jungen Frau. Um 4 Uhr drückte Andreas E. auf die Klingel. Nadines Vater vor ihm, dahinter die 19-Jährige. „Fahr heim“, hätten die beiden zu ihm gesagt. „Da brach meine Welt endgültig zusammen.“ In seiner „ungeheuren Wut“ raste er heim, zur Villa seiner Familie, holte aus einem Tresor die Pistole seines Bruders, aus der Küche ein Messer, aus einem Abstellraum einen alten Baseballschläger.

„Ich war wie in einem Rausch“, in seinen Rachegedanken, erklärte der 25-Jährige in Verhören. Rache, wofür? „Für so vieles.“

Der Tiroler - was ist seine Geschichte? Er wuchs in behüteten Verhältnissen auf, Vater undMutter haben gute Jobs, sind ehrenamtlich für Vereine tätig; der Bruder studiert in Asien. Andreas E. selbst - angeblich „ein braver Sohn“.

Schon als Jugendlicher fiel er ein paarmal polizeilich auf; wegen Autofahren ohne Führerschein, wegen mehrerer Einbrüche in Bauernhäuser, wegen Diebstahl und der unerlaubten Schlachtung eines Huhns. Und sonst? Verlief sein Dasein - beteuern ehemalige Nachbarn von ihm - „unauffällig“. Bis zu seinem 17. Lebensjahr besuchte er die HTL, danach begann er eine Maurerlehre. Von seinem Lohn kaufte er defekte Ami-Wagen und schraubte sie zu „Schmuckstücken“ um. Mit 20 lernte er die um sechs Jahre jüngere Nadine kennen, „die beiden verliebten sich schnell ineinander“, erinnert sich Andreas E.s bester Freund.

Und bald schon hätten die beiden weitreichende Pläne geschmiedet: „Sie verlobten sich; schworen einander, für immer zusammenzubleiben. Zu heiraten, eine Familie zu gründen.“ Die Eltern – die Mutter Hausfrau, der Vater Hausmeister – und der Bruder des Mädchens – ein Mechaniker – mochten Andreas E. Weil er ihnen verlässlich schien, kein „Herumtreiber“ war, kaum Alkohol trank; und vorallem – weil er Nadine extrem respektvoll behandelte. Ab 2015 übernachtete der junge Mann regelmäßig bei dem Mädchen, zunächst im Kinderzimmer. Nach und nach baute er jedoch das Haus der H.s um und aus; im vergangenen Frühjahr war die eigene Wohnung für ihn und seine „Traumfrau“, wie er die 19-Jährige nannte, fertig. „Der Andi“, so sein bester Freund, „ist darauf so stolz gewesen.“ Und er merkte dabei nicht, dass sich Nadine zunehmend von ihm zu entfremden begann. 

„Zuletzt fühlte sie sich von ihm eingeengt“
Sie habe sich, berichtet ihre Clique, durch Andreas E.s überbordende Fürsorge und seinen drängenden Kinderwunsch überfordert gefühlt: „Sie wollte noch ein wenig ihre Jugend genießen, ausgehen, reisen.“ Auch ohne ihren Partner. Der nicht verstand, dass sie sich plötzlich nicht mehr an die Regeln hielt, die er und sie einander einst auferlegt hatten: Ihre gesamte Freizeit zusammen zu verbringen; fest zu sparen, für die Zukunft. Im Juli bat die 19-Jährige ihren Verlobten um eine „Auszeit“, er zog daraufhin zurück in sein Elternhaus; im August machte sie endgültig mit ihm Schluss.

„Der Andi hat das nicht verkraftet“, so sein bester Freund, „denn er liebte Nadine abgöttisch. Er war von der Idee besessen, sie zurückgewinnen zu müssen. Vielleicht auch, weil er dachte, er würde es nicht schaffen, eine neue Freundin zu finden.“ Zuletzt sei der Maurer „ziemlich angeschlagen“ gewesen, nicht nur seelisch – sondern auch körperlich: „Bei der Arbeit hatte er sich am Fuß verletzt, außerdem machte ihm seine Zuckerkrankheit zu schaffen.“

„Er hielt sich nur noch für einen Loser“
Ein Arbeitskollege des Mannes: „Ständig zuckte er wegen Kleinigkeiten aus, schimpfte herum, warf Spachteln und Hämmer zu Boden.“ Um sich kurze Zeit später immer mit denselben Worten zu entschuldigen: „Ich bin halt ein Loser“ ...

Wie stark der Abwärtsstrudel war, in dem er sich befand, konnte niemand ahnen. Nicht seine Bekannten, nicht seine Eltern; nicht Nadine, nicht ihre Familie. „Ich werde meinen Sohn nie fallen lassen“, sagt seine Mutter. „Wir hätten dem Andi niemals etwas Böses zugetraut“, sagen enge Verwandte der H.s. „Der Andi kann bei seinem Verbrechen nicht bei sich gewesen sein“, sagt sein bester Freund. „Ich will Andreas im Gefängnis besuchen und ihn fragen, warum er fünf Menschen getötet hat“, sagt Michael Struzynski, der Pfarrer von Kitzbühel, „obwohl ich nicht glaube, dass ich eine wirkliche Antwort von ihm bekommen werde.“

Weil es eben keine Erklärungen gibt - für das Unfassbare.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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