Hungertod in Wien

„Mutter machte aus ihrer Sicht etwas Gutes“

Wien
23.05.2019 14:41

„Verzerrte Wahrnehmung“ könnte laut einen Experten der Grund dafür sein, warum eine Mutter (45) und ihre beiden Zwillingstöchter in einer Wohnung im Wiener Bezirk Floridsdorf verhungerten. So könnte die Frau an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten haben. Eine Schizophrenie würde erklären, dass die Mutter den Hungertod in Kauf genommen hat, etwa wenn ihr Stimmen dies befohlen hätten.

Es bestünde laut Psychologe Cornel Binder-Krieglstein die Möglichkeit, dass ihr Stimmen gesagt hätten, sie müsste fasten oder etwa nur etwas Bestimmtes essen, um jemandem zu helfen oder Schlimmes abzuwenden. „Dann tut sie das - und aus ihrer Sicht macht sie etwas Gutes, etwas Wichtiges“, sagte der Experte.

Diese Störungsbild hätte die Frau vermutlich auf ihre Kinder übertragen. „Es ist auch nachvollziehbar, dass sie für ihre Kinder auch so fühlt und hineininterpretiert, auch sie vor Schlechtem zu schützen.“ Aufgrund einer Entwicklungsstörung der Kinder und der „sehr starken Observanz, der Einengung und der Bindung“ zwischen Mutter und Töchtern könnte dies noch verstärkt worden sein.

„Das ist ein langer Prozess“
Das passiert allerdings nicht von heute auf morgen. „Das ist ein langer Prozess“, wo auch das Umfeld eine Rolle spielt, erklärte Binder-Krieglstein. Die Frau lebte mit ihren Kindern zurückgezogen, hatte scheinbar wenig Kontakt zu anderen Menschen und hat die Mädchen nach der Schulpflicht aus der Schule genommen. Sie habe sich damit eine Struktur - eine eigene Welt - geschaffen, um die Situation weiterhin so beizubehalten. Die drei gingen laut Nachbarn meist nur zu dritt außer Haus.

„Sie machte aus ihrer Sicht etwas Überlebenswichtiges, etwas Gutes“, so Binder-Krieglstein. Diese Abschottung hätte die Frau vermutlich perfektioniert, denn wenn die Kinder älter werden, wäre die Gefahr, von Fremden angesprochen zu werden oder mit anderen Menschen Kontakt zu haben, größer. Es würde in so einem Fall auch zur vermuteten Persönlichkeitsstruktur der Frau passen, dass sie autoaggressives Verhalten an den Tag legte und in ihren Wahnvorstellungen nicht andere Menschen attackiert hatte.

Kollektiver Hungertod
Einen vergleichbaren Fall konnte Binder-Krieglstein nicht nennen - außer Fälle von Sekten, die kollektiv in den Hungertod gegangen sind. Da es sein kann, dass in Floridsdorf nicht alle drei zur gleichen Zeit verhungert sind, stellt sich die Frage, warum nicht eine der Frauen Hilfe holte. Das konnte der Psychologe nicht beantworten. Er wusste allerdings von einem Fall, wo ein Fünfjähriger tagelang neben seiner toten Mutter lebte und sich instinktiv Essen aus dem Kühlschrank holte. In der Wohnung der 45-jährigen Wienerin habe es laut Ermittlern keine Lebensmittel gegeben.

Informationen und Beratung unter: www.bundesstelle-sektenfragen.at; Tel.: 01/5130460. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich auch Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.

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