"Gerecht und heilig"

Karadzic: Muslime und Westen schuld an Bosnien-Krieg

Ausland
01.03.2010 14:39
Der u.a. wegen Völkermordes angeklagte frühere bosnische Serben-Führer Radovan Karadzic hat vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Rolle der Serben im Bosnien-Krieg als reine Selbstverteidigung dargestellt: "Es gab niemals die Absicht, die Idee oder noch weniger einen Plan, um die Muslime und Kroaten zu vertreiben", sagte Karadzic am Montag bei der Fortsetzung seines Prozesses. "Ich werde unsere Nation und ihre gerechte und heilige Sache verteidigen", meinte der 64-Jährige, der den Muslimen und dem Westen die Schuld am Krieg zuschiebt.

Karadzic wies im Gegenteil die Schuld am Bosnien-Krieg (1992 - 1995) und am Tod Zehntausender Menschen den Bosniaken zu: Die bosnischen Muslime "wollten 100 Prozent Kontrolle über Bosnien und das war die Hauptursache des Konflikts", sagte er in Darlegung seiner Verteidigungsstrategie vor dem Tribunal. Muslim-Führer hätten die Serben in Bosnien-Herzegowina provoziert und zu deren Ermordung aufgerufen. Aber nur die Taten der Serben würden als Verbrechen behandelt, beklagte Karadzic, der zwei Tage Zeit für eine einleitende Stellungnahme hat. Anschließend hat die Anklage das Wort.

Bosnische Serben haben "500 Jahre gelitten"
Angesichts der Lage damals hätten die Westmächte und auch der damalige US-Sonderbeauftragte für den Balkan, Richard Holbrooke, versagt. Auch mehreren westlichen Staaten, darunter Deutschland und den USA, wies Karadzic eine Mitschuld an den Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens zu. Beim Bosnien-Krieg sei es einzig um den Schutz "unserer Köpfe, unseres Eigentums und unserer Gebiete" gegangen. Die bosnischen Serben hätten "500 Jahre gelitten".

Neben vielen anderen westlichen Politikern hätte damals auch US-Außenminister James Baker öffentlich eingeräumt, dass Bürgerkriege in Jugoslawien kaum vermeidbar seien. Dieser Situation hätten sich die bosnischen Serben im Interesse ihrer eigenen Verteidigung stellen müssen, so Karadzic. Als folgenschwer habe sich in diesem Zusammenhang die maßgeblich von Deutschland unterstützte "voreilige" Anerkennung der einst zu Jugoslawien gehörenden Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Bosnien erwiesen. Das habe unter anderem der damalige niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers öffentlich eingeräumt. Eine der Beweggründe für Deutschland sei gewesen, dass es im Zweiten Weltkrieg mit den Kroaten verbündet war, behauptete Karadzic.

"Werde gerechte und heilige Sache verteidigen"
Karadzic äußerte sich am Montag nach monatelangen Verzögerungen seines Prozesses erstmals direkt zu den erhobenen Vorwürfen vor Gericht. "Ich werde unsere Nation und ihre gerechte und heilige Sache verteidigen", sagte der 64-Jährige. "Auf diese Weise werde ich imstande sein, mich ebenfalls zu verteidigen."

Srebrenica-Massaker im Mittelpunkt der Anklage
Der Ex-Präsident der Republika Srpska (Serbische Republik in Bosnien; Anm.) muss sich in elf Punkten wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Im Bosnien-Krieg waren 100.000 Menschen ums Leben gekommen, 2,2 Millionen wurden vertrieben. Im Mittelpunkt der Anklage steht das Massaker von Srebrenica, bei dem rund 8.000 muslimische Burschen und Männer getötet wurden.

Nach 13 Jahren Flucht 2008 in Belgrad gefasst
Karadzic war erstmals 1995 in Abwesenheit angeklagt worden. Nach 13 Jahren auf der Flucht war der studierte Psychiater im Juli 2008 in Belgrad, wo er unter falschem Namen als Heilpraktiker tätig war, festgenommen und an das UNO-Tribunal überstellt worden. Ihm droht lebenslange Haft. Bisher hatte es Karadzic stets verweigert, sich zu den Vorwürfen zu äußern und die Zuständigkeit des Tribunals bestritten. Das Gericht registrierte dies formell als Plädoyer auf "nicht schuldig".

Den Beginn seines Prozesses im vergangenen Oktober hatte er boykottiert und dies unter anderem damit begründet, dass ihm nicht genug Zeit für das Aktenstudium gegeben worden sei. Karadzic wollte sich ursprünglich selbst verteidigen. Wegen des Boykotts entschied das Tribunal Anfang November, den Briten Richard Harvey zum Pflichtverteidiger zu berufen. Dagegen legte Karadzic vergeblich Widerspruch ein. Harvey wohnte am Montag der Verhandlung bei.

Karadzic habe die Verbrechen gemeinsam mit anderen Beteiligten - zu denen sowohl der mittlerweile verstorbene frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic als auch der nach wie vor flüchtige bosnisch-serbische Ex-Militärchef Ratko Mladic gehörten - mit dem Ziel begangen, die bosnischen Muslime und Kroaten dauerhaft aus Gebieten zu vertreiben, die Bestandteil der Republika Srpska werden sollten, heißt es in der Anklage. Staatsanwalt Alan Tieger hatte Karadzic bei der Eröffnung des Prozesses im Oktober vorgeworfen, er habe "die Kräfte des Nationalismus, des Hasses und der Angst zielgerichtet eingesetzt, um seine Vision eines ethnisch geteilten Bosnien zu verwirklichen".

"Haben einen starken Fall, haben gute Beweise"
Der Angeklagte erklärte nun in einer Replik, von einer Verschwörung der Serben zur Vertreibung oder Vernichtung der bosnischen Muslime und Kroaten könne keine Rede sein: "Wie kann die Staatsanwaltschaft annehmen, dass die Richter so etwas glauben werden?" Karadzic forderte das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) auf, ihm eine faire Chance zu geben, seine weitere Verteidigung zu organisieren und sich ausreichend auf die Verhandlungen vorzubereiten: "Wir haben einen starken Fall, wir haben gute Beweise."

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